Die VVN-BdA Düsseldorf erinnert an Hitlers Auftritt im Industrie-Club vor 90 Jahren

Hitler und die Schlotbarone

Giesela Blomberg

Vergangenen Samstag versammelten sich 40 Antifaschistinnen und Antifaschisten vor dem Industrie-Club Düsseldorf, um an das Treffen der Industriellen von Rhein und Ruhr mit Adolf Hitler vor 90 Jahren an diesem Ort zu erinnern. An den Auftritt Hitlers vor den Konzernherren erinnert in der Elberfelder Straße in Düsseldorf nichts. Obwohl der 1912 gegründete Industrie-Club sich gerne als „Treffpunkt der Eliten“ betiteln lässt und auf seiner Internetseite mit „Offenheit, Toleranz, Verantwortung“ wirbt, bleibt dieses Kapitel der eigenen Geschichte ausgeblendet. Das enge Zusammenspiel von Monopolkapital und faschistischer Partei möchte man auch hier vergessen machen. Deshalb brachten die Organisatoren von der VVN-BdA Düsseldorf wie schon 2015 eine Mahntafel mit und befestigten sie provisorisch vor dem Eingang des Industrie-Clubs. Wir dokumentieren in leicht bearbeiteter Fassung die Rede von Giesela Blomberg.

Für den 26. Januar 1932 hatte der Industrie-Club, seinem Selbstverständnis nach der Treffpunkt der Eliten, durch seinen Vorsitzenden Karl Haniel, Geschäftsführer der Firma Haniel & Lueg sowie Aufsichtsratsmitglied der Oberhausener Gutehoffnungshütte, zu einem Vortrag von Hitler mit anschließendem Souper eingeladen.

Hitler war für die Industriellen an Rhein und Ruhr schon deshalb hochinteressant, weil aus der NSDAP eine Massenpartei geworden war und sie aus den Reichstagswahlen vom September 1930 als größter Gewinner hervorging.

Das Interesse der Industriellen war groß, so groß, dass auf den Ballsaal des damaligen Parkhotels, des heutigen Steigenberger Parkhotels, ausgewichen werden musste – und auch dort reichten die Sitzplätze für die 650 Teilnehmer nicht aus. Das gemeinsame abendliche Acht-Gänge-Menü mit Hitler ließen sich immerhin 500 Personen nicht entgehen. Es kostete sie jeweils das Dreifache dessen, was ein Arbeiter pro Tag verdiente.

Auch auf der Straße gab es ein Gedränge – Arbeiterinnen und Arbeiter, Gewerkschafter, Mitglieder der KPD und der SPD protestierten gegen das Treffen der Industrieelite mit dem Führer der Nazipartei. Die Demonstranten waren so zahlreich erschienen, dass Hitler, begleitet von Hermann Göring und SA-Chef Ernst Röhm, alle drei dem Anlass entsprechend im dunklen Zwirn, nur durch einen Nebeneingang ins Gebäude gelangen konnte. Dieser Eingang in der Elberfelder Straße 6–8 war völlig blockiert von den Protestierenden. Unter ihnen waren Maria Wachter und Fritz Hollstein. Maria war mit ihrer Agitproptruppe „Nord-West ran“ gekommen: „Wir standen in blauen Arbeitsanzügen und roten Tüchern vor dem Industrie-Club und riefen: ‚Hitler raus!‘ Dann kam die Polizei und hat uns alle zerstreut, aber nach kurzer Zeit standen wir wieder dort.“

„Die Polizei, teils zu Pferd, wurde gegen uns eingesetzt“, erinnerte sich Fritz, „weil wir warnend riefen: ‚Hitler – das ist Krieg!‘ Wir wurden verprügelt, manche wurden in den Keller des benachbarten Stadttheaters, des heutigen Opernhauses, gesperrt.“

Die KPD-Zeitung für das Rheinland und Westfalen, „Die Freiheit“, berichtete von Rufen wie: „Nieder mit dem Unternehmerlakaien Hitler“, auf die mit hundertfachem Echo „Nieder, nieder“ geantwortet wurde.

Hitlers Publikum
Drinnen versammelt waren Industriebosse wie Albert Vögler, Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke (VESTAG), des weltweit zweitgrößten Stahlkonzerns mit Sitz in Düsseldorf, Fritz Thyssen, Aufsichtsratsvorsitzender des Unternehmens, sowie dessen stellvertretender Vorstandsvorsitzende, Ernst Poensgen, um nur einige für Düsseldorf relevante Namen zu nennen. Laut Angaben des Industrie-Clubs waren Vertreter fast aller großen Unternehmen anwesend. Gustav Krupp wollte als gerade gewählter Vorsitzender des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI), der mächtigsten Industriellenvereinigung, nicht persönlich teilnehmen. Er bewirkte aber bei Haniel, dass zwei seiner Vertrauten an diesem Abend anwesend sein konnten.
Der damalige Düsseldorfer Oberbürgermeister Robert Lehr eröffnete den Abend. 20 Jahre später zum Bundesinnenminister arriviert, setzte derselbe Lehr die Verbotsverfahren gegen die FDJ und die KPD in Gang. Bis heute – Ehre, wem Ehre gebührt – trägt ein Teil des Düsseldorfer Rheinufers seinen Namen.

