Zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich

Höllische Eiszeit

Die Französische Revolution weckte große Hoffnungen für den Aufstieg der Bourgeoisie, die Abschaffung feudaler Strukturen und die Etablierung einer kapitalistischen Gesellschaft. Napoleon erlangte die Macht durch militärische Erfolge gegen die Reaktion und die Herstellung von Stabilität nach dem Sturz des Direktoriums. Seine führende Rolle bei staatlichen Reformen – einschließlich der Verankerung bürgerlicher Rechte im Code Civil, Bildungs- und Verwaltungsreformen sowie der Schaffung einer stabilen Wirtschaft – festigte seine uneingeschränkte Macht, unterstützt von Militär und Bourgeoisie. Er zentralisierte die Macht in seiner Person, etablierte eine autoritäre Herrschaft und krönte sich 1804 zum Kaiser. Napoleons Eroberungskriege in Europa dienten der territorialen Ausdehnung sowie der Verbreitung kapitalistischer Produktionsverhältnisse. Die besetzten Gebiete wurden häufig umstrukturiert und mit bürgerlichen Reformen versehen. Durch die Kontinentalsperre und andere wirtschaftliche Maßnahmen versuchte Napoleon, die ökonomische Vorherrschaft Frankreichs in Europa zu sichern und die Konkurrenz, insbesondere Britanniens, zu schwächen. Die Ereignisse von 1806, darunter die Niederlagen der preußischen Armee bei Jena und Auerstedt, die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches und die Besetzung deutscher Gebiete durch französische Truppen, führten in Deutschland zu einer starken antinapoleonischen Freiheitsbewegung.

National geprägte Kunst in Zeiten der Besatzung

Caspar David Friedrich war tief von diesen Ereignissen betroffen und nationale Themen prägten seine Kunst. Er stellte eine von den Zeiten gezeichnete spezifisch deutsche Landschaft dar, wie Rügen, den Harz, das Elbsandsteingebirge und das Riesengebirge, durchsetzt mit nationalen Symbolen wie Eichen, Hünengräbern und gotischen Ruinen. Auch das Tragen altdeutscher Trachten durch seine Figuren gehört dazu. Es waren diese im Kontext der Befreiungskriege einleuchtenden nationalen Züge, die später in einem anderen historischen Kontext den Missbrauch seines Werks für die Zwecke des deutschen Faschismus ermöglichten. Friedrichs Allegorien von Tod und Auferstehung enthalten ebenfalls oft einen patriotischen Charakter. Zudem ist sein Werk von ergreifender Melancholie und Vereinsamung geprägt.

Über vierzig Jahre lebte und arbeitete der in Greifswald als Sohn eines Seifensieders geborene Friedrich in Dresden, dem Zentrum der Frühromantik, mit bedeutenden Malern, Dichtern und Musikern, darunter E. T. A. Hoffmann, Kleist und Weber, die Gewalt und Schrecken zentral thematisieren. Friedrich bekannte: „Seine Werke würden und müssten immer das Gepräge seiner Zeit an sich tragen.“ Die wachsenden Widerstände in den besetzten Gebieten gipfelten in den Befreiungskriegen mit Napoleons Niederlagen in Russland (1812) und bei der Völkerschlacht bei Leipzig (1813). Die vereinten Kräfte der restaurativen europäischen Mächte, darunter Britannien, Russland, Preußen und Österreich, besiegten ihn schließlich und stellten die alte Ordnung wieder her.

Reaktion auf die Restauration

Die Restauration nach den napoleonischen Befreiungskriegen, insbesondere nach dem Wiener Kongress (1814 – 1815), hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die Bevölkerung und die Meinungsfreiheit in Deutschland. Die restaurativen Kräfte unterdrückten jede Form von liberalem oder nationalem Aufbegehren. Eine strikte Zensur gewährleistete, dass nur regierungskonforme Inhalte veröffentlicht wurden. Autoren, die sich kritisch äußerten, mussten mit Publikationsverboten oder Inhaftierung rechnen. Die Behörden setzten Spitzel ein, um politische Dissidenten zu überwachen und zu verfolgen. Unerwünschte politische Vereine und Versammlungen waren verboten. Diese Repression führte zur Radikalisierung und stärkte die Oppositionsbewegungen, die in den Revolutionen von 1848 kulminierten. Die Unterdrückung liberaler und nationaler Ideen förderte das nationale Bewusstsein und den Wunsch nach einem geeinten und liberalen Deutschland.

Friedrichs Werk war tief in den Umbrüchen seiner Zeit verwurzelt und muss nach 1815 als eine Reaktion auf die Restauration begriffen werden. Seine Unterstützung nationaler Freiheitsbestrebungen wandelte sich nun in eine Enthüllung der Reaktion in Europa. Dabei erhält der Winter zentrale Symbolkraft. Winter ist in der Kunst oft eine todbringende Zeit. Zu einer der bekanntesten Manifestationen zählt die zu dieser Zeit entstandene „Winterreise“ (1827) Franz Schuberts, wo Winter und Eis eine Chiffre für politische Repression sind. Des Weiteren ist der neunte und letzte, innerste und entsetzlichste Kreis der Danteschen Hölle ein Eismeer.

