Nach der Kolonialisierung des ostdeutschen Staates, in historischer Tradition kolonialer Siege, ist die komplette Vernichtung der Kultur, dinglich und geistig, die Aufgabe der Herrschenden im Gesamtdeutschland geworden. Ein Dauerprogramm der Koinzidenz von Unkenntnis und Überheblichkeit.
Das begann zu der Zeit, als der westdeutsche Staat den Zweiten Weltkrieg doch noch gewann.
Peter Michel hat aus diesem Frevel seinen Auftrag bezogen. Er klagt an und beschreibt eine „Spur der Schande“. Richtigstellung, Gerechtigkeit trägt er vor und handelt. Er wurde ein Erfahrener in zwei grundverschiedenen Systemen. Schreibend, analysierend, redaktionell verantwortend ein Metier: die Künste und ihre Künstler in ihrer gesellschaftlichen Herausforderung und Angewiesenheit.
Als Chefredakteur der Zeitschrift „Bildende Kunst“ in der DDR war sein Instrumentarium Wissen, klare Einschätzung der Kulturprozesse und die Nähe zu den Kulturarbeitern, um mit Diplomatie und Überlegenheit und nochmals Diplomatie auf Partei-Orthodoxie reagieren zu können. 1975 bis 1987. Als Peter Michel 1987 abberufen wird, um für den erkrankten Horst Kolodziej das Amt des Ersten Sekretärs im Zentralvorstand des Verbandes Bildender Künstler der DDR zu übernehmen, dankt Prof. Karl Max Kober ihm für seine „immense Leistung“. Kober formuliert durchweg hohe Anerkennung. Die besondere Hervorhebung gilt der Forum-Reihe. „Sie einzurichten setzte Mut zum Risiko, Mut zu Demokratie voraus … öffentliche und kontroverse Diskussion um Kernfragen initiiert zu haben, ist ein hohes Verdienst … Hier hat ein Chefredakteur ein Stück Kunstgeschichte mitgestaItet.“
„Kunst ist das Gewissen der Menschheit“ sagt Friedrich Hebbel. Dann ist es doch nur allzu nötig, mit diesem Gewissen gewissenhaft umzugehen.
Peter Michel hatte nach der „Ankunft in der Frelheit“ seine Existenznot zu meistern. Aber seine Gewissenhaftigkeit des Gewissens hat er der GBM zur Verfügung gestellt. Fachberatend, fachlich handelnd, um die Kultur in dieser Gesellschaft anzusiedeln und die Künstler mit ihren fortgeführten inneren Aufträgen dort kulturell zu beheimaten. Viele standen in der Depression, für ihre Kunsthaltung nun hier in diesem Lande war kein Ort – nirgends.
Ausstellungen organisiert, inszeniert, eröffnet, aktiv im Vorstand, Sprecher des Arbeitskreises ‚Kultur“ und des Freundeskreises „Kunst aus der DDRIf, übernimmt Dr. Peter Michel 2004 das Amt des Chefredakteurs für die „Zeitschrift für soziale Theorie, Menschenrechte und Kultur“, den „Icarus“, von der GBM von 2004 bis 2008 herausgegeben. Die fortlaufenden Hefte sind eine Chronologie politischer Einsprüche der GBM mit der Präsenz von Kultur und Kunst. Wir pflegten so die Kultur des Gedächtnisses und das Gedächtnis der Kultur. Eine zu bedankende und sehr geachtete Leistung Peter Michels.(…)
Haben wir ein Ziel vor den Augen? Noch? Ich sage „wir“, weil wir in unserer Utopie vereint sind. Wir sind doch mitten im Versuchsprogramm stehen geblieben, im Status, sagt Prof. Hermann Klenner, des „gescheiterten europäischen Frühsozialismus“.
Kommunismus ist das theoretische Modell für ein gesellschaftliches System, das frühestens nach dem Sozialismus in Vollendung zur Entfaltung kommen kann. Real existierender Sozialismus bedeutet das nur machbare Entfernte vom Ideal. Als er in diesem historischen Zustand vom Zeitlichen nicht gesegnet wurde, hätte er das reformierende Umdenken verdient. So ist es also für den eventuellen Bedarf, dass einem Wandel dieser Zeit Vernunft zuwächst, nötig, dass wir Gedachtes und Gesagtes gedruckt haltbar machen.
Die Herausforderung ist: Erinnerung sichern! Kunstwerke haben eine Herkunft. Werke haben in der DDR Geschichte gemacht. Sie haben eine Geschichte. Beurteilbar nur, wenn die historische Aura der Entstehung der Deutung dient. Und warum die realistische Methode?
Hrdlicka sagt: „So lieb ist der liebe Gott auch wieder nicht, dass er dem, der keinen Inhalt hat, die Form schenkt.“ Drängende Inhalte haben einer friedsüchtigen Sozietät, die mit tiefem Ernst aus der Geschichte der Menschen, die den Verrat an der Menschheit begingen, lernen wollte, die realistische Form gegeben. Die authentische, dem eingreifenden Denken gemäße.
