Wie der Imperialismus die Uiguren für seine Politik gegen die VR China instrumentalisiert

Hochbetrieb in der Menschenrechtsindustrie

Hans Schoenefeldt

Der folgende Text befasst sich mit den von westlichen Medien behaupteten Menschenrechtsverletzungen staatlicher Stellen der Volksrepublik China gegenüber der nationalen Minderheit der Uiguren. Der Text, der im Mai in der marxistischen Monatszeitschrift „Rotfuchs“ erschien, ist geeignet, um ihn auf Gruppenabenden der DKP zum Beispiel im Rahmen einer „Aktuellen halben Stunde“ zu diskutieren. Er soll helfen, uns auf Debatten am Infostand, im Betrieb oder im Bündnis vorzubereiten. Zusätzlich stellen wir auf dkp.de/partei/theorie-und-bildung vertiefende Texte zum Thema zur Verfügung. Dort gibt es Stellungnahmen der Botschaft der Volksrepublik, einen Hintergrundtext von Schweizer Genossen sowie Informationen über die Geschichte der Uiguren und zum vermeintlichen China-Experten Adrian Zenz.

Vor einigen Tagen stieg ich auf dem Weg in die Berliner Innenstadt aus dem BVG-Bus und wurde mit einem Transparent konfrontiert, auf dem dieser Satz stand: „Solidarität mit den vom Völkermord bedrohten Uiguren“. Ich ging auf einen der Halter des Transparents zu und sagte: „Ich wusste gar nicht, dass die Uiguren ein Indianerstamm in Nordamerika sind.“ Sein Angebot, mich aufzuklären, lehnte ich ebenso kategorisch ab, wie er meinen Versuch, ihn über den Genozid an den amerikanischen Ureinwohnern aufzuklären.

Die Kenntnisse über Xinjiang, das autonome Gebiet im Nordwesten Chinas, und seine dort lebenden zahlreichen ethnischen Minderheiten, zu denen die turksprachigen Uiguren gehören, sind derart unterbelichtet, dass sie jede Menge gegen China gerichtete Verschwörungserzählungen abwerfen. Dieses Unwissen wird ausgebeutet, um eine geradezu kriegslüsterne Stimmung gegen die Volksrepublik zu erzeugen. Dass die USA um ihre globale Vormachtstellung fürchten, können wir bestens nachvollziehen. Aber warum gerade Xinjiang? Die Antwort ist ziemlich einfach: Es geht um den Auf- und Ausbau interkontinentaler Handels- und Infrastrukturnetze zwischen der Volksrepublik und über 60 weiteren Ländern Afrikas, Asiens und Europas, die neue Seidenstraße: One Belt, one Road. Über dieses Mega-Projekt war man in Washington von Anfang an „not amused“. Aber man weiß dort auch, dass eine Hauptader der Straße durch die uigurische Hauptstadt Ürümqi führt. Obendrein weiß man, dass sich aufgrund der toleranten chinesischen Religions-, Nationalitäten- und Minderheitenpolitik mit regionaler Selbstverwaltung der Islam in Xinjiang ausbreiten konnte. Allerdings muss betont werden, dass nur die Hälfte der Uiguren der Glaubensgemeinschaft des Islam angehören. Viele ihrer Anhänger haben sich in den zurückliegenden Jahrzehnten angesichts ihrer jahrhundertelang erduldeten kolonialen und imperialen Unterdrückung politisiert und fundamentalisiert. Und das genau war der Grund, weshalb die USA Witterung aufgenommen und diese Konfliktlage zum Anlass genommen haben, um daraus Kapital schlagen zu können. Oder, um es profaner zu sagen: das Kriegsbeil gegen das Reich der Mitte ausgraben zu können. Denn auf dem imperialistischen Speiseplan steht seit der Machtübernahme der kommunistischen Partei unter Führung Mao Zedongs im Jahr 1949 das Reich der Mitte, weil es sich, hervorgegangen aus einem hundertjährigen Kampf um Selbstbestimmung und Würde, an die Spitze der nationalen und antikolonialen Befreiungsbewegungen gesetzt hat. Dies wiederum hat entgegen den eigentlich eigenen Interessen separatistische Hoffnungen innerhalb der vom Islam geprägten beziehungsweise beeinflussten uigurischen Bevölkerung geweckt.