Statthalter des Monopolkapitals
Fritz Thyssen, einer der ersten Hitler-Fans, führte diesen in den Club ein. Hitler ging es darum, sich als Führer einer Partei zu präsentieren, die die Regierungsgeschäfte im Sinne der Industriellen übernehmen konnte.

Von dem Schreckenswort „Sozialismus“ – „nationaler“ oder auch nicht – war an diesem Abend nicht die Rede, auch nicht von Antisemitismus, dagegen viel von Zerschlagung der Arbeiterbewegung und Ausrottung des Marxismus. Ein diktatorischer Staat, so Hitler, wäre für die Privatwirtschaft weitaus förderlicher als demokratische Verhältnisse. Ein diszipliniertes, an Befehle gewöhntes Volk sei die beste Voraussetzung für die Eröffnung „neuer Möglichkeiten“ in der Welt. Die Zuhörer verstanden sehr wohl, dass es um Aufrüstung und einen erneuten Krieg als Revanche für den verlorenen Weltkrieg ging. Sie waren damit einverstanden.

Über die Stärke des Applauses gibt es unterschiedliche Angaben; Protest gab es keinen, auch nicht, als Thyssen die Versammlung mit dem Ausruf „Heil Hitler“ beendete.

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Die Widerstandskämpferin Maria Wachter, die 1932 vor dem Industrie-Club gegen den Auftritt von Hitler protestierte, hatte zeitlebens gefordert, dass am Gebäude in der Elberfelder Straße eine Mahntafel angebracht werden sollte. (Foto: Gisela Blomberg)

Selbstverständlich waren mit dem Treffen im Industrie-Club noch nicht alle Bedenken der deutschen Wirtschaftselite gegenüber der NSDAP beseitigt. Manche waren sich noch nicht sicher, ob die Parole eines nationalen Sozialismus nicht doch mehr war als bloße Rattenfängerei mit dem Ziel, die Arbeiter aus der KPD und SPD in die NSDAP zu ziehen. Ein wichtiger Schritt der Annäherung war mit dem Treffen jedoch vollzogen.

Plan der Macht­übertragung
Schon tags darauf folgten auf Thyssens Landsitz Geheimverhandlungen von Thyssen, Vögler und Poensgen mit Hitler, Göring und Röhm – und das war nur eines von mindestens 20 weiteren Treffen zwischen Hitler und den Industrievertretern vor dem 30. Januar 1933.

Aufgrund des finanziellen Potenzials, das die Mitglieder des Industrie-Clubs repräsentierten, erwarteten die Nazis nach dem 26. Januar 1932 zu Recht weitere großzügige Spenden für den aufwendigen Parteiapparat, für ihre beiden Bürgerkriegsarmeen SA und SS und für die kostspielige Propaganda.

Es ist hier kein Platz, alle offenen und verschlungenen Wege, die zur Machtübergabe an den Hitlerfaschismus am 30. Januar 1933 führten, nachzuzeichnen. Aber ohne die aktive Unterstützung der Großindustrie, der Großbanken, ihrer einflussreichen Verbände und der Großgrundbesitzer wäre es dazu nie gekommen. Das wurde nach 1945 selbst im bürgerlichen Lager nicht mehr bestritten. Noch 1946 formulierte deshalb die CDU in ihrem Ahlener Programm: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. (…) Inhalt und Ziel (einer) sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.“

Der Kölner Bankier Kurt von Schröder, der eine besonders aktive Rolle bei der Vorbereitung der Machtübergabe an Hitler gespielt hatte, sagte vor dem Nürnberger Gericht aus: „Die allgemeinen Bestrebungen der Männer der Wirtschaft gingen dahin, einen starken Führer in Deutschland an die Macht kommen zu sehen (…) Als die NSDAP am 6. November 1932 einen ersten Rückschlag erlitt und somit also ihren Höhepunkt überschritten hatte, wurde eine Unterstützung durch die deutsche Wirtschaft besonders dringend.“

Und der US-amerikanische Militärjurist Telford Taylor, der Hauptankläger im Nürnberger Nachfolgeprozess gegen die I. G. Farben, stellte unmissverständlich fest: „Ohne die Zusammenarbeit der deutschen Industrie und der Nazi-Partei hätten Hitler und seine Parteigenossen niemals die Macht in Deutschland ergreifen und festigen können, und das Dritte Reich hätte nie gewagt, die Welt in einen Krieg zu stürzen.“

Befreiung und Restauration
Nach der Befreiung wurden in Düsseldorf Kommunistinnen und Kommunisten in die Stadtverwaltung und ihre Gremien aufgenommen. So gab es 1946 mit Peter Waterkortte einen Kommunisten als Bürgermeister und der Kommunist und Widerstandskämpfer Hanns Kralik wurde von den Briten als Kulturdezernent eingesetzt. Im Schulausschuss saß die bekannte Kommunistin Minne Arzt.

