Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand.
Dass ein gutes Deutschland blühe,
Wie ein andres gutes Land …
Wenn im Kinospot des Berliner Bundesplatz-Kinos der Komponist Hanns Eisler diese Zeilen aus Bert Brechts Kinderhymne mehr spricht als singt, schweigt das Publikum berührt oder applaudiert spontan. Fast noch mehr hat es mich berührt, wie in den Filmen von Winfried und Barbara Junge die Kinder von Golzow in der fünften Klasse dieses Lied einstudieren, sehr ernsthaft den Anweisungen ihres Musiklehrers folgend.
„Die Kinder von Golzow“ – erst jetzt ist diese Langzeitstudie über Schüler einer Klasse aus Golzow im Oderbruch in meine Hände gelangt. Fast 43 Stunden Filmmaterial – und keine einzige Minute langweilte mich. Im Gegenteil, die Lebensläufe von Jürgen, Marieluise, Dieter und wie sie alle heißen, beschäftigen mich mehr als mir lieb ist. Vor allen Dingen wird mir bewusst, wie faszinierend das stinknormale Leben eines jeden Menschen im Film wirkt. Als „Wessi“ habe ich den Eindruck gewonnen, dass Kinder und Jugendliche in der DDR sehr viel geborgener aufgewachsen sind. Entbehrungen haben ihre Phantasie, ihr Selbstbewusstsein und ihre Lebenskunst gefördert. Winfried Junge, über die Jahre zum Freund der „Kinder von Golzow“ geworden, hat auf oftmals bohrende, mutige Fragen sehr offene, ehrliche – ja eben auch mutige Antworten erhalten. Empfindungen wie Freude, Trauer und nach der Maueröffnung eben auch Wut, kamen zum Ausdruck.
Gerne nahm ich daher die Gelegenheit wahr, mit dem Filmkritiker Hans-Günther Dicks und den Junges selbst einmal in dieses Dorf zu fahren, um die Luft der mir so ans Herz gewachsenen Menschen zu schnuppern. Es war der Tag nach dem großen Sturm, in Golzow und Umgebung war komplett der Strom ausgefallen. Doch welch eine Freude für mich zu erleben, mit welcher Herzlichkeit besonders die Junges aber auch wir begrüßt und unter erschwerten Umständen liebevoll mit Kaffee und Gebäck begrüßt wurden. Die kleine Frieda, Tochter der Leiterin des Golzow-Museums, jetzt selbst Schülerin in der Grundschule, zeigte uns zusammen mit Schulleiterin Gaby Thomas stolz „ihre Schule“, an der all diese Filme entstanden. Ich selbst tauchte in Gedanken in die Vergangenheit ein und sah im Klassenzimmer das staunende Gesicht von Jürgen vor mir, der eine am Fenster vorbeischleichende Katze beobachtete.
„Hereinspaziert auf eine kleine Tour durch die große Filmwelt der Kinder von Golzow“ – so lädt das sehr informative kleine Filmmuseum ein. Der eifrige „Museumsdiener“ erzählte mir am Rande, dass vor kurzem ein Italiener, der gerade die Filme angeschaut hatte, sich sofort per Motorrad auf den Weg machte, um den Ort des Geschehens zu besuchen. Ja – ihm ging es ebenso wie mir. Wie sehr wünschte ich mir, einige dieser Menschen noch bis ins fortgeschrittene Alter filmisch zu begleiten, um ein gelebtes Leben abzurunden. Was brauche ich Arztserien, reißerische Krimis und Hollywood-Spektakel, wenn ich solche Einblicke in das wahre Leben bekommen kann? Wie hieß es noch nach 1989? „Jetzt müssen wir einander unsere Geschichten erzählen.“ Für „Wessis“ wie mich sind die Golzow-Filme ein perfekter Anfang.