Der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele referierte auf der Tagung „150 Jahre Pariser Commune“ der Marx-Engels-Stiftung zum Umgang von Marx, Engels und Lenin mit den Erfahrungen der französischen Revolutionäre
Marx und Engels analysierten genau die Unzulänglichkeit der Kommune. Sie erkannten und kritisierten das Zögern beim Marsch auf Versailles. Sie erkannten und kritisierten die Halbherzigkeit in der Herstellung gesellschaftlichen Eigentums und damit das Zögern, der Bourgeoisie den Springquell ihrer Macht zu entreißen. Aber Marx und Engels studierten sofort das Neue der Kommune, sie zogen weitgehende Schlussfolgerungen in der Staatsfrage, die später von Lenin als Grundlage für seine Überlegungen in „Staat und Revolution“ verwendet wurden. Und Lenins Werk wurde dann – basierend auf der Kommune, basierend auf der Analyse von Marx und Engels – zur Blaupause des Umgangs mit dem revolutionären Übergang und dem revolutionären Aufbau. Es war die Blaupause für den Sieg und die Verteidigung der Oktoberrevolution, jener Zäsur in der Geschichte, die die heutige Menschheitsepoche einleitete, die nach wie vor davon gekennzeichnet ist, dass sie die Epoche des Übergangs der Menschheit vom Kapitalismus zum Sozialismus ist, wenn sie nicht zur Epoche des Übergangs in die Barbarei oder Schlimmeres werden soll.
Die Kommune war also Grundlage der Oktoberrevolution. Sie war damit Grundlage der Entwicklung des Sozialismus in staatlicher Form und ist es bis heute, weil ja nur Ignoranz und Eurozentrismus übersehen lassen, dass in Kuba, Vietnam, China, Laos um den Aufbau des Sozialismus gerungen wird, die KDVR ihren Weg fern des Kapitalismus geht.
Lehren aus der Kommune
Marx, Engels und Lenin wussten um die Unvollkommenheit der Maßnahmen der Kommune, sie wussten, dass diese Unvollkommenheit die Grundlage für den Sieg der Konterrevolution legte, und trotzdem waren die Kommunarden für sie Himmelsstürmer, sie verteidigten sie mit Empathie und machten vor allem deutlich, dass die Analyse unserer Niederlage nichts mit der Propaganda der Konterrevolution zu tun haben kann. Vor den Mördern der Arbeiterklasse, der Kommune, kann es keine Entschuldigung für die Kommune geben, ohne dass sich die Söhne und Töchter der Kommune selbst den Mördern ausliefern oder sich mit ihnen gemein machen.
Dafür steht der letzte Satz von Marxens Schrift „Der Bürgerkrieg in Frankreich“: „Das Paris der Arbeiter, mit seiner Kommune, wird ewig gefeiert werden als der ruhmvolle Vorbote einer neuen Gesellschaft. Seine Märtyrer sind eingeschreint in dem großen Herzen der Arbeiterklasse. Seine Vertilger hat die Geschichte schon jetzt an jenen Schandpfahl genagelt, von dem sie zu erlösen alle Gebete ihrer Pfaffen ohnmächtig sind.“
Lenin verweist in „Staat und Revolution“ auf die Methode von Marx: „Bei Marx findet man auch nicht die Spur von Utopismus in dem Sinne, daß er sich die ‚neue‘ Gesellschaft erdichtet, zusammenphantasiert. Nein, er studiert – wie einen naturgeschichtlichen Prozess – die Geburt der neuen Gesellschaft aus der alten, studiert die Übergangsformen von der alten zur neuen. Er hält sich an die tatsächlichen Erfahrungen der proletarischen Massenbewegung und ist bemüht, aus ihr praktische Lehren zu ziehen. Er ‚lernt‘ von der Kommune, wie alle großen revolutionären Denker sich nicht gescheut haben, aus den Erfahrungen der großen Bewegungen der unterdrückten Klasse zu lernen, ohne jemals pedantische ‚Moralpredigten‘ an sie zu richten (in der Art von Plechanow: ‚Man hätte nicht zu den Waffen greifen sollen‘ oder Zereteli: ‚Eine Klasse muss sich Selbstbeschränkung auferlegen‘).“
Es kommt nicht von ungefähr, dass man sich bei den Zitaten, über die Lenin sich lustig macht, an den Umgang mancher „Linker“ mit der heutigen Geschichte des Sozialismus erinnert fühlt.
Kommune und DDR
Im letzten Jahr jährte sich zum dreißigsten Mal die Annexion der DDR, dieses Jahr jährt sich – gleichfalls zum dreißigsten Mal – die endgültige Liquidierung der Sowjetunion, beides Schlusspunkte der Konterrevolution in der DDR und der Sowjetunion.
Seit dieser Zeit beschäftigen sich Kommunistinnen und Kommunisten, Revolutionäre, Marxistinnen und Marxisten mit der Niederlagenanalyse. Das war und ist gut, notwendig und wichtig – wir haben manches gelernt. Einiges will ich kurz nennen:
Wenn die Kommunistische Partei nicht mehr in der Lage ist, ihre Avantgarderolle in der Arbeiterklasse wahrzunehmen, ist die Arbeiterklasse nicht mehr in der Lage, gesellschaftliche Avantgarde zu sein – eine wesentliche Voraussetzung für die Konterrevolution.
