Der Minister beugt sich zu der jungen Frau in der ver.di-Weste, die mit verschränkten Armen vor ihm steht, und setzt ein joviales Lächeln auf. Gerade eben noch hatte sie dem NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), seinen 15 Kollegen und dem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf der Bühne entgegengeschrien, was der Personalmangel an den Kliniken für sie bedeutet. Laumann streckt ihr die Hand entgegen. Sie blickt an ihm vorbei, bis der Minister mit den Schultern zuckt und sich durch die ver.di-Kundgebung drängelt in Richtung des Düsseldorfer Hotels auf der anderen Seite des Rheins, in dem die Minister tagen, während vor der Tür 4 000 Beschäftigte aus Kliniken und Altenheimen für bessere Arbeitsbedingungen demonstrieren. Warum sie ihm nicht die Hand gegeben hat? „Diese Leute verarschen uns“, sagt sie gegenüber UZ. „Ich mache in drei Wochen mein Examen zur Radiologieassistentin, ich bin unbezahlter Azubi. Ich arbeite seit drei Jahren jeden Tag und bekomme keinen einzigen Cent dafür!“
Bei dieser Kollegin haben die Versprechen, die Laumann und Spahn eben von der Bühne verkündet haben, keine Wirkung gehabt. Wer ihnen zugehört hat, könnte glauben, dass in den Schubladen der Ministerschreibtische die Entwürfe für ein ganz neues Gesundheitswesen liegen, die sie nun herausholen und damit alle Probleme lösen werden, deretwegen die Kollegen streiken und demonstrieren.
Um die Bühne herum stehen diejenigen, die an ihrem Arbeitsplatz seit Langem für Entlastung kämpfen und heute streiken – 450 Streikende der Uniklinik Düsseldorf, 350 der Uniklinik Essen, Kollegen aus dem Saarland, schulische Azubis, die für eine Vergütung kämpfen. Sie wissen von den Erfolgen im Kampf für mehr Personal an der Berliner Charité, dem neuen Tarifvertrag der Unikliniken Baden-Württemberg. Sie wissen, dass die Kolleginnen der Charité nun darum kämpfen, den Tarifvertrag für Entlastung auch umzusetzen und dass die Kollegen in Baden-Württemberg mit insgesamt 120 neuen Stellen für alle vier Kliniken nur eine viel zu geringe Verbesserung erkämpfen konnten, und sie wissen, dass die Personalnot in der Pflege auf die Politik der letzten Bundesregierungen zurückgeht.
Von „berechtigten Anliegen“ hat Spahn gesprochen, von der Gesundheitspolitik als „Spirale, die sich über Jahre in die falsche Richtung gedreht hat, hin zu mehr Arbeitsverdichtung“. Er spricht von mehr Stellen, von gesetzlichen Regelungen für mehr Personal, von neuer Finanzierung, die sich am Bedarf und nicht an willkürlichen Fallpauschalen orientiert.
Spahn spricht gut genug, dass die Pfiffe und Zwischenrufe der Kollegen weniger werden und viele dem Minister Beifall klatschen. Auf der Bühne steht auch Sylvia Bühler, beim ver.di-Bundesvorstand zuständig für Gesundheitspolitik: „Ministerinnen und Minister, ich finde es ein gutes Signal, dass Sie alle hier herausgekommen sind. Das zeigt mir eins: Die Politik nimmt uns ernst, und wir werden genau beobachten, was die Gesetze bringen.“
Hier steht der Teil der Pflegekräfte, der mehr auf die eigene Kraft als auf die Schublade des Herrn Spahn vertraut, und seine Versprechen ändern wenig an der Wut über die tägliche Arbeitshetze. Eine von ihnen kommt auf die Bühne: „Bleiben Sie bitte noch einen Moment, Herr Spahn. Wissen Sie, was es heißt, auf Grund von Personalmangel einen Menschen alleine sterben zu lassen?“
Zum Abschluss wünscht Sylvia Bühler den Ministern, die zurück zu ihrer Konferenz gehen, „dass Sie weise Entscheidungen fällen“. Die Kollegin, die Laumann den Handschlag verweigert hat, hat gerade erfahren, dass die Tarifgemeinschaft der Länder die Verhandlungen über eine Vergütung für schulische Azubis abgebrochen hat. Ver.di wollte erreichen, dass auch Auszubildende, die nicht bei einem Betrieb beschäftigt, sondern an einer Schule ausgebildet werden, eine Vergütung erhalten – die öffentlichen Arbeitgeber versuchen mit dieser Blockade, die Klinikbelegschaften am Kampf für tarifliche Entlastung zu hindern. Im Saarland, in Düsseldorf und in Essen stehen die Kollegen vor der Urabstimmung darüber, ob sie noch einen Schritt weiter gehen und auf die vielen Warnstreiks den Erzwingungsstreik folgen lassen.