Symbolkraft von Winter und Eis

Einhergehend mit den chiffrierten Kunstwerken, die die Reaktion bloßzulegen trachteten, entstand der Eskapismus des Biedermeier – der Rückzug, die Flucht ins Private, Häusliche und Unpolitische. Der Druck auf die Künstler der Zeit, sich diesem anzuschließen, war groß. Doch nicht jeder beugte sich ihm.

Friedrichs Bild „Das Eismeer“ (1823/24, Öl, Hamburger Kunsthalle) entstand in dieser Zeit der Restauration. Der erste Eindruck wird von einer hochdramatischen Szene bestimmt: riesige, scharfkantige Eisschollen, in pyramidischen Winkeln aufragend, beherrschen das Bildzentrum und vermittelten das Gefühl tödlicher Bedrohung. Die horizontalen Linien der Eisschichten und die vertikalen Brüche und Spitzen der Eisblöcke erzeugen ein dynamisches Element, das die Dramatik der Szene erhöht.

Die Spitze der zentralen Eisformation führt den Blick der Betrachter auf diesen höchsten Punkt der Eisformationen und erhöht die dramatische Wirkung. Die Eisblöcke scheinen in verschiedenen Richtungen zu kippen und zu brechen. Die sich wiederholenden, gebrochenen Formen der Eisblöcke schaffen einen visuellen Rhythmus, der die chaotische und bedrohliche Natur der Szene unterstreicht. Unregelmäßige und scharfkantige Strukturen vermitteln ein Gefühl von Chaos und Zerstörung.

Friedrichs sorgfältige Detailarbeit und die texturierte Darstellung des Eises verstärken die physische Präsenz und die Härte der Szene. Unterschiedliche Oberflächen der Eisblöcke, von glatten bis zu rauen und zerklüfteten Kanten, werden meisterhaft dargestellt und tragen zur realistischen, gleichzeitig aber auch surrealen Wirkung des Bildes bei. Licht und Schatten modellieren die komplexen Oberflächen der Eisblöcke und erzeugen dreidimensionale Tiefe.
Die horizontalen Flächen der Eismassen vermitteln Stabilität und suggerieren eine unendliche Ausdehnung der Eislandschaft. Die niedrig gesetzte Horizontlinie betont ebenfalls die Weite des Eismeers und verstärkt das Gefühl der Isolation und Unendlichkeit. Der von Eisblöcken dominierte Himmel verstärkt das Gefühl erdrückender Macht. Der Kontrast zwischen den ruhigen, horizontalen Flächen und den dynamischen, vertikalen Formen erzeugt eine visuelle Spannung, die das Auge der Betrachter hin und her bewegt, sie in die Szene hineinzieht und ein intensives emotionales Erlebnis erzeugt.

Das Bild trug ursprünglich den Namen „Die gescheiterte Hoffnung“, basierend auf einer früheren, heute verschollenen Version, die ein Schiff dieses Namens zeigte. Das fast versunkene Schiff, das von den Eismassen erdrückt wird, symbolisiert Scheitern und Zerstörung. Die Verwitterung des Holzes und die Verwüstungen der Kälte verstärken das Gefühl von Verlassenheit, Hoffnungslosigkeit und Leere. Das Schiff ist in der Kunst oft eine Metapher für Welt, für menschliches Leben. In seinem eisigen Untergang erstarrt jede Bewegung, das Leben endet zukunftslos. Denkt man an Dantes Hölle, so steuert die Welt auf die Eishölle zu.

Die Schollen im Vordergrund formen ein aufgetürmtes Gebilde, das von ähnlichen Eisformationen im mittleren und ferneren Hintergrund wiederholt werden. Diese schroff nach links geneigten Platten erinnern an todbringende Hochgebirgsklippen und suggerieren frühere zu Eis erstarrte Segelschiffe, die dem ewigen Eis zum Opfer fielen. Die Gegenbewegung kleinerer, nach rechts ragender Eisspitzen verstärkt den Eindruck des gnadenlosen Zermalmens allen Lebens, unterstützt durch die im Vordergrund befindlichen riesigen braunen horizontalen Platten. Verlängert man geistig die nach links und rechts strebenden Linien, treffen sie sich am Heck des gekenterten Schiffes – ein dunkler Punkt inmitten der vielfältigen Weiß-Schattierungen des gefrorenen Meers.

Betrachter sehen die Szene vom Ufer aus – die braune Farbe der vordergründigen Schollen sowie Erdresten deuten darauf hin. Die Erde weist jedoch kein Leben auf, und dünne Stämme toter Bäume ragen aus dem Eis hervor. Aus dieser gnadenlosen, von allen Seiten pressenden Eismacht gibt es kein Entrinnen. Künstler und Beobachter sind durch Produktion und Rezeption involviert, aber jeweils allein mit der Eiswüste konfrontiert.

