„Haben die deutschen Kommunistinnen und Kommunisten keine wichtigeren Probleme?“ Mit dieser Frage begann Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP, sein Referat „Probleme beim Aufbau des Sozialismus nach der proletarischen Revolution“ bei der Tagung des Parteivorstands im Juni 2021. Diese Frage stellen sich mancherorts Mitglieder unserer Partei und wohl auch etliche außerhalb der Partei.
Patrik fuhr fort: „Es ist richtig, mit der proletarischen Revolution ist vorerst nicht zu rechnen. Wir wissen auch nicht, ob jemand von den Anwesenden die Chance bekommt, am sozialistischen Aufbau mitzuwirken. Viele von uns werden das vermutlich nicht sein. Trotzdem hat diese Problematik mit dem Hier und Heute und nicht nur mit dem Übermorgen zu tun. Ein Verständnis dieser Problematik legt die Grundlage für eine differenzierte Analyse von Staaten, die einen nichtkapitalistischen Weg proklamieren, gehen wollen oder gehen. Eine differenzierte Herangehensweise ist notwendig, wenn wir uns in Diskussionen einbringen, die vielfach in der kommunistischen Weltbewegung geführt werden und oft die Dynamik haben, Unterschiede zu vertiefen. Ohne eine differenzierte Herangehensweise ist das Verständnis globaler Entwicklungen schwer, wird eine Einschätzung des globalen Kräfteverhältnisses fehleranfällig.“
Lucas Zeise konzentrierte die zweite Seite des Problems in einem Kommentar Ende 2020, bezogen auf China, in einen Satz: „Sie ist für unser eigenes Selbstverständnis als Kommunisten wichtig.“ Das Herangehen an unsere eigene Geschichte, die Teil der Befreiungsgeschichte der Menschheit ist, bestimmt unser Denken und Handeln hier und heute. Es ist vor allem die Art und Weise, wie wir denken, wie wir die Probleme, die uns die Wirklichkeit stellt, zu lösen versuchen. Hans-Günter Szalkiewicz beschreibt das in einem Text zur Debatte um die VR China folgendermaßen:
„Der Gegenstand, um den es bei diesem Thema geht, ist in den aktuellen Diskussionen umstritten. Es ist nicht leicht, dazu eine ‚unbefangene‘ Diskussion zustande zu bringen, weil, wie bei allen gesellschaftlich relevanten Fragen, einem immer diese Ideologie in die Quere kommt. Nun ist es aber tatsächlich so, dass jegliche Handlung des Menschen, jede seiner Aktionen, um stattzufinden (vorher) durch den Kopf muss. Solange er seine unmittelbaren Lebensbedürfnisse zu befriedigen hatte, reichte dazu seine Erfahrung im Umgang mit der Natur und eventuell die Vorstellung von der Existenz einer ‚Gottheit‘ aus. Als er aber anfing, gesellschaftliche Beziehungen einzugehen, kommt eine höhere Ebene der Bewusstheit ins Spiel bis hin zu dem Bedürfnis, das Wesen der Gegenstände und Erscheinungen zu erfassen, also theoretisch vorzudringen. Spätestens seit dem Entstehen von Klassengesellschaften bildet sich ein System von gesellschaftlichen Anschauungen heraus, die bestimmte Klasseninteressen zum Ausdruck bringen und entsprechende Verhaltensweisen, Einstellungen und Wertungen einschließen – die Ideologie.
Notizblock 4 erschienen
Die Diskussion um die Fragen des Aufbaus des Sozialismus wird von der Bildungskommission mit vier Notizblöcken begleitet. Darin werden wesentliche Elemente des Referats zusammengefasst und unterstützend weitere Informationen zur Diskussion beigesteuert.
Notizblock 1 befasst sich mit Kernelementen des Übergangs nach der Machtergreifung: Schaffung der materiellen Voraussetzungen (hierbei u.a. Verweis auf die Zeit der NÖP in der Sowjetunion), Problem der Dauer des Übergangs, Utopie und Theorie.
Notizblock 2 gibt Informationen zur Frage des Verhältnisses von Basis und Überbau, zur Frage des Bewusstseins, seiner Entwicklung und der Wechselwirkung mit der Entwicklung der Produktivität.
In Notizblock 3 geht es im ersten Teil um Fragen der Machtausübung der Arbeiterklasse bei Aufbau und Gestaltung des Sozialismus unter Darstellung von verschiedenen Eigentumsformen, die in einem sozialistischen Land zum Tragen kommen. Es wird die Form des genossenschaftlichen Eigentums in der DDR vorgestellt. Ebenfalls in diesem Notizblock werden die Themen Klassen und Klassenkampf, die bereits in Notizblock 2 angerissen wurden, vertieft. Welche Aufgaben stehen im Umgang mit der Bourgeoisie, die mit der Machtergreifung des Proletariats nicht verschwunden ist.