Illusionen in den Imperialismus, in den herrschenden Kapitalismus, in eine vermutete Fairness im Umgang mit der sozialistischen Systemalternative sind fehl am Platz. Solange der Kapitalismus ein Quäntchen Perspektive hat, wird er versuchen, mit allen Methoden und auf allen Feldern – also militärisch, politisch und ökonomisch – den Sozialismus zu liquidieren. Dabei hat er sein Repertoire vervollkommnet: Die „Farbenrevolution“, also das Ausnützen innerer Widersprüche, erspart oft die militärische Intervention – Todesopfer und Gewalt bedeutet sie trotzdem.
Es ist immer ein erbitterter Kampf um die Befriedigung der Bedürfnisse der Massen. Das setzt einen Kampf um Produktivität, um die Entwicklung der Produktivkräfte voraus. Allerdings erkennen wir das Problem, dass Fortschritte bei den Bedingungen für die Entwicklung der Produktivkraft Mensch oft schwerer zu vermitteln sind als andere. So blieben Verbesserungen im Gesundheits- und Bildungswesen, in der Kultur und so weiter im Massenbewusstsein oft hinter der Befriedigung materieller Bedürfnisse der direkten Konsumption zurück. Vor allem, wenn es um den Vergleich der gesellschaftlichen Situation im Sozialismus mit der in den Schaufenstern des Kapitalismus geht und ging.
Die Frage des Bewusstseins ist ohnehin eine zentrale. Sozialistische Demokratie, die ideologische Arbeit des nach wie vor mächtigen Kapitalismus/Imperialismus von außen, die Überreste des Denkens der alten Ausbeutergesellschaften im Inneren, die realen Widersprüche der neuen Gesellschaft im Inneren und deren Verarbeitung sind selbst ein permanentes Widerspruchsfeld.
Ich meine, dass es überfällig ist, die resignativen Tendenzen abzulegen, die uns in den letzten dreißig Jahren begleitet haben, wenn wir uns in die Tradition des Umgangs unserer Klassiker mit der Pariser Kommune stellen wollen.
Leistungen des Sozialismus
Wie bei der Analyse, mit der Marx, Engels und Lenin an die Pariser Kommune herangingen, heißt das – neben der Frage nach den Ursachen –, auch diejenige nach den Errungenschaften, den Ausgangsbedingungen für diese Errungenschaften, dem Weg ihres Erreichens, den Kräftekonstellationen, die dies zuließen, zu stellen.
Offensichtlich war es in der DDR gelungen, eine tief verankerte Freundschaft mit den Völkern der Sowjetunion herzustellen. Wie war das möglich nach Jahrzehnten antirussischer und antisowjetischer Agitation und Propaganda? Wie konnte die Freundschaft so stabil werden, dass es selbst heute, dreißig Jahre nach der Konterrevolution, signifikante Unterschiede zwischen Deutschland-West und Deutschland-Ost gibt und im Osten die derzeitige antirussische Kriegspropaganda noch weniger eine Chance hat als im Westen?
Die unnatürliche Trennung zwischen einer sogenannten Hochkultur und einer Breitenkultur war aufgehoben. Die ganze Vielfalt der Kultur, die historische und die aktuelle, stand den Massen zur Verfügung und wurde von den Massen genutzt. Dafür standen Theater, Opern, Museen genauso wie das Literaturangebot sowie deren Zugänglichkeit, unabhängig vom Geldbeutel, und deren massenhafte Nutzung.
Welche Fortschritte im Städtebau erreicht waren, kann man gut erkennen, wenn man heute durch viele Städte auf dem Gebiet der annektierten DDR geht. Inmitten kleiner Blocks der sogenannten „Platte“ findet sich heute oft Leerstand, manchmal Ruinen. Es sind die früheren Sozialeinrichtungen, die der wohnortnahen Sicherstellung von Einkaufsmöglichkeiten, Jugendtreffs, Kindertageseinrichtungen und Ähnlichem dienten. Neben den niedrigen Mieten und Nebenkosten eine gigantische Veränderung: Städtebau nicht mehr dem Profit unterworfen, sondern den Interessen der Bewohner dienend. Und weil das seit der Konterrevolution nicht mehr so ist, gibt es heute die Ruinen.
