Was Breloers Brecht-Film mit dem UZ-lesenden Zuschauer macht

Herr B. gerät in Schnappatmung

Von Frank Schumacher

Herr B. war neugierig. Er hatte die Besprechung des Films von Heinrich Breloer über Bertolt Brecht in der UZ vom 1. März gelesen. Hans Günter Dicks hatte die Premiere des Zweiteilers auf der Berlinale gesehen. Herr B. wollte sich nun selbst ein Bild machen und las in seinem Zeitungsladen einige TV-Zeitschriften durch, die die Ausstrahlung am letzten Freitag auf arte und in dieser Woche in der ARD groß bewarben. Herrn B. wurde der Widerspruch zwischen dem UZ-Text und den Zeitschriftenartikeln klar, denn es konnte sich danach nicht um denselben Film handeln. Während in der UZ der Film kräftig und deutlich kritisiert wurde, hieß es in den TV-Blättchen, es sei ein großartiger Film, der besonders diesen Brecht vom „Denkmalsockel“ herunterhole. Nun wusste Herr B. zwar, dass in der DDR und nicht nur dort die Theaterstücke von Brecht oft und auch immer wieder neu gespielt wurden, dass auch in der „alten“ Bundesrepublik engagierte Intendanten und Regisseure Brecht auf die Bühne brachten, aber Herr B. suchte vergeblich die Denkmäler.

Neben Herrn B. nahm die Frau an seiner Seite Platz vor der Glotze, sie nahmen sich vor, alles Gewusste auszublenden, wie man so schön sagt, „sie wollten sich darauf einlassen“. Dieses Vorhaben hielt aber nur den Vorspann lang, ein gewisser Tom Schilling spielte den jungen Brecht aus den Jahren von Augsburg bis Berlin. Der Schauspieler war Herrn B. schon vor einiger Zeit unangenehm aufgefallen, als er in dem entsetzlich manirierten Film „Werk ohne Autor“ die Figur des Malers Gerhard Richter mit viel Getue uns nahebringen wollte und dabei zeigen wollte, wie schmerz- und peinvoll künstlerische Arbeit doch sei. Diesem Brecht des Tom Schilling nahm Herr B. weder ab, dass da einer angestrengt arbeitete, um seine Vorstellungen vom eigenen Platz und von den Verhältnissen zu Papier und auf eine Bühne zu bringen, noch dass dieser Schillingsche Brecht ein Erotomane war. Die Frau an der Seite von Herrn B. war eher amüsiert über das dummdreiste Gerede, dass Breloer diesem Brecht in den Mund legte, wenn der sich „mit Frauen abgab“. Diesem Brecht glaubte Herr B. nicht, dass der den „Baal“, die „Trommeln in der Nacht“ und dann die „Dreigroschenoper“ geschrieben hat. Dieses Bürschchen irrlichterte herum, sprach großkotzig und völlig von sich überzeugt.

Herr B. ärgerte sich dann erst richtig: Der zweite Teil des Films begann damit, dass Burghart Klaußner als Brecht nach dem 2. Weltkrieg in den USA probt, wie er sich vor dem „US-Ausschuss für unamerikanische Umtriebe“ zu verhalten habe. Dieser Schauspieler war genau so unmöglich wie sein Pendant Schilling, nur eine Schlägermütze auf dem Kopf, eine Joppe und dicke Zigarren kann man eine Kostümierung nennen, die Figur, die er zu verkörpern habe, braucht aber mehr als dies, um wie glaubwürdig auch immer zu sein. Versöhnlich stimmte nur Adele Neuhauser als Helene Weigel, ihr nahm Herr B. sowohl die Leistung als Theaterschauspielerin ab wie die Gestaltung der Ehefrau und engsten Mitarbeiterin von Brecht. Alle anderen Darstellerinnen und Darsteller kamen über den Part, Stichwortgeber zu sein oder nackt in der Badewanne zu agieren, nicht hinaus, Herrn B. und der Frau an seiner Seite ist tatsächlich niemand erinnerlich geblieben.

Zu diesem Ärger des Herrn B. kam noch ein weiterer: Breloer machte das, was man aus vielen Formaten dieser Art kennt, kurze Einspieler von Männern und Frauen, die mit Brecht gearbeitet oder gelebt haben, immer aus den Zusammenhängen gerissen. Noch ärgerlicher, dass einige dieser „Zeugenbefragungen“ schon vor Jahrzehnten von Breloer gemacht wurden, aber der Zuschauer darüber nicht aufgeklärt wurde, sondern von Aktualität ausgehen musste.

Der Ärger für Herrn B. ging weiter, dieser Brecht der Jahre in der DDR war nur hinter einer fixen Idee her, er muss ein eigenes Theater bekommen, dafür windet er sich, dafür redet er, natürlich auch nur in Schnipseln, über den Juni 1953. Was Brecht mit dem eigenen Theater wollte, also das, was er „episches Theater“ nannte und wozu er auch viel Theoretisches formuliert hat, dazu kein Wort. Davon, dass Brecht nicht nur ein Stückeschreiber war, sondern auch die Form der kleinen Geschichten und besonders die lyrischen Formen beherrschte, auch weder ein Wort noch eine Szene.

Herr B. und die Frau an seiner Seite saßen entgeistert nach dem Ende auf ihren Plätzen, sie litten kurzfristig unter Schnappatmung, trösteten sich dann damit, dass dieser Film wohl schnell in Vergessenheit geraten wird.

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"Herr B. gerät in Schnappatmung", UZ vom 29. März 2019



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