Kommunalpolitische Kolumne: Droht der demokratischen Selbstverwaltung der Kommunen das Ende?

Hilfe nur gegen Zwang

Gewinnen die Regierenden in der Krise? Es scheint so, wenn man den Umfragen glaubt. Bundesweit erreicht die Merkel-Regierung höchste Zustimmungswerte. Auch auf der kommunalen Ebene sieht es nicht anders aus. Bürgermeister und Landräte profitieren von ihrer dauerhaften Medienpräsenz und der allgemeinen Verunsicherung. Kritik trifft auf demonstratives Unverständnis, wird abgelehnt oder zurückgestellt. Zugleich wird laut „Zusammenhalt“ gefordert: Lobt, was geschieht, oder haltet den Mund! Dagegen aufzubegehren, fällt schwer. Reaktionäre Kräfte haben den politischen Diskurs vereinnahmt und ins Absurde getrieben. Der Boulevard greift dies auf und macht uns glauben, die großen Streitthemen unserer Zeit hießen „Maskenpflicht“ und „Abstandsregelung“. Der Kampf um den Erhalt politischer und sozialer Rechte wird von den irrationalen Scheingefechten der Verschwörungsideologen übertüncht. In „linksliberalen“ Kreisen lächelt man derweil entrückt und versichert sich der eigenen Klugheit.

Vincent Cziesla
Vincent Cziesla

Getragen von dieser Welle der Kritiklosigkeit werden die Grenzen der Macht getestet und ausgeweitet. Die Bundesregierung denkt laut über „überplanmäßige Ausgaben“ in Milliardenhöhe nach, um Haushaltsentscheidungen am Bundestag vorbei zu beschließen. Das kommunale Pendant dazu findet sich in den zahlreichen Haushaltsverfügungen, die derzeit vielerorts erlassen werden. Nur werden hierbei keine Gelder ausgegeben, sondern Haushaltsbeschlüsse der Räte ausgehebelt. Es schlägt die Stunde der Kämmereien. Aus Furcht vor dem drohenden Exitus werden beschlossene Vorhaben gestoppt und eigenmächtige Sparmaßnahmen eingeleitet. Die demokratische Selbstverwaltung ist ausgesetzt. Ihre Rückkehr nach der Krise? Ungewiss!

Treffen die aktuellen Schätzungen zu, dann steht den Kommunen eine finanzielle Katastrophe gewaltigen Ausmaßes bevor. Rund 140 Milliarden Euro betrug der kommunale Sanierungsstau schon vor der Krise. Nun müssen die Gemeinden nicht nur eine große Wirtschaftskrise abfangen, Gesundheits- und Katastrophenschutz betreiben, sondern auch immer noch für bezahlbaren Wohnraum sorgen, die Verkehrswende schaffen, Kindergärten bauen, Schulen sanieren, die Klima-krise bekämpfen, Sozialhilfe gewähren und vieles mehr. Keines der großen kommunalpolitischen Themen hat an Wichtigkeit und Dringlichkeit verloren.

Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass die leeren Kassen zu Einsparungen im sozialen Bereich führen und neue Privatisierungswellen lostreten werden. Der dringend benötigte Rettungsschirm und das Altschuldenprogramm liegen zunächst auf Eis. Und wenn sie doch beschlossen werden? Dann, so schreibt der Finanzminister, werden die Länder verpflichtet, „einen erneuten Aufbau übermäßiger kommunaler Liquiditätskredite zu verhindern“. Die Hilfsgelder werden also an Sparzwänge geknüpft. Während die Milliarden für die großen Konzerne nur so sprudeln, wird das kommunale Korsett immer enger.

Die Aussichten sind düster. Ob durch Armut, gesetzliche Zwangsmaßnahmen oder Privatisierungen: der demokratischen Selbstverwaltung droht faktisch die Abschaffung. Was sollen die Räte denn noch beschließen, wenn es kein Geld mehr gibt? Woran sollen die Bürger denn mitwirken, wenn staatliche Aufgaben mehr und mehr in private Hände fallen? Auch die Jobs der Angestellten im öffentlichen Dienst sind massiv bedroht. Doch es eröffnen sich auch neue Wege und Bündnisoptionen. Erst vor kurzem haben die Gewerkschaft „ver.di“ und der „Deutsche Städte- und Gemeindebund“ eine gemeinsame Erklärung zur Rettung der Kommunen abgegeben. Zuviel sollte man davon nicht erwarten. Doch das gewerkschaftliche Engagement schafft eine breitere Basis. Vielleicht kann es auch den linken Kräften in den Räten dabei helfen, den Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten zu verstärken und vom unsäglichen Einfluss der Corona-Leugner zu befreien. Der erste Schock ist überwunden. Zeit, in die Offensive zu kommen.

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"Hilfe nur gegen Zwang", UZ vom 5. Juni 2020



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