Im Zuge des Kalten Krieges jedoch erfolgte die Entnazifizierung und Rehabilitierung der Unterstützer des Faschismus, während alle, die sich gegen die geplante Wiederaufrüstung stellten, kriminalisiert wurden. Deren Schicksal schildert Hannah Eggerath, die selbst ein Opfer der Verfolgung wurde, eindrucksvoll in der gerade von der VVN-BdA Düsseldorf herausgegebenen Dokumentation „Politisch Inhaftierte in der Nachkriegszeit auf der Ulm“.

Lernen aus der Geschichte
Heute wird alles getan, um den engen Zusammenhang zwischen Kapitalismus, Faschismus und Krieg vergessen zu machen, wie wir es unter anderem an der Umgestaltung vieler Gedenkstätten bemerken können.

Im Januar 1932 hatten die Kommunisten selbstverständlich keinen Zutritt zu der Versammlung im Industrie-Club. Daher verlegte sich „Die Freiheit“ darauf, zehn brennende Fragen der Industriellen an Hitler zu formulieren und die Antworten den NS-Parteidokumenten und Reden der Parteiführung zu entnehmen.

So lautete die Antwort auf die Frage, ob Hitler die „Richtigkeit und Zweckmäßigkeit der kapitalistischen Wirtschaftsführung“ anerkenne: „Voll und ganz. Ich weise nur auf das hervorragendste und weitbekannteste Beispiel kapitalistischer Wirtschaftsführung durch den von mir besonders verehrten Herrn Ford hin. Nicht minder hoch sind in dieser Hinsicht die wirklich großen Schöpfer unserer Schwerindustrie einzuschätzen, die Krupp, Kirdorf, Mannesmann, Thyssen, Siemens.“

Eine andere Frage hieß: „Sie wissen, Herr Hitler, dass unsere wirtschaftlichen Gewinne auch durch die sogenannte Sozialpolitik beeinträchtigt werden, durch die Beträge, die wir für Krankenkasse, Invalidenversicherung und Arbeitslosenversicherung abzuführen haben. Wie stehen Sie zur Sozialpolitik und insbesondere zur Arbeitslosenunterstützung?“

Antwort: „Es wird nicht zu umgehen sein, dass die (…) Sozialpolitik fällt, die in Wirklichkeit nichts ist als die Stabilisierung des Versorgungsstaates zur Heranzüchtung eines Lumpenproletariats (…) Die Arbeitslosenpolitik macht arbeitsscheu. Man kann schon von einer Arbeitsflucht reden, selbst die fleißigsten Elemente werden angesteckt.“
Zu Recht stellen wir uns heute gegen die AfD – eine Partei, in der faschistische Kräfte zunehmend an Einfluss gewinnen. Aber wie würden solche Fragen heute denn – natürlich nicht in aller Öffentlichkeit, sondern vor einem mit dem exklusiven Industrie-Club vergleichbaren Gremium – von den Parteien beantwortet, die die jetzige Bundesregierung stellen? Würden sie grundsätzlich andere Antworten geben?

Nein – solange die Parteien des „demokratischen Spektrums“ in der Lage sind, die Bevölkerung stillzuhalten, bedarf es der AfD noch nicht. Sie hilft dabei, das gesamte politische Spektrum nach rechts zu drücken, ist aber noch nicht die notwendige Alternative für die wirklich Mächtigen in Deutschland. Das lässt sich schon daran ablesen, dass die größten Spenden vor der Bundestagswahl 2021 an die FDP, die CDU und – nicht zu vergessen – an die Grünen gegangen sind, also an die ehemalige Friedenspartei, die sich heute im Namen einer „regel und wertebasierten Außenpolitik“ besonders stark macht für eine verschärfte Einkreisung Russlands – und jetzt auch der VR China – durch die NATO.

Unsere Kundgebung gilt Hitlers Rede vor dem Industrie-Club vor 90 Jahren im Januar 1932. Es kann nicht schaden, sich auch an ein Ereignis fast genau zehn Jahre später zu erinnern: Am 15. Januar 1942 war Hitler gezwungen, nach der Niederlage in der Schlacht um Moskau der faschistischen Wehrmacht den Rückzugsbefehl zu geben. Der geplante „Blitzkrieg“ gegen die UdSSR – im Volksmund: gegen die „Russen“ – war damit gescheitert. Ein weiteres Jahr später – im Januar 1943 – läutete die Niederlage von Stalingrad auch das Ende der Weltmachtpläne des faschistischen deutschen Imperialismus ein.

Gegen das Wiederaufleben dieser Pläne, jetzt im „transatlantischen Bündnis“ mit den USA, müssen wir uns heute wehren.

Mehr denn je braucht es eine starke Friedens- und antifaschistische Bewegung!

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"Hitler und die Schlotbarone", UZ vom 4. Februar 2022



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