Überwältigung durch die Naturgewalten

Die Perspektive des Gemäldes vermittelt ein Gefühl der Überwältigung durch die Naturgewalten. Die Kombination texturierter und detailreicher Elemente schafft eine immersive Erfahrung für den Betrachter. Man spürt die Kälte des Eises, sieht die Härte und Schärfe der Blöcke und nimmt die erdrückende Natur der Szene fast körperlich wahr. Das kalte Blau des Gemäldes dominiert neben dem eisigen Weiß. Der Betrachter steht scheinbar am Rande der Eislandschaft und blickt auf die gigantischen, aufgetürmten Eismassen. Diese Perspektive lässt die Eisblöcke noch größer und bedrohlicher erscheinen. Die unregelmäßige Anordnung der Eisblöcke führt das Auge tief in das Bild hinein, was das Gefühl von Unendlichkeit und Einsamkeit verstärkt.

Im Originalbild ist ein kaum wahrnehmbarer Stern im oberen rechten Teil zu finden, der einen kleinen Hoffnungsschimmer angesichts der erbarmungslosen Erstarrung und Vernichtung des Eismeeres vermittelt.
Heutige Betrachter, die sich in die Zeit des Malers hineinversetzen und Parallelen zur eigenen Zeit herstellen, können seine Verzweiflung angesichts der Erstarrung gut nachvollziehen und sind emotional berührt.

Naturstück als sozialer Kommentar

Mit diesem Kunstwerk reiht sich Friedrich in eine Tradition von Seestücken. Die Marine- und Landschaftsmalerei William Turners, des englischen Zeitgenossen Friedrichs, enthält ebenfalls deutliche, gleichwohl anders gelagerte soziale Kommentare. Während Turners Blick nach vorn gerichtet ist, scheint Friedrichs auf den ersten Blick rückwärtsgewandt. Doch durch seine Besinnung auf eine spezifisch deutsche Tradition gibt er einem Verlangen nach einem vereinten Deutschland Ausdruck, das nur in der Überwindung der aristokratischen Kleinstaatlichkeit Fortschritt erreichen konnte. Dazu gehört auch die Rückbesinnung auf das revolutionäre Bemühen jener Reformatoren des 16. Jahrhunderts, die die Reformation nicht allein als religiöse, sondern auch als politische Revolution verstanden und die Abschaffung der Fürstenmacht anstrebten. So malte Friedrich 1823 „Huttens Grab“, in dem er nicht einzig Ulrich von Huttens gedenkt, sondern auch anderer Patrioten, deren Namen ebenfalls auf dem Sarkophag zu finden sind.

Nach Friedrichs raschem Aufstieg während der Befreiungskriege, wo er durch seine auf eine befreite deutsche Republik gerichteten Werke bekannt wurde, geriet er nach 1815 schnell ins Abseits der politischen und kulturellen Szene. Als er sich gegen die Fürsten richtete, wurde er gemeinsam mit anderen seiner Denkart ausgegrenzt. Diese Herrscher bekämpften in den Jahren nach 1815 vehement jegliche Bestrebungen nach nationaler Einheit, die ihre Macht hätte gefährden können. Anstatt dem Druck nachzugeben und sich antidemokratischen beziehungsweise unpolitischen biedermeierlichen Themen zuzuwenden, widersetzte Friedrich sich der Metternichschen Restauration, indem er weiterhin gescheiterte Hoffnungen gestaltete.

Ausgegrenzter Kritiker

Friedrichs kritische Haltung machte ihn bei den Obrigkeiten so unbeliebt, dass er 1824 bei der Neubesetzung die Professur für Landschaftsmalerei an der Dresdener Akademie nicht erhielt, weil man seinen Einfluss auf die Jugend fürchtete. Nicht nur in der akademischen Welt, sondern auch im öffentlichen Bewusstsein wurde der Künstler zunehmend verdrängt und konnte nur dank der Unterstützung russischer Kunstkenner finanziell überleben. Seine Werke, darunter sechs bedeutende Gemälde in der Eremitage, fanden dort Anerkennung.

Einen kurzen Moment der Hoffnung erlebte Friedrich 1830 während der Dresdener Aufstände. Doch nach deren Scheitern wurden seine Bilder noch düsterer. Als Friedrich 1840 in Dresden starb, war er arm und bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts weitgehend vergessen. Friedrichs Kunst spiegelt seine progressive Haltung in einer Zeit wider, in der der Kampf für eine vereinigte deutsche Nation radikal war und die Feudalgesellschaft herausforderte. Sie zeigt, wie Kunst für politische Zwecke instrumentalisiert werden kann, etwa durch die Nazis zur Förderung ihrer faschistischen Ideologie. Angesichts des heutigen Aufschwungs von Rechtsextremismus ist es entscheidend, Friedrichs Werk im historischen Kontext zu verstehen: als Kommentar zur „höllischen Eiszeit“ der Europäischen Restauration und als Ausdruck der Kräfte, die den Boden für die gescheiterte Revolution von 1848/49 bereiteten.

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"Höllische Eiszeit", UZ vom 6. September 2024



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