5. Juni 1967
Sitzung der Knesset
An dem schicksalhaften 5, Juni 1967 heulten die Sirenen fast den ganzen Tag in und um Jerusalem. Fliegeralarm und Entwarnung wechselten ständig ab. Von Weitem war ein Grollen zu vernehmen, es kam aus Richtung Altstadt und Ost-Jerusalem. Das Schrillen der Glocken rief die Abgeordneten um 17 Uhr in den Plenarsaal zur Sitzung. Finanzminister Pinhas Sapir begab sich zum Rednerpult, um die Eröffnungsrede zu halten. Er präsentierte Gesetzesvorlagen, welche die Finanzierung des Kriegs sicherstellen sollten. Dazu zählte, dass auf die Einkommensteuer eine Verleidigungssteuer draufgesattelt und ein Verteidigungsdarlehen aufgenommen werden sollte. Repräsentanten der verschiedenen Fraktionen begaben sich, einer nach dem anderen, zum Rednerpult. Einer versuchte den anderen in nationalistischen Ereiferungen und Beteuerungen der Unterstützung für den Militärangriff noch zu übertreffen. Sie sprachen von „Verteidigungskrieg“ oder einem „vorbeugenden Krieg“ und beschworen die angebliche „Gefahr der Existenz Israels“. Mit einer Ausnahme: Die beiden anwesenden kommunistischen „Rakah“-Fraktionsmitglieder vertraten eine völlig gegenteilige Position.
Es ist schwer zu beschreiben, wie unsere Herzen in dem Moment pochten, als unser Parteivorsitzender Meir Vilner zum Rednerpult schritt. Meir schien sehr ruhig zu sein und kam gleich auf den Punkt. „Die Eshkol-Regierung, die das Kabinett durch zusätzliche Minister der Rechten und der Falken vergrößert hat, fing am heutigen Morgen einen aggressiven Krieg gegen unsere arabischen Nachbarn an. Und jetzt möchte diese Regierung, dass wir uns mit neuen Steuern und Anleihen zur Finanzierung dieser Aggression einverstanden erklären.
Diese Regierung ist nicht eine der nationalen Einheit, sondern ein nationales Desaster, eine Regierung des Krieges. Kein Feind Israels könnte unseren tatsächlichen Interessen mehr Schaden zufügen als diese Regierung.“ Ich war völlig erstaunt, dass es zumindest während des ersten Teils der Rede völlig still blieb, es kamen keinerlei Zwischenrufe, weder von Seiten der Regierungsparteien noch von Seiten der Rechten. Gleichwohl lag eine knisternde Spannung in der Luft. Vilner kam bis zu der Stelle, an der er von „amerikanischen und britischen Imperialisten“ als denjenigen sprach, die ein Interesse an diesem Krieg besäßen, um damit ihren militärischen Einfluss und den ihrer „großen Ölmonopole“ zu wahren. Es war wahrscheinlich kein Zufall, dass just nach diesen Worten sich in der Halle ein Sturm der Entrüstung erhob. Von allen Bänken schnellten die Abgeordneten aus ihren Sitzen hoch – „Verräter!“, „Feind Israels!“, „Moskauer Söldner!“, „Lasst ihn nicht weiter sprechen!“, und: „Du hast keinen Platz mehr unter uns, geh‘ zum Teufel!“, ertönte es von allen Seiten. Einige der Schreier verließen ihre Plätze und stürmten Richtung Rednerpult, um Vilner herunterzuzerren. In dem Moment eilten Ordner und Platzanweiser herbei und scharten sich schützend um ihn.
Tawfiq Toubi konnte sich jetzt nicht mehr halten, sprang ebenfalls von seinem Platz auf und schrie mit aller Macht seiner überaus kräftigen Stimme: „Die Zwischenrufe nützen nichts im Angesicht der Wahrheit, dieser Krieg löst nicht ein einziges Problem Israels!“ Er schloss mit den Worten: „Unsere Stimme ist die Stimme der Wahrheit und viel lauter als all euer Hass!“ Währenddessen trommelte der Knessetsprecher Lus unaufhörlich mit seinem Hammer, aber ohne Erfolg. Niemand kümmerte sich darum. Der ganze Tumult hielt etwa ein Viertelstunde lang an, bis Meir seine Rede zu Ende bringen konnte.
Aus: „Gekrümmte Wege, doch ein Ziel. Erinnerungen eines deutsch-israelischen Kommunisten“ von Hans Lebrecht, erschienen im Verlag Klemm & Oelschläger, Münster 2007.
Hans Lebrecht war über viele Jahre Israel-Korrespondent der UZ
Vor nunmehr 50 Jahren führte Israel am Anfang des Monats Juni einen Präventivkrieg, dessen Ergebnisse bis heute geopolitische Auswirkungen haben. Diesen nach seiner Dauer auch „Sechstagekrieg“ genannten Waffengang führte es nicht nur gegen das palästinensische Volk, sondern vorrangig gegen drei seiner arabischen Nachbarländer. Um die Ziele und die Motivation für diese Auseinandersetzung zu verstehen, empfiehlt es sich, die Situation und den Charakter der beteiligten Länder sowie die allgemeine Lage in der Region zu dieser Zeit zu betrachten:
In Ägypten, das nach der gescheiterten Vereinigung mit Syrien 1961 den Namen Vereinigte Arabische