Als „Wessi“ erdreiste ich mich nicht, ein nachträgliches Urteil über die DDR abzugeben, wohl aber meine seit Jahrzehnten – hauptsächlich durch das kapitalistische System im Westen – geprägten, oktroyierten Ansichten. Wenn es damals hierzulande (Westen) um die DDR ging, ertönte stets der gleichlautende Kanon: Erschießung von Grenzflüchtlingen an der deutsch-deutschen Grenze, Inhaftierungen bei verbotener Meinungsäußerung, Kommunisten-Staat (…), Schlange stehen vor spärlich bestückten Lebensmittelgeschäften (Bananenentzug), 18-jährige Wartezeit auf einen Sperrholz-Porsche (Trabi) und so weiter.
Jedoch wurde uns nichts verkündet von einem gegenseitig hilfsbereiten, stolzen, fleißigen, erfindungsreichen, familienfreundlichen und kriegsfeindlichen, empathischen Menschenschlag, den ich kurz nach der „Wende“ in der Nähe von Quedlinburg kennenlernen durfte.
Damals fuhr ich einen 40-Tonnen-Gliederzug. In einer kleineren Ortschaft (der Name ist mir leider entfallen), nachts gegen 23.30 Uhr, suchte ich eine Baustelle, auf der ich morgens um 6.30 Uhr entladen sollte. Womöglich hatte ich ein Hinweisschild übersehen, das mich auf eine Engstelle im Straßenverlauf hinweisen sollte. Wie auch immer, letztlich stand ich vor besagter Nichtdurchfahrtsmöglichkeit. Die Anwohner dieser engen Straße verschufen mir eine völlig neue Erfahrung in meiner damaligen, zirka zehnjährigen Berufspraxis. Anstatt gaffend und wutentbrannt hinter beleuchteten Fenstern zu schimpfen, fluchend über solche Inkompetenz eines Lkw-Fahrers (…) kamen diese lieben Menschen aus ihren Häusern – zum Teil im Morgenmantel und mit Taschenlampen ausgestattet –, um mir behilflich zu sein, meinen Hängerzug im Dunkeln wieder auf eine breitere Fahrbahn zu steuern. So viele und – wohlbemerkt – kompetente Einweiser hatte ich zuvor und auch danach nicht mehr.
Jemand aus dieser unbeschreiblich netten Gruppe beschämte gar den Westen noch zusätzlich mit dem Angebot an mich, bei ihm zu übernachten. Dass ich dies aber aus Scham ablehnte, hinderte diesen lieben Menschen aber nicht daran, mir morgens um kurz nach 5.00 Uhr eine übergroße Tasse heißen Kaffees nebst einer selbst aufgezeichneten Wegskizze zu bringen, die mich von meinem nächtlichen Standplatz sicher und punktgenau zur Baustelle leitete. Sogar die Kaffeetasse überließ er mir, gewissermaßen als Andenken. Den ideellen Wert, den diese Tasse noch heute für mich hat, konnte er damals wohl nicht ermessen.
Daher mein persönliches Fazit: Strikt und entschlossen weigere ich mich selbst mehr als 25 Jahren nach diesem Erlebnis, diesen lieben Menschen im Osten unseres Landes (…) Nazitum oder rechtsextremistischen Gedankengut anhaften zu lassen, auch dann nicht, wenn sie einer rechtsextremen Partei einen überdurchschnittlich hohen Stimmanteil verschaffen. Weiter bin ich davon überzeugt, dass der Großteil der AfD-Wähler im Osten dieser Partei nicht aus Überzeugung ihre Stimme gibt, sondern deshalb, weil doch ganz klar ersichtlich scheint, wen die „Etablierten“ am meisten fürchten, und damit schließe ich „Die Linke“ nicht aus, obwohl ich deren Mitglied bin. (…)