Allgemeine Krise
Heute wird zu Recht viel über die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, den menschengemachten Anteil an der Veränderung des Klimas diskutiert. Der Kapitalismus zeigt sich dabei ideologisch raffiniert: Von der Verantwortlichkeit seiner Produktionsweise, von der Verantwortlichkeit seiner Aggressivität als Ursache ablenkend, individualisiert er das Problem. Wir alle sind doch Klimasünder und bevor jemand auf die Verantwortung der Monopole oder gar ihres Systems zeigt, zahle er doch die CO2-Steuer für seine Sündhaftigkeit. Wie weit war da doch die DDR hinsichtlich eines Kernstücks der heutigen Notwendigkeit, der Verkehrswende. Die Mobilität von Menschen und Gütern war Daseinsvorsorge und gesellschaftliche Aufgabe. Selbst der „SPIEGEL“ musste Anfang der Neunziger Folgendes zugeben: „Die Deutsche Reichsbahn der DDR hat im Güterverkehr die beherrschende Stellung. Fast drei Viertel der Transportleistung erbringt die Bahn. Nur 20 Prozent der Transporte laufen über die Straße. Im Westen ist das Verhältnis umgekehrt. (…) Bei der Personenbeförderung schneiden die öffentlichen Verkehrsmittel in der DDR ebenfalls gut ab. Der Individualverkehr – Autos, Motorräder und Mopeds – hat im Osten einen Anteil von 60 Prozent, in der Bundesrepublik aber von mehr als 80 Prozent. (…) ‚Transport-Normative‘ der Regierung schrieben den Betrieben vor, welche Güter noch auf welchen Distanzen über die Straße transportiert werden durften. (…) Die DDR verfügt über das dichteste Schienennetz Europas – mit 14.000 Kilometern ist es fast halb so lang wie das in der weit größeren Bundesrepublik.“ Und heute? Ihr wisst es selbst: Streckenstilllegungen, Autobahnbau, Verlagerung des Güterverkehrs und damit der Lagerhaltung auf die Straße – Lagerkosten gespart, zum Steuerzahler verlagert, Umwelt belastet.
Die aktuelle Krise des Kapitalismus, ihre Verstärkung durch die Pandemie und die Instrumentalisierung der Pandemie zur Abwälzung der Krisenlasten auf die Werktätigen hat bereits heute Millionen Minijobs und Arbeitsplätze gekostet, weitere Millionen bezahlen ihre Verschiebung zur industriellen Reservearmee dadurch selbst, dass sie Kurzarbeitergeld beziehen, welches aus den Töpfen der Arbeitslosenkasse finanziert wird, die sie gefüllt haben. Die Frage des Rechts auf Arbeit steht mit dramatischer Massivität auf der Tagesordnung. Die Zuspitzung wird weitergehen. Eine Pleitewelle kleiner und mittlerer Betriebe steht bevor, eine neue Welle der Privatisierung öffentlichen Eigentums droht. Wie weit war doch hier der reale Sozialismus in Europa, wie anders agiert das sozialistische Kuba, trotz mörderischer Blockade. Wie anders die VR China, die inmitten der Pandemie verkünden kann, dass die absolute Armut überwunden ist und damit zahllose Menschen von ihr befreit worden sind.
Verlorenes zurück erkämpfen
Noch habe ich gar nicht gesprochen über die gigantische Leistung, den Imperialismus über Jahrzehnte zum Frieden zu zwingen. Darüber, dass es auf dem Boden eines Landes, dessen herrschende Klasse zwei verheerende imperialistische Weltkriege vom Zaun gebrochen hatte, gelungen war, mit der DDR einen Friedensstaat aufzubauen.
Ich habe noch nicht gesprochen über den Spielraum, den ein existierendes sozialistisches Lager für die Zerschlagung des Kolonialsystems geschaffen hatte.
Ich habe nicht davon gesprochen, dass der konterrevolutionäre Rückschlag von 1989 bis 1991 die Voraussetzungen dafür schuf, dass eine Bundesregierung aus SPD und Grünen dieses Land sowohl wieder zu imperialistischen Angriffskriegen ermächtigen konnte als auch mit den Agendagesetzen begann, den ganzen „Sozialklimbim“ abzubauen, den man für das Schaufenster gegenüber der DDR noch gebraucht hatte.
Und ich habe nicht davon gesprochen, wie weit die entscheidenden, die materiellen Grundlagen für die Befreiung der Frau gelegt waren, so dass auch heute – dreißig Jahre nach der Konterrevolution – noch Unterschiede im Selbstverständnis und im Selbstbewusstsein von Frauen in Ost und West spürbar sind.
Mir geht es vor allem darum, den einhundertfünfzigsten Jahrestag der Pariser Kommune zum Anlass zu nehmen, die Herangehensweise von Marx, Engels und Lenin an die Kommune auf unsere Herangehensweise an den realen Sozialismus in Europa und den existenten Sozialismus in Mittelamerika und Asien zu übertragen.
Nur so werden wir die Blaupause für den notwendigen nächsten Anlauf zeichnen können.
Unsere Himmelsstürmer, das sind die Generationen von Arbeiterinnen und Arbeitern, von Kommunistinnen und Kommunisten, die seit der Oktoberevolution den Sozialismus aufbauten und ihn an den diversen Fronten des Klassenkampfs verteidigten.
Unsere Himmelstürmer, das sind die Genossinnen und Genossen, die den Frieden und den Sozialismus mit ihrem Kampf in den Ländern des Kapitalismus/Imperialismus verteidigten.
Noch leben viele von ihnen – wir müssen den Reichtum ihrer Erfahrung erhalten.