Wolfgang Schorlau
Fremde Wasser
Denglers dritter Fall
KiWi-Taschenbuch, 2006
272 Seiten, Broschur, 9,90 Euro
Am Montag zeigte das ZDF den Dengler-Thriller „Fremde Wasser“. Grund genug das Buch noch einmal zu lesen.
Angelika Schöllkopf ist tot. Die Abgeordnete der konservativen Partei wollte eine Rede halten, eine, die ihren Parteifreunden kaum gefallen hätte. Kurz bevor sie das Rednerpult des Bundestages erreicht, bricht sie zusammen. Herzinfarkt. Ihre Großmutter glaubt nicht an den Herztod ihrer Enkelin. „Niemand in der Familie hatte je ein schwaches Herz. Auch Angelika nicht.“ Sie bittet Dengler, die Todesursache zu untersuchen. Der hat noch einen anderen Fall, sein Geschäft läuft endlich besser. Irgendwas sagt ihm, dass er sich nicht darauf einlassen sollte. Olga überredet ihn. Die Recherchen gestalten sich schwierig, alles weist auf eine natürliche Todesursache hin. Erst die Suche nach dem Redemanuskript macht Dengler stutzig. Schöllkopfs Sekretärin ist ziemlich zugeknöpft, der Fraktionsvorsitzende lässt ihn abblitzen. Ihr Ehemann weiß nicht, worüber sie reden wollte, sicher nichts Wichtiges, sie war eine Hinterbänklerin. Denglers Neugier ist geweckt, er macht sich an die Arbeit und kann auf Hilfe von Olga, seinen Freunden und einer illegalen Telefonabhöranlage zählen.
Stefan C. Crommschröder, Vorstandsmitglied der VED, Konzernbereich Wasser, macht sich Hoffnungen auf den Posten des Vorstandsvorsitzenden. Dafür kämpft er mit allen Mitteln. Die Erziehungsmaxime des Vaters „Du musst immer besser sein als die anderen“, hat er verinnerlicht. Seine Schwester hatte mehr Glück, der Vater nahm sie nicht wahr, sie konnte sich Freiräume schaffen, die sie mit dem Bruder teilt. Sie nimmt ihn mit zu Eugen Seitzle. Der arbeitslose Schriftsetzer und Kommunist organisiert einen „Kapital“-Lesezirkel in Stuttgart-Kaltental, ein Stadtteil, der für Bürgerkinder etwas Exotisches hat. Auch hier muss Crommschröder der Beste sein, schon um die schöne Heike für sich zu gewinnen. An der Uni hat sich längst der Neoliberalismus durchgesetzt, seine Kenntnisse und Analysen marxistischer Theorie sind nicht mehr gefragt, die angestrebte wissenschaftliche Laufbahn unerreichbar. Der Gastvortrag eines Konzernmanagers ändert sein Leben. Er landet als Assistent des Vorstandsmitglieds im Bereich Wasser, macht schnell Karriere, bekommt ein Fixum von 1,17 Millionen im Jahr. Er ist ein Außenseiter, beobachtet mit soziologischem Interesse die Strukturen im Konzern, inklusive „informeller Frauenförderung“. Sein Credo heißt „Tauschwert“. Der Gebrauchswert langweilt ihn. Er hält den Menschen für ein soziales Wesen, das der Gesellschaft nützlich sein will. Er nützt der Gesellschaft nicht. „Er gräbt ihr im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser ab. Er ist der Diener des Tauschwerts.“ Deshalb verdient er was er verdient.
Crommschröder ist der eigentliche Protagonist in „Fremde Wasser“. Schorlau schickt ihn in eine „Kapital“-Schulung und erklärt so nebenbei die Marxsche Warentheorie. Er bedient sich eines Tricks, um das Geschäftsgebaren von Konzernen bei der Privatisierung des wichtigsten Lebensmittels der Menschheit – Wasser – aufzudecken. Er beschreibt das Geschäft mit dem Wasser aus der Sicht von Crommschröder und im Präsens. Der redet über seine Arbeit als skrupelloser Manager, der für die Profitmaximierung des Konzerns und seine eigene buchstäblich über Leichen geht, seine Erfolge und Rückschläge beim Kauf von Wasserwerken und Politikern. Die Darstellung der Machenschaften der Energiewirtschaft gewinnen auf diese Weise an Glaubwürdigkeit.
Dengler tappt lange im Dunkeln, bis er die Zusammenhänge durchschaut. Seine Freunde beziehen unterschiedliche Standpunkte zu seinen Ergebnissen. Mario glaubt, Angelika Schöllkopf sei ermordet worden. Leopold Harder, der Wirtschaftsjournalist, sieht zwar die Nachteile von Privatisierungen öffentlicher Daseinsvorsorge. Mord zur Sicherung und Steigerung der Profitrate sei aber eine von Marios verrückten Verschwörungstheorien. „In Deutschland wird niemand wegen Wirtschaftsinteressen umgelegt.“ Mario kontert mit einem Beispiel aus Denglers erstem Fall.
Verschwörungstheorien kann man dem Autor eh nicht anhängen. Die geschilderten Beispiele lassen sich mit wenig Mühe überprüfen. „Die Figuren in diesem Buch sind ausgedacht. Der zugrunde liegende Sachverhalt ist es nicht. In diesem Krimi ist verdammt wenig erfunden.“ So beginnt Schorlau sein Nachwort „Finden und erfinden“. Und das trifft wohl auf jeden Dengler-Fall zu.