Im nun erschienenen 4. und letzten Notizblock wird der Einfluss der internationalen Situation auf den Aufbau des Sozialismus untersucht. Dabei geht es um Fragen der internationalen Klassenkampfsituation, um internationale Bündnispolitik und um die friedliche Koexistenz.
Alle Notizblöcke können abgerufen werden unter dkp.de/partei/theorie-und-bildung/. Hier finden sich auch weiterführende Leseempfehlungen.
Der Ideologiebegriff hängt mit Bewusstsein zusammen. Für die Arbeiterklasse geht es darum, ihr ‚das wissenschaftlich begründete und in den organisierten und zielstrebigen Klassenkampf mündende Selbstbewusstsein als Klasse mit einer bestimmten großen historischen Mission zu verleihen‘. So steht und fällt mit der Ideologie und mit dem ideologischen Kampf der politische Erfolg der Klasse. Jegliche Vernachlässigung oder Ignoranz dieses Sachverhalts öffnet Räume für die Verbreitung der bürgerlichen Ideologie und für Niederlagen der Arbeiterklasse. Daraus leitet sich ab, dass die gängigen oder vorherrschenden Begriffe ideologische Zustände kennzeichnen, die bestimmten politischen Machtverhältnissen entsprechen.“
Deshalb ist die Aneignung der eigenen Geschichte und die Einschätzung der Wirklichkeit für die Kommunistinnen und Kommunisten wichtig, um einen Kompass für die Klassenkämpfe und die internationalen Auseinandersetzungen zu haben. Sie ist zugleich Aneignung und Weiterentwicklung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung und damit das Lebenselixier der revolutionären Partei. Sie spiegelt sich somit in den tagtäglichen Kämpfen ums Teewasser als auch in der Suche nach dem revolutionären Ausweg aus dem Imperialismus.
Bereits auf zwei der vergangenen Parteitage gab es insbesondere zur Haltung unserer Partei zur VR China unterschiedliche Positionen. Auf dem 23. Parteitag beschloss die DKP im internationalen Antrag: „Für die DKP ist dabei die Frage, welche Entwicklungsrichtung die Volksrepublik China einschlägt, von großer Wichtigkeit. Die VR China, die zum Teil auf privatwirtschaftliche Elemente setzt, hat große Erfolge bei der Bekämpfung der Armut im Lande erzielt und hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Eine solche Entwicklung unter Führung der Kommunistischen Partei ist von großer Bedeutung für die weltweite Entwicklung und die Stärkung der fortschrittlichen Kräfte. Wir analysieren die Entwicklung dieses Landes jenseits der Vorurteile und Verfälschungen bürgerlicher Ideologen. In Deutschland stellen wir uns gegen antichinesische Hetze.“ Dazu wurde der Parteivorstand beauftragt, eine Debatte zu organisieren.
Patrik Köbele umriss kurz das Vorgehen für die Diskussion, die mit dem Wochenende der Parteivorstandstagung eröffnet wurde: „Wir wollen mit dem heutigen Referat nicht die Frage abschließend beurteilen, wie wir die gesellschaftliche Situation in China, Vietnam und Laos beurteilen. Wir werden uns ebenfalls keine abschließende Bewertung des Reformprozesses in Kuba anmaßen. Wir werden an diesem Wochenende keine Position zur KDVR festhalten. Wir wollen an diesem Wochenende eine Debatte eröffnen.
Wir gehen, Stand heute, davon aus, dass wir bis zum kommenden Parteitag weitergekommen sein werden und gegebenenfalls eine Präzisierung unserer Position beschließen werden.“
Die beiden Referate liegen als Bildungsheft vor. Die Bildungskommission hat dazu vier Notizblöcke (siehe Kasten) erarbeitet. Von der Internetseite des Parteivorstands können die Bildungshefte und Notizblöcke sowie zusätzliche Hintergrundtexte heruntergeladen werden. Damit soll ein erster Grundstein für eine Beteiligung an den Debatten für alle Mitglieder der Partei gelegt sein.
dkp.de/partei/theorie-und-bildung/
Zum Nachsehen und -denken:
Videomitschnitte von Veranstaltungen zu China – eine kleine Auswahl
Jörg Kronauer: Chinas Aufstieg und die Folgen: Eine-Welt-Haus München 18. Oktober 2021
t1p.de/ChinasAufstieg
Jörg Kronauer: Der Machtkampf gegen China: Eine-Welt-Haus München 19. Oktober 2021
t1p.de/MachtkampfgegenChina
Veranstaltung der Marx-Engels-Stiftung am 10. Juli 2021: China: Blaupause für eine prosperierende und friedliche Welt?
Conny Renkl: 100 Jahre KP China – 100 Jahre Kampf um Sozialismus
Wolfram Elsner: China die neue Nummer 1 ist anders
Abzurufen über die Mediathek der MES: marx-engels-stiftung.de/mediathek.html