Zu Klaus Müllers Basis-Schrift „Lohnarbeit und Arbeitslohn“

Heran an die Arbeiterklasse

Von Franz Anger

Klaus Müller: Lohnarbeit und Arbeitslohn (Basiswissen Politik, Geschichte, Ökonomie), PapyRossa Verlag, Köln 2018, 131 Seiten, 9,90 Euro

Um die kapitalistische Produktionsweise – mitsamt der Vermehrung des Unternehmergeldes als deren borniertem Zweck – zu überwinden, bedarf es einer Revitalisierung der revolutionären Arbeiterbewegung. Dazu beitragen könnte Klaus Müllers Basis-Schrift „Lohnarbeit und Arbeitslohn“, in deren erstem Kapitel dargelegt wird, dass die sozialpartnerschaftliche Hoffnung auf „Gerechtigkeit“ zwischen Kapital und Arbeit eine Illusion ist.

Lohnarbeiter zu sein ist kein Glück, sondern ein Pech. Denn ein jeder Lohnarbeiter besitzt keine Produktionsmittel und ist deswegen gezwungen, seine Arbeitskraft einem Produktionsmittelbesitzer zu verkaufen, um mit dem Lohn für ihren Gebrauch sein Leben finanzieren zu können (S. 13). Getrieben durch diesen zwanglosen Zwang landet der Lohnarbeiter in einer Produktionsstätte eines kapitalistischen Produktionsmittelbesitzers, wo er fortan als lebendiges Anhängsel der Maschinerie zu funktionieren hat. Dass auch der moderne Lohnarbeiter ein unerquickliches Leben führen muss, indem er der Maschine dient, ist bei Müller zu lesen: „In höherem Maße gilt das für die computergesteuerten Fertigungen im digitalen Kapitalismus, mit denen die Prinzipien der industriellen Produktion modifiziert und teilweise aufgegeben werden“ (S. 14).

Nachdem Müller referiert hat, wie die Lohnbildung im Mittelalter, in der Manufakturperiode und bei den Klassikern der bürgerlichen Ökonomie namens David Ricardo und Adam Smith bestimmt und gerechtfertigt worden ist, befasst er sich mit der Arbeitswertlehre von Karl Marx, dem Analytiker und Kritiker der politischen Ökonomie der kapitalistischen Produktionsweise (S. 28 ff.). Dem Mann aus Trier verdankt sich die epochemachende Erkenntnis, dass der Profit des Kapitalisten nicht ungleichem, sondern gleichem Tausch entspringt: Der Wert der Ware Arbeitskraft, die bei der Produktion von Waren als variables Kapital vernutzt wird, ist bestimmt durch den Wert der Konsumtionsmittel, die zur Wiederherstellung des Arbeitskraftbesitzers und seiner Familie benötigt wird, wozu es heutzutage meistens der zusätzlichen Lohnarbeit der Frau und Mutter bedarf. Dass der Kapitalist Profit machen kann, obgleich es tauschgerecht zugeht, indem er dem Arbeiter den notwendigen Lohn zahlt, hat seinen Grund in der Beschaffenheit der Ware Arbeitskraft. Die lohnarbeitende Arbeitskraft produziert nämlich mehr Wert, als sie an Lohn bezieht, weil sie bereits in der notwendigen Arbeitszeit ein Äquivalent ihres Wertes produziert. In der Mehrarbeitszeit aber produziert sie den Mehrwert, der die Springquelle des kapitalistischen Profits ist. Verdeckt wird die profitgenerierende Zweiteilung des Arbeitstages durch die Lohnform, die den Anschein erzeugt, als bekäme der Arbeiter einen Lohn für seine gesamte Tagesarbeit. Da die alltägliche Erfahrung nur den täuschenden Schein der Dinge wahrnimmt, erschöpft sich sozialdemokratische Betriebsarbeit seit Lassalle zumeist darin, einen gerechten Lohn für ein gerechtes Tagwerk zu fordern. Kommunisten, die an Marx geschult sind, wollen hingegen die Lohnarbeit aufheben, weil sie den Lohnabhängigen ein kräfteraubendes und zugleich karges Leben als variables Kapital einbrockt.

In den Kapiteln zwei bis sieben seiner Schrift, deren Themen beispielsweise die „Lohnfindung im Unternehmen“ und die „Lohnformen“ sind, geriert Müller sich seltsamerweise als alternativer Betriebswirtschaftler, indem er sich zum Beispiel über „sinnvollen“ und „angemessenen“ Zeitlohn (S. 47) sowie über „relative Lohngerechtigkeit“ (S. 36) auslässt. Dabei gerät er allerdings in Widerspruch zu eigenen Ausführungen, in denen er Gerechtigkeitsillusionen eine Absage erteilt (S. 8 f.). Geradezu grotesk ist es zudem, dass Müller im Unterkapitel „Wettbewerbsfähigkeit“ „arbeitgeberfreundlichen Ökonomen“ vorwirft, „unseriös“ zu sein, weil sie so täten, „als würden die Absatzchancen [von Waren auf den Weltmärkten] allein von den Lohnstückkosten bestimmt“ (S. 107 ff.).

Dennoch taugen Müllers Darlegungen zur mühseligen Lohnarbeiterexistenz, die sich in seinem ersten Kapitel finden, für die Realisierung der Parole „Heran an die Arbeiterklasse!“, welche die DKP auf ihrem diesjährigen Parteitag ausgegeben hat. Notwendig ist nämlich eine politökonomische Alphabetisierung, die den Lohnarbeitern vermittelt, dass in der kapitalistischen Marktwirtschaft „der Arbeiter für den Produktionsprozess, nicht der Produktionsprozess für den Arbeiter da ist“ (MEW, Bd. 23, S. 514), so dass ein gutes Leben für ihn erst jenseits der herrschenden Produktionsweise möglich wird. Zugleich könnte auf diese Weise der völkische AfD-Ideologe namens Höcke widerlegt werden, der triumphierend verkündet: „Die soziale Frage sieht heute niemand mehr als eine von Arm und Reich, sie ist zu einer von innen und außen geworden.“

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"Heran an die Arbeiterklasse", UZ vom 12. Oktober 2018



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