Die Corona-Pandemie setzt die Beschäftigten im Gesundheitswesen unter Druck. Wie können sie ihre Interessen im Betrieb trotzdem schützen? UZ hat Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus und in der Pflege gefragt.
Behandlungen abgesagt, weniger Patienten als Vorsorge für den Höhepunkt der Pandemie: Manche Kliniken waren in den letzten Wochen nur zu 50 oder 60 Prozent ausgelastet. Die Beschäftigten sagten: Jetzt können wir einmal so arbeiten, wie es nötig ist – wie es aber normalerweise unter dem dauernden Personalmangel nicht möglich ist. Die Klinikbetreiber bekommen die freien Betten vom Staat bezahlt, die „Freihaltepauschale“ beträgt pro Bett und Tag 560 Euro.
Die Geschäftsführung eines privaten Klinikkonzerns hat in diesen Wochen vom Betriebsrat (BR) gefordert, die Beschäftigten sollten zunächst Überstunden abbauen und Resturlaub verplanen – und dann Minusstunden sammeln, auch über die tarifliche Grenze hinaus. Als der BR nicht zustimmen wollte, legte die Personalabteilung nach: Sie kündigte an, Pflegekräfte und Ärzte in Kurzarbeit zu schicken. Der Träger wollte also die Lohnkosten sparen und trotzdem die Pauschale aus Steuergeldern einnehmen – auf Kosten der Beschäftigten.
UZ sprach mit der Stellvertretenden BR-Vorsitzenden, die weder ihren Namen noch den ihrer Klinik in der Zeitung lesen will. „Die Arbeitgeber begründen ihre Entscheidungen mit Corona-Maßnahmen und vergessen dabei die Mitbestimmung“, sagt sie. In dieser Situation hat der BR nicht die Möglichkeit gesehen, sich gegen die Drohung der Geschäftsführung durchzusetzen. Um die angedrohte Kurzarbeit abzuwenden, stimmte er einer Betriebsvereinbarung zu, die erlaubt, Minusstunden anzusammeln.
Der BR konnte noch nicht feststellen, wie viele Minusstunden die Kollegen machen mussten – dazu müssen die Dienstpläne für den April ausgewertet werden. Im zweiten Halbjahr des Jahres müssen diese Minusstunden nachgearbeitet werden, dann müssen die Kollegen also mehr arbeiten als tariflich vorgesehen. Der BR hat Hinweise darauf, dass die Geschäftsführung anstelle von Festangestellten auch Medizinstudenten einsetzt, die als Hilfskräfte für den Fall einer Überlastung der Klinik mit Corona-Patienten eingestellt wurden. „Die Stammmitarbeiter bauen Minusstunden auf, die Hilfskräfte sind billiger und werden deshalb eingesetzt“, sagt die Betriebsrätin. „Das zeigt, dass wir in einem kapitalistischen System unterwegs sind, in dem die Wirtschaftlichkeit vor dem Nutzen der Allgemeinheit steht.“
Das Robert-Koch-Institut hatte empfohlen, dass Klinikmitarbeiter weiter zur Arbeit gehen, wenn sie mit Infizierten Kontakt hatten, solange sie keine Symptome haben – aber nur in Fällen von besonderem Personalmangel. In dieser Klinik ließ die Geschäftsführung auch ohne Personalmangel Mitarbeiter zur Arbeit kommen, die vom Gesundheitsamt unter Quarantäne gestellt worden waren. Sie durften nicht einkaufen, mussten aber zur Arbeit. In dieser Sache konnte der BR sich gegen die Geschäftsführung durchsetzen.
In einer anderen Frage hat der BR überhaupt keine Möglichkeiten: Ob die Kolleginnen und Kollegen auf eine Infektion getestet werden, können sie nicht beeinflussen. „Wir können uns zwar auf den Gesundheitsschutz beziehen“, erklärt die Betriebsrätin, „wenn aber die Hygiene-Chefärztin sagt, da sind keine Tests erforderlich, das ist mit dem Gesundheitsamt so abgestimmt, dann sind wir als BR da raus.“ Sie schätzt ein: „Es geht nur darum, wer die Tests zahlt, um wirtschaftliche Fragen – nicht darum, die Mitarbeiter und Patienten zu schützen.“
ver.di kann nicht genau einschätzen, wie viele Minusstunden die Kollegen in den letzten Wochen ansammeln mussten. In manchen Häusern konnte die Interessenvertretung das ganz verhindern, in kleineren, zum Beispiel kirchlichen Häusern ist die Dunkelziffer vermutlich hoch. Auch damit können Klinikträger die Lasten der Pandemie auf die Beschäftigten abwälzen.
Nun nehmen die Kliniken wieder mehr Patienten auf, weil die befürchtete große Anzahl an Covid-Patienten nicht kam. Die Regierung hat sie zwar verpflichtet, Intensivkapazitäten vorzuhalten. Die Kliniken sind aber gezwungen, Gewinn zu machen. Selbst die Chefärzte verdienen oft mehr, wenn sie vorher vereinbarte OP-Zahlen einhalten – auch sie haben also ein Interesse daran, die Patientenzahlen möglichst stark zu steigern.
Jetzt zum Regelbetrieb zurückzukehren wäre „grundfalsch“, warnt Sylvia Bühler, im ver.di-Bundesvorstand für das Gesundheitswesen zuständig. Es gebe keinen Grund für Entwarnung. „Auf gar keinen Fall dürfen betriebswirtschaftliche Überlegungen hierbei eine Rolle spielen. Es muss um die bestmögliche Gesundheitsversorgung gehen – um nichts anderes.“