Mehr Wahlsiege, mehr Regierungsbildungen und mehr Amtszeit für Benjamin Netanjahu als für jede und jeden anderen Ministerpräsidenten Israels – nennt man das historisch? Oder ist die Regierungsbeteiligung durch ultrarechte Parteien und die verbundene Aussicht auf mehr Religion im Staatsapparat und die Ausweitung der Siedlungs- und Annexionspolitik historisch zu nennen?
Die ehemalige Botschafterin Israels in Paris, Yael German, warnte jedenfalls vor ihrem Rücktritt, die neue Regierung würde durch ihre geplante Politik und ihre extremen Positionen die „Demokratie aufs Spiel setzen“. Netanjahus Vorgänger Jair Lapid sieht für Israel eine dunkle, von religiösen Gesetzen bestimmte Zukunft.
Und Ex-Verteidigungsminister Benjamin Gantz traf sich mit dem Präsidenten Palästinas, betonte, wie notwendig die Zusammenarbeit der jeweiligen Sicherheitsapparate sei und drohte zugleich: palästinensische Alleingänge gegen Israel in den Vereinten Nationen würden den Interessen der Palästinenser schaden.
Die Regierung Netanjahu indessen zeigt auf der internationalen Bühne ihr freundlichstes Gesicht. Amir Ohana, der Israels erster offen schwuler Minister war, wurde zum Präsidenten der Knesset gewählt. Und Joaw Galant, der jetzige Verteidigungsminister und ehemalige Kommandeur des Südlichen Armeekommandos, schrieb in der „New York Times“, für wie wichtig er es halte, dass jüdische und arabische Politiker zusammenarbeiten, um den Frieden zu fördern. Ähnliches gilt für Außenminister Eli Cohen.
Doch die hochrangigen Vertreter der Religiös-Zionistischen Partei (RZP) und Regierungsmitglieder Orit Struck und Simcha Rothman schlugen mittlerweile vor, das Antidiskriminierungsgesetz so zu verändern, dass Diskriminierungen zulässig würden. Ein jüdischer Arzt sollte zum Beispiel die Behandlung von Muslimen verweigern könnte. Dieser Vorschlag wurde sogleich zurückgewiesen, als die Oberrabbiner erklärten, die jüdische Religion verlange Unparteilichkeit gerade von Ärzten.
Doch der Koalitionsvertrag sieht auch vor, die Annexionspolitik weiter zu treiben. „Die Nation Israel hat ein natürliches Recht auf das Land Israel“, heißt es im Abschnitt 118 des Vertrags. Zwar wird die Umsetzung dieses selbst gegebenen Rechts durch nationale und internationale Interessen womöglich eingeschränkt und die Grenzen sind nicht eindeutig definiert. Doch unbestritten – aus israelischer Sicht – ist die Souveränität über die besetzten Golanhöhen. Israel und die USA, die diesen Anspruch anerkennen, sind damit weltweit isoliert.
Die Vereinbarung zwischen Netanjahus Likud und RZP sieht weiterhin vor, 70 inoffizielle Siedlungen auf der Westbank nachträglich zu legalisieren. Und noch wichtiger: Die „Zivilverwaltung“ der besetzten Gebiete soll aus dem Aufgabenbereich der Armee entfernt und dem Finanzminister und Chef der RZP, Bezalel Smotrich, zugewiesen werden. Smotrich soll zudem eine Rolle auf Ministerebene innerhalb des Verteidigungsministeriums spielen, mit unmittelbarer Aufsicht über die Entscheidungsprozesse im „Area C“ der Westbank, wo sich die israelischen Siedlungen befinden und 300.000 Palästinenser leben. Unter seiner Aufsicht werden Verwaltungstätigkeiten aus der „Zivilverwaltung“ in die Fachabteilungen der zuständigen Ministerien übergehen – eine De-facto-Annexion.
Die weiter ausgedehnte Siedlungstätigkeit führt zu immer mehr Protesten auf der Westbank. Und Ayman Odeh, Knesset-Abgeordneter der linken Chadasch-Ta’al, erhofft sich als Reaktion auf die Politik Netanjahus für die Zukunft Massenproteste auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv – von jüdischen und arabischen Bürgern gemeinsam.