Die Tarifrunde für die 2,3 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen hat in der vergangenen Woche ordentlich Schwung bekommen. Die Forderung: 6 Prozent, mindestens 200 Euro Lohnerhöhung findet breite Zustimmung. In den bisher stattgefundenen zwei Tarifverhandlungen wurde von der „Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände“ (VKA) kein Angebot vorgelegt. „Wir liegen in zentralen Punkten fundamental auseinander“, so der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske. „Es braucht eine spürbare Anhebung bei den oberen Einkommen und einen deutlichen Sprung nach oben bei den unteren und mittleren Einkommensgruppen.“ Doch genau dies lehnt die Gegenseite vehement ab. Auch die Forderung nach 100 Euro mehr für die Auszubildenden sowie nach einer Anhebung der Urlaubsdauer auf 30 Tage pro Jahr wird abgelehnt, die Gegenseite fragte sogar, wovon sich Auszubildende so lange erholen müssten. ver.di will auch die Vorschrift, Auszubildende nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung zu übernehmen, wieder in Kraft setzen.
Am 15. und 16. April steht der dritte Verhandlungstermin an. Bis dahin soll ordentlich Druck gemacht werden. Die erste Streikwoche mit über 70 000 Streikenden ist ein guter Anfang. Zum Streik aufgerufen waren Kitas, Sozialdienste, Verwaltung, Stadtwerke, Müllabfuhr, Stadtreinigung, Nahverkehr und andere Bereiche. Auch in den Ferien sind einzelne gezielte Aktionen in Vorbereitung. ver.di hat bereits angekündigt, nach den Osterferien in der letzten Woche vor der dritten Verhandlungsrunde die Warnstreiks nochmals deutlich auszuweiten.
Streikeindrücke aus Stuttgart
„Ostern steht vor der Tür! Wir auch!“ hieß es im Aufruf der Gewerkschaft ver.di zum ganztägigen Warnstreik für die Tarifbeschäftigten, Auszubildenden und Praktikantinnen des Jugendamts der Landeshauptstadt Stuttgart für den 19. März. Insgesamt 151 der 183 Kitas in Stuttgart beteiligten sich am ganztägigen Streik und schlossen die Einrichtungen. Dies sind mehr als 82 Prozent aller Kitas – ein toller Erfolg.
Der große Saal im neu renovierten Willy-Bleicher-Haus war während der gemeinsamen Streikversammlung morgens brechend voll. Alle Bereiche des Jugendamtes – die Kitas, die Verwaltung, die Küche, die Soziale Arbeit – waren zum Streik aufgerufen und viele Hunderte, hauptsächlich Frauen, sind gekommen. Es gab große Empörung über das Verhalten der Arbeitgeber, die auch in der zweiten Verhandlungsrunde noch kein Angebot vorgelegt hatten.
Nach offiziellen Berichten ging es in der Diskussion hauptsächlich um die Streikstrategie. Schon im Herbst letzten Jahres wurde auf einer Konferenz eine neue Strategie beschlossen, die aus den Erfahrungen des großen Streiks des Sozial- und Erziehungsdienstes 2015 abgeleitet wurde. Die langen Dauerstreiks sollen abgelöst werden durch kurzfristig angekündigte innovative Streikaktionen – punktuell oder beispielsweise in Form einer späteren Öffnung von Einrichtungen. Diese Aktionen sollen sich wie eine Welle durch die verschiedenen Einrichtungen der Stadt bewegen. Aus der Unkalkulierbarkeit soll Chaos für die Arbeitgeber entstehen. „Schon die Ankündigung der neuen Strategie hat für Chaos bei der Stadt gesorgt“, so die zufriedene Feststellung.
Gemeinsame Aktionen in Südhessen
Etwa 500 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes aus Rüsselsheim und Groß-Gerau trafen sich am frostigen Morgen des 22. März in Rüsselsheim. Nach einer Demonstration durch die Innenstadt versammelten sich die streikenden Kolleginnen und Kollegen vor dem Rüsselsheimer Rathaus zu einer Kundgebung. Trotz der Kälte und der Tatsache, dass einige Kolleginnen und Kollegen schon seit Beginn der Frühschicht um 6 Uhr auf den Beinen waren, war die Stimmung gut und kämpferisch.
Zu Beginn der Kundgebung berichtete Michaela Stasche, Sprecherin der ver.di-Vertrauensleute bei der Stadt Rüsselsheim, aus den aktuellen Tarifverhandlungen. Michaela machte klar, dass die Streikenden entschieden hinter ihrer Forderung nach 6 Prozent, mindestens aber 200 Euro, mehr Lohn stehen. Was die Gegenseite bisher vorgelegt hat, würde für die meisten Beschäftigten, vor allem der unteren Entgeltgruppen, eine Minusrunde bedeuten. Ihr Fazit: „So nicht! Nicht mit uns!“ wird von den Streikenden mit viel Applaus bestätigt.
Nach ihr sprach Jürgen Johann, der Vorsitzende des ver.di-Bezirks Südhessen. Er wies darauf hin, dass im benachbarten Frankreich gerade der gesamte öffentliche Dienst gegen die Angriffe der Regierung Macron streikte. Diesen Kämpfen müsse auch die Solidarität der Streikenden in der Bundesrepublik gelten.
Jürgen Johann stellte dar, dass die Solidarität ein wesentliches Element gewerkschaftlicher Kämpfe ist. Sie sei unser Werkzeug gegen die Spaltung, die von der Gegenseite vorangetrieben werde. Und an den neuen Innenminister Seehofer gerichtet: „Wir lassen uns nicht spalten! Bei uns kämpfen Fatima und Inge, Gerome und Moustafa, Kyril und Sergej. Bei uns kämpfen Menschen, die an den Gott der Christen, der Moslems, der Juden oder an keinen Gott glauben. Hoch die internationale Solidarität!“
Da ver.di im Bezirk Südhessen schon seit vielen Jahren daran arbeitet, über die verschiedenen Fachbereiche und Branchen hinweg gemeinsame Kämpfe zu organisieren, war auch ein Vertreter der am gleichen Tag streikenden Beschäftigten der Telekom in Darmstadt zur Kundgebung geladen.
Bernd Blümmel, Vorsitzender des ver.di-Fachbereiches Telekommunikation/IT in Südhessen überbrachte solidarische Grüße der streikenden Telekom-Beschäftigten in Darmstadt. Dort würden sich zeitgleich Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und der Telekom aus Darmstadt zu einer gemeinsamen Streikkundgebung treffen. Dann stellte er die Gemeinsamkeiten in den Tarifkämpfen dar. Sowohl bei der Telekom, als auch im öffentlichen Dienst wäre die Gegenseite nicht bereit, ein akzeptables Angebot vorzulegen. Und eine weitere Gemeinsamkeit sei, dass jeder Cent, den die Streikenden nicht für sich durchsetzten, mit großer Wahrscheinlichkeit in Rüstung und das 2-Prozent-Ziel der Kriegsministerin gehen. Wenn die Telekom wieder 3,4 Milliarden Euro an die Aktionäre ausschütte oder in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes nicht mehr als eine Null-Runde herauskäme, dann würde das eingesparte Geld direkt oder über beauftragte Banken in die Rüstung fließen. Jeder Cent, den wir den Aktionären oder dem Staat abringen, ist also aktive Friedenspolitik.