Eigen ist Peter Michel ein reaktives Tempo. Das Ereignis hat noch gar keine Anfrage gestellt, er jedoch wird pünktlich immer wieder politische Richtigstellungen, Vorgänge von Wert, zur Klärung in die Öffentlichkeit stellen. Er ist ein Förderer. Er hilft mit formulierten Protesten, Verleumdete und Verleugnete wieder zu sich selbst zu führen. Er ist ein Betreuer im Sinne von treu.
Peter Michel hat auch mir mit eigenem Blick die Treue gehalten. Dafür will ich hier danken. Ich bin mit Werk und Person eine Benannte in der Vielgestaltigkeit seiner Publikationen, eine Betroffene, der Beachtung Zugeführte, aus dem Schatten der Verleumdung der Würde Anheimgestellte.
Er sieht in der Gesamtheit der DDR-Künste, freier und angewandter Bereich, eine alternative Moderne, eine Moderne anderer Art. Wir hatten unleugbar Kunst-Progress und dazu das modernste Förderprinzip. Künstler konnten von ihrer Arbeit leben, das war soziale Sicherheit.
Kunstausdruck wurzelt in der Grundstruktur eines Gesellschaftssystems. Der Vergleich zwischen Ost- und Westkultur kann nicht um das Bessere gehen, denn da ist dort Anderes neben dem hier Anderen entstanden. Die Kolonialisierung der DDR und der antikommunistische Fanatismus fördern, im uns beherrschenden Ausmaß, Demagogie. Es heißt: „Der Demagoge ist ein kluger Kehlkopf.“
Es wird uns lauthals nicht das Recht gegeben, die logischen Entstehungsmodalitäten zu erklären. Herrschende könnten sich ein Bild machen. Das wollen sie nicht. Sie wissen alles. Sie sind nicht neugierig auf uns. Sie lieben Trugbilder für politische Verteufelungen.
Peter Michel schreibt dagegen an. Deine Texte, Peter, haben den Disput verdient. Eine Front ist eröffnet. Das Traurige: Auf dem Podium und im Publikum sitzen nur wir. Wir sind uns einig und bewahren auf.
Ich zitiere Peter Michel: „Den eigenen Blick lassen wir uns nicht nehmen. Die Kunstgeschichte aus 40 Jahren hat – wie alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens – das Recht, ohne ideologische Scheuklappen wahrgenommen, nicht verschwiegen oder verfälscht zu werden.“ Das haben wir, als Teil der GBM, als unsere Menschenrechtsarbeit begriffen.
Dr. Peter Michel hat eine Sachsprache, die ich schätze. Er stanzt seine Bildanalysen nicht in eine eitle Sprache der Selbstdarstellung. Er bleibt dienstleistend. Er verhilft dem Werk zu seinem Verständnis. Seine Bildbeschreibungen kann man bildhaft nachvollziehen. Dem Thema gibt er mit Nachdruck – der Substanz der Wirkabsicht des Künstlers verpflichtet – den politischen Zeitbezug. Er poetisiert die Ästhetik angebracht.
Er wertet im historischen Bezug. Da gibt es keinen Orakelton, keine Wertungskonventionen. Er leitet die Faktizität des Gestalteten wortadäquat in die Tiefe, zum Wesensgrund. Spurensuche nach bildgewordener Dialektik. Es gibt kein Gefälle der Herabwürdigung. Wissenschaftliche Distanz, Fairness und dieser ruhige neidfreie Respekt sind wichtige Voraussetzungen, um sich auf so eine Breite schöpferischer Hervorbringungen rezensierend einzulassen. Die Komplexität des historischen Kulturspiegels zu bewahren, als Denkmal des verloschenen sozialistischen Landes, das ist Peter Michels Anliegen.
An die Wirkkraft der Kultur in der Gesellschaft wird erinnert. Das dialogische Prinzip war den Künstlern und den Betrachtern eine Angewiesenheit. Wachsam – ein Wächter. Peter Michel. Er macht über sich eine noble Bemerkung: „Meine Biographie ergibt sich aus der Biographie anderer“.
Peter Michel nimmt sich ästhetischer und intellektueller Provokation an, die dem Realismus in der sozialistischen Kulturgeschichte eigen war. Was uns eint, ist die Kategorisierung dessen, was Realismus als künstlerische Werk-Haltung bedeutet: Realismus ist ein zeitloses Mittel der Einmischung. Wenn beabsichtigt. Er hat mit modernen Inhalten zu tun, aber nur mit inhaltlicher Notwendigkeit wird er eine neue Form annehmen. Die realistische Methode ist aufklärerischer Vernunft verpflichtet. Diese Methode vermittelt Wahrheitsgehalt, demokratisiert Wirklichkeitsumgang und verbreitet Unbequemlichkeiten. Sie ist dort, wo sie ernsthaft erwartet und konsequent angewendet wird, die freieste, weil diktat- und marktfrei. Diese Art thematischer Kunst hat eine andere Konjunktur als kommerziellen Trends folgende Ware. Markentreue, dem Marktwert zuarbeiten, der Börsen-Kurve gehorchend, das ist der größte Verrat der Freiheit und ein unbarmherziges Gefängnis für die schöpferische Freiheit. Bei preisbildender Marktwirtschaft stört Kunstwert.
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