„High Noon“ blieb aus

Hans-Peter Brenner zum Streit zwischen den Unionsparteien

Noch am Montagvormittag dieser Woche schien alles auf ein veritables „Shoot down“ zwischen der Bundeskanzlerin und dem Anführer ihrer internen Parteifreunde („Parteifreund“ ist bekanntlich die Steigerungsform von „Feind“) aus Bayern zuzulaufen. Roland Nelles, Chefkorrespondent des „Spiegel“, bekundete in seinem „Morning Briefing“ folgende Erwartung zum Vorgang des (angeblich unlösbaren) Machtkampfes zwischen der Kanzlerin und ihrem Innenminister:

„Die große Frage lautet nun, ob sie noch eine Lösung finden oder ob es zum offenen Bruch, zum Rausschmiss von Seehofer durch Merkel und damit womöglich sogar zum Ende der Koalition kommt. Wenn ich wetten müsste, würde ich sagen: Ein Kompromiss oder eine Vertagung des Streits ist wahrscheinlicher als der große Knall. Aber ich habe schon einige Wetten in meinem Leben verloren.“

Nelles hatte entweder bereits mehr Informationen als andere Medienbosse oder er besitzt einfach den besseren politischen Riecher als andere seiner Kollegen. Der ganz große „Knall“ blieb aus. Das Konkurrenzorgan „Focus“ hatte zur gleichen Zeit in seiner neuesten Ausgabe bereits die möglichen künftige Regierungsvariante vorgestellt. Nach dem Zerbrechen der „GroKo“ sei mit einem neuen Versuch der „Jamaika“-Koalition mit einem etwas anderen Etikett zu rechnen: mit einer „Avocado“-Lösung. Eine sich als „Avocado-Runde“ titulierende 12-köpfige Gruppe führender Vertreter von FDP und Grünen habe bereits Verhandlungen zur Überbrückung der bisherigen Differenzen in den Bereichen Außen-, Sicherheits- und Handelspolitik aufgenommen. Ob und wer von CDU und/oder SPD im Hintergrund mit einbezogen ist, das blieb unerwähnt. Merkel raus und „Avocado“ rein. Würde das die Variante sein, die auf das Scheitern der „GroKo“ folgen würde?

Doch der vom „Focus“ prognostizierte „High noon von Berlin“ ist zunächst vertagt. Dafür gibt es zum einen rein wahltaktische Gründe, denn ein Bruch der Unionsfraktion würde mit einem darauf folgenden Einmarsch der CDU in Bayern beantwortet und diese bei der anstehenden Landtagswahl unwiderruflich die Mehrheit im Landtag kosten. Aber – und das ist viel wichtiger – die wirklich entscheidenden Kräfte in den beiden Unionsparteien wollen keinesfalls den Bruch zwischen CDU und CSU. Das war schon einmal eine von F.  J. Strauß und Helmut Kohl aufgebaute Drohkulisse, die dann binnen weniger Tage verschwand.

Nein, es ist nicht entscheidend, was Horst S. und Angelika M. mit- und übereinander denken (Seehofer: „Mit dieser Frau kann ich nicht mehr zusammenarbeiten.“). Entscheidend sind die strategisch-taktischen Überlegungen auf den Etagen über ihnen, d. h. in den Führungsspitzen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbänder, dem Bundesverband der Deutschen Industrie und dem sogenannten Arbeitgeberflügel der CDU-CSU, der Wirtschaftsunion. Und da ist klar, dass das „Asylthema“ nur ein Randproblem ist. Viel wichtiger für die wirklich Mächtigen ist die Frage, wie sie ihre Wirtschafts- und Politikinteressen angesichts eines nahezu am Boden liegenden Gebildes namens „freier Westen“ und einer zerbröselnden EU absichern können: Und zwar so, dass die Risiken für den „Exportweltmeister BRD“ minimiert und die politischen Expansionsziele des deutschen Monopolkapitals nicht gefährdet werden.

Dass Russland auf den Boykott der EU nach dem Wiederanschluss der Krim an das russische Staatsgebiet damit reagiert hat, seine eigene Agrarindustrie und Landwirtschaft auf Vordermann zu bringen, um von EU-Agrarimporten unabhängig zu werden und den Schulterschluss mit China und der Schanghai-Gruppe gefunden hat. Dass Russland vom wankenden Militärkoloss auf tönernen Füßen und einem drohenden Abstieg zu einer drittklassigen Regionalmacht wieder zu einer ernstzunehmenden politischen Weltmacht geworden ist – das alles ist viel bedeutender als der Streit über den Umgang mit einigen tausend abgelehnten oder an den Grenzen abgewiesenen Asylbewerbern.

Das ist der wirkliche Konfliktstoff in dieser derzeit so zerstrittenen „Union“.

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"„High Noon“ blieb aus", UZ vom 22. Juni 2018



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