Bulgarien ist das ärmste Land der Europäischen Union

Hinterhof und Pulverfass

Von Anton Latzo

Bulgarien, einst Synonym für sonnigen Urlaub, für Ruhe und Erholung, wird, wie seine Nachbarn Rumänien und Griechenland, zu einem Herd zunehmender Widersprüche und Gefahren am Schwarzen Meer und am Bosporus.

Nach dem antisozialistischen Umsturz1989 kamen der IWF und die Weltbank mit ihren räuberischen „Hilfen“. Es kam die EU (Mitglied seit 2007) mit ihren Auflagen – und Deutschland war dabei. Es kamen schließlich die USA und die NATO (Mitglied seit 2005), die das Feld nicht anderen überlassen wollten. Der Kampf um das Schwarze Meer als strategische Region des Imperialismus gegen Russland und um den Kreuzungspunkt verschiedener Handels- und Transportwege war eröffnet. Und das auf Kosten der Menschen in Bulgarien und in seinen Nachbarstaaten!

Die innere Entwicklung des Landes wurde entsprechend den Interessen und Zielen des ausländischen Kapitals, der imperialistischen Mächte gestaltet. Geworben wurde mit dem Versprechen „blühender Landschaften“. Die Menschen, die daran glaubten, wurden betrogen. Nationale Interessen, Bedingungen und Traditionen wurden durch das Anfachen des Nationalismus bis zur Unkenntlichkeit verfälscht und aus der Politikbestimmung eliminiert.

Die inneren Verhältnisse in Bulgarien werden durch die negativen Folgen charakterisiert, die die Restauration des Kapitalismus und der Druck der EU erzeugt haben, um die Bedingungen für die Aufnahme als Mitglied der EU zu erfüllen. Bulgarien gilt nach seinem EU-Beitritt als ärmstes Land innerhalb des imperialistischen Zweckbündnisses. Die Verhältnisse, die bis 1945 das Leben der Menschen bestimmten, in denen das Land auf dem Balkan zur Peripherie Europas gehörte, sind zurückgekehrt. In der Schattenwirtschaft werden 32 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erzeugt. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 12,5 Prozent, 2008 waren es noch 6,5. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 23 Prozent. Der Durchschnittslohn beträgt 452 Euro. Rund 80 Prozent der bulgarischen Haushalte leben von weniger als 304 Euro im Monat pro Haushaltsmitglied.

Die Arbeitslosigkeit liegt

in Bulgarien offiziell bei 12,5 Prozent,

die Jugendarbeitslosigkeit bei 23 Prozent.

Die politische Stabilität nimmt ab. In den letzten gut zwei Jahren haben nicht weniger als fünf Regierungen in unterschiedlicher politischer Zusammensetzung versucht, die Interessen des in- und vor allem des ausländischen Kapitals und der imperialistischen Regierungen durchzusetzen. Die Privatisierung der Industrie und der öffentlichen Daseinsfürsorge wurde durchgesetzt. 1997 wurde ein Währungsrat eingesetzt, der die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik der direkten Kontrolle internationaler Finanzinstitutionen auslieferte.

Die Krise in und um die Ukraine und die Widersprüche zwischen der EU und USA einerseits und Russland andererseits haben auch in Bulgarien zusätzlich heftige Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen politischen Lagern und rivalisierenden Gruppen ausgelöst. Die traditionell enge wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit Russland ist für das EU- und NATO-Mitglied Bulgarien nur unter wachsenden Schwierigkeiten aufrechtzuerhalten.

Die USA und die EU verstärkten zunächst den Druck auf Bulgarien, den Bau der Erdgasleitung South Stream auf Eis zu legen, weil sie hofften, damit Russland unter Druck zu setzen und zu schädigen. Die Energiepolitik ist eines der dominierenden Themen in den Beziehungen zwischen Bulgarien und den USA. Die USA sind daran interessiert, das von Gazprom betriebene South-Stream-Projekt zu verhindern. Es würde die russische Schwarzmeerküste mit Bulgarien verbinden und Russland in die Lage versetzen, jährlich 63 Milliarden Kubikmeter Erdgas unter Umgehung der Ukraine direkt nach Bulgarien, Serbien, Ungarn, Slowenien, Österreich und Italien zu liefern. Auch Sofia hätte profitiert, durch die Gebühren, aber auch aufgrund der Tatsache, dass Bulgarien zu einem wichtigen Transitstaat geworden wäre. Die EU und Deutschland befürchten eine energetische Unabhängigkeit der Länder Südeuropas. Nach dem Stopp des Baus durch Russland sind die Probleme nicht gelöst!

Ein weiterer Schwerpunkt für die USA ist die Erhöhung der permanenten militärischen Anwesenheit in Bulgarien. Am 28. April 2006 wurde ein entsprechender Vertrag abgeschlossen. Bereits ein Jahr vorher war ein ähnliches Abkommen mit Rumänien vereinbart worden. Bisher wurden ein Truppenübungsplatz in Novo Selo für die Ausbildung von Bodentruppen, ein Luftwaffenstützpunkt in Besmer (Transport von Truppen und Technik), ein Luftwaffenstützpunkt in Graf Ignatievo, ein Lagerhaus-Stützpunkt Ajtos errichtet. Experten zählen Besmer zu den sechs wichtigsten US-Stützpunkten außerhalb der USA. Während des Besuches von Außenminister John Kerry im Frühjahr 2015 in Bulgarien wurde die Einrichtung weiterer bilateraler Arbeitsgruppen beschlossen, die sich mit den Bereichen Verteidigung und Sicherheit beschäftigen.

Im März 2015 änderte das bulgarische Parlament das Streitkräftegesetz dahingehend, dass in dem Balkanland ein NATO-Koordinierungszentrum für die neue superschnelle Eingreiftruppe eingerichtet werden kann. Es soll Ende 2015 funktionsfähig sein.

Die USA und die EU sind sich einig, Bulgarien zu nutzen um ihre geostrategischen Vorhaben zu verwirklichen. Sie stoßen auf Widersprüche, wenn es darum geht, wessen Interessen Priorität genießen. Dabei geht es aber nicht um bulgarische Interessen!

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"Hinterhof und Pulverfass", UZ vom 7. August 2015



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