Die Neigungen zum uigurischen Separatismus sind also so alt wie die Volksrepublik selbst. Aber erst in den vergangenen Jahrzehnten haben sie sich in Gewalttaten entladen. In Xinjiang hat 2009 das „vermutlich mörderischste Pogrom in der Geschichte des Autonomen Gebiets“ stattgefunden, wie der Sozialwissenschaftler Jörg Kronauer schrieb. 134 Han-Chinesen wurden Opfer von Lynchmorden. Blutige terroristische Attentate wurden aber nicht nur in Xinjiang, sondern auch in anderen Landesteilen und sogar in Peking verübt. Überrascht und schockiert über das Ausmaß an Brutalität hat die chinesische Zentralregierung zunächst versucht, das Problem mit einem Soft-Power-Antiterrorprogramm in chinesischer Version in den Griff zu bekommen. Das war – wie man zu sagen pflegt – nicht zielführend. Noch 2016 kam es zu furchtbaren Terroranschlägen in Xinjiang. Danach wurde es ruhiger – in China! Nicht im „Westen“, weil die in Xinjiang eingerichteten Umerziehungslager zu Folterkammern umgedichtet wurden. Interessant ist, dass die von der mainstreamigen Presse ausgebreitete Decke die schlichte Tatsache verhüllt, dass ein Großteil der „Lager“-Insassen als islamistische Uigurischen (die Zahlen schwanken zwischen
10.000 und 20.000), möglicherweise sogar unter Anleitung der USA, auf Seiten der IS- und Al-Qaida-Terroristen in Syrien gekämpft haben. Inzwischen hat sich dort das Blatt gewendet und die „kampferprobten“ uigurischen Dschihadisten wurden zur Rückkehr nach Xinjiang animiert (von wem wohl?). Umgerüstet zu Demokratieaktivisten war ihre „Mission“ nun, Sabotageakte gegen die Neue Seidenstraße zu organisieren (in wessen Auftrag?). Dem hat die chinesische Regierung ohne Gummiknüppel und Wasserwerfer letztlich Einhalt geboten, was den Wertewesten stimuliert hat, sich an „unmenschlichen“ Haftbedingungen und „Foltermethoden“ zu berauschen. In der westlichen Menschenrechtsindustrie herrscht deshalb Hochbetrieb. Die Lager in Xinjiang haben den „Stasi-Folterkammern“ den Rang abgelaufen. Allerdings wird nun die ganz große Keule hervorgeholt. Das Urteil lautet nicht mehr und nicht weniger, als dass an den Uiguren ein Genozid verübt wurde beziehungsweise wird. Die Kenntnisse der Millionen Menschen des Westens über China im Allgemeinen und über die Menschenrechtslage in Xinjiang und anderen Landesteilen, vor allem auch über das Autonome Gebiet Tibet im Besonderen, sind, es sei nochmals betont, geringer als die über das Leben der Frösche am Südpol: Null. Eine Vorlage für Verschwörungsagenten dies- und jenseits des Atlantiks. Die Berichte über die Zustände in den skandalisierten Lagern lassen sich allzu leicht vermarkten. Aber genau hier wären die Journalisten gefordert, die sich doch so gern mit dem Prädikat „investigativ“ schmücken. Eine minimale Forderung wäre doch, erst einmal zu (hinter-)fragen, warum es die sogenannten Umerziehungslager überhaupt gibt. Täte man dies, würde man unweigerlich bei den oben genannten verübten blutigen Anschlägen uigurischer islamistischer Terroristen landen. Das aber lässt sich mit der angeblichen Menschenrechtsdiktatur nicht vereinbaren. Hier gilt nach wie vor der berüchtigte Satz, mit dem der US-Präsident F. D. Roosevelt die Außenpolitik seines Landes auf den Punkt gebracht hatte. Über den nicaraguanischen Henker und Diktator Somoza urteilte er einst: „Er ist ein Hurensohn, aber er ist unser Hurensohn.“ Ein solcher war auch Saddam Hussein und auch Muammar al-Gaddafi und viele andere, die nur nicht verstanden haben, dass ein freundschaftlicher Händedruck genauso viel wert ist wie ein befristeter Arbeitsvertrag. Das hatte auch Michail Gorbatschow nicht verstanden, als James Baker, der ehemalige US-Außenminister, ihm versprochen hatte, dass sich der Wirkungsbereich der NATO keinen Inch weit jenseits der deutschen Grenze ausdehnen würde.

Als 2018 der damalige US-Präsident Donald Trump aus dem INF-Vertrag ausstieg, haben dies seine Vasallen um Heiko Maas verteidigt. Russland habe mit seinem neuen Trägersystem den Vertrag verletzt. Als die russische Regierung den westlichen Partnern anbot, sich vor Ort davon zu überzeugen, dass von einer Verletzung des Vertrags keine Rede sein könne, haben die Geladenen kein Interesse bekundet. Ähnlich verhält es sich mit den Umerziehungslagern in Xinjiang. Eine von der chinesischen Regierung angebotene Besichtigung der „Lager“ wurde von deutschen und US-Politikern abgelehnt. Die Sorge um die Lebensfähigkeit ihres Verschwörungsdogmas stand mit allen jetzt verkündeten Sanktionen im Vordergrund. So erklärt sich auch die Ignoranz, mit der das Dokument einer Informationsreise von UNO-Diplomaten, Vertretern internationaler Organisationen und Journalisten nach Xinjiang „geehrt“ wurde. Die Teilnehmer kamen zu dem Befund, dass das, was sie sahen und hörten, im krassen Widerspruch zu dem stand, was in den westlichen Medien berichtet wird.

Bleibt die Frage, warum sich die UNO in Schweigen hüllt. Ihre Vertreter haben sich doch mehrfach in Xinjiang davon überzeugen können, dass es sich bei den „Lagern“ tatsächlich um Ausbildungszentren handelt, die eher einen Vergleich mit einem Pfadfindercamp zuließen. Sie hat noch 2019 die Minderheitenpolitik und die Religionsfreiheitpolitik Chinas gelobt, auch in Bezug auf die Uiguren, dies übrigens in Kenntnis, dass die inzwischen nicht mehr gültige Ein-Kind-Politik nie für die ethnischen Minderheiten galt, was zur Folge hatte, dass die uigurische Bevölkerung innerhalb der letzten 40 Jahre von fünf Millionen auf zwölf Millionen anstieg. Ein Genozid sieht anders aus. Kann man einen Staat als moralische Instanz akzeptieren, wenn dieser nicht willens ist, seine eigene Vergangenheit aufzuarbeiten? Gut, wir wissen, dass das viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Einfacher und bequemer ist es, die Sonne päpstlicher Unfehlbarkeit zu privatisieren. Aber irgendwann ist Schluss mit diesem Theater.

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"Hochbetrieb in der Menschenrechtsindustrie", UZ vom 18. Juni 2021



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