Autobiografie von Walter Schmidt

Historiker aus Leidenschaft

Von Günter Wehner

Walter Schmidt

Erinnerungen eines Deutschen Historikers

Vom schlesischen Auras an der Oder übers vogtländische Greiz und thüringische Jena nach Berlin.

trafo Verlagsgruppe

Dr. Wolfgang Weist

Berlin 2018, 558 S., 29,80 Euro

ISBN 978–3-86465–112-0

Außerordentlich bildhaft beschreibt der marxistische Historiker Walter Schmidt (geb. am 11. Mai 1930 in Protsch-Weide) in seiner Autobiografie, die 2018 im trafo-Verlag erschienen ist, seine Herkunft und seine Kindheit in der schlesischen Kleinstadt Auras unweit von Breslau. Trotz schwieriger Lebensverhältnisse ermöglichten ihm seine Eltern den Besuch einer weiterführenden Privatschule. Um der „NS-Napola“-Schule zu entgehen schickte ihn sein Vater in die Breslauer Gudenatzsche Privatschule. Der Autor schildert Schwierigkeiten des Schulbesuches und insbesondere das Schicksalsjahr 1943. In jenem Jahr wurde sein Vater, der von Beruf Elektriker war, vom Leiter des Zobtener Arbeitsdienstlagers wegen antifaschistischer Äußerungen denunziert. Er wurde verhaftet. Im ersten Prozess gegen Josef Schmidt wurde dieser im Mai 1943 wegen „Heimtücke“ zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Infolge der verschärften Kriegsgesetze hob der Volksgerichtshof das Urteil als zu milde auf und im nachfolgenden Prozess vor dem Volksgerichtshof wurde Walter Schmidts Vater wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zum Tode verurteilt und dann hingerichtet. Lakonisch berichtet der Autor, „das Leben ging nach dem November 1943 für mich scheinbar normal weiter“. (S. 74)

Einfühlsam schildert Schmidt seine Familienangehörigen, Mitschüler, Spielgefährten und Lehrer. Er geht dabei auch auf deren weitere Lebenswege ein. Diese Eigenheit des Autors, das Schicksal lieb gewonnener Personen ständig weiterzuverfolgen, trifft auch auf Studiengefährten, Mitarbeiter und Mitstreiter in seinen späteren Wirkungsstätten zu und durchzieht die gesamte Publikation.

In den zwei folgenden Kapiteln beschreibt der Autor ausführlich seinen weiteren Oberschulweg und die Studienjahre in Jena. Er belegte dort an der Universität die Fächer Geschichte und Slawistik. Auch hier verknüpft Schmidt private, familiäre Fakten mit politischen und wissenschaftlichen. Auffällig ist der große Respekt, den er seinem Hochschuldozenten Karl Griewank entgegenbringt. Auf ihn und seine vielfältigen Anregungen kommt Walter Schmidt immer wieder zurück.

Das umfangreichste Kapitel der Autobiografie ist seinem Werdegang als Historiker zunächst am Institut (ab Dezember 1976 Akademie) für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED und später an der Akademie der Wissenschaften der DDR in der Zeit von 1953 bis 1990 gewidmet. Schmidt beschreibt dabei humorvoll, wie er auch in die vielfältigen Lehrverpflichtungen und Betreuungsaufgaben hineinwuchs.

Die Leserinnen und Leser erfahren dabei, dass er zunächst die Leitung des Lehrstuhls „Geschichte der Arbeiterbewegung“ übernahm und später auch Direktor des gleichnamigen Institutes wurde, nachdem die wissenschaftliche Einrichtung Akademie geworden worden war. Sein bevorzugtes Forschungsfeld wurde das 19. Jahrhundert. Insbesondere beschäftigte ihn die Revolution von 1848/49 und deren Wirkung bis in die Gegenwart. Zu Recht gilt seine illustrierte Geschichte dieser Revolution als Standardwerk (Berlin 1973, 2. Auflage 1975, 3. ergänzte und überarbeitete Auflage 1988).

Als Mittfünfziger übernahm er dann ab 1. September 1984 die Direktion des Zentralinstitutes für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR. Er beschreibt diese Berufung als tief greifende Veränderung in seinem wissenschaftlichen Leben. Den Zusammenbruch der DDR erlebte Walter Schmidt als Direktor des Zentralinstitutes für Geschichte. Doch im Gegensatz zu nicht wenigen DDR-Historikern resignierte er nicht, sondern forschte und engagierte sich weiter. Zum Beispiel sicherte er maßgeblich das Projekt der Marx-Engels-Gesamtausgabe mit ab. Er blieb als Gründungsmitglied der Leibniz-Sozietät und „Privatgelehrter“ produktiv.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Historiker aus Leidenschaft", UZ vom 12. April 2019



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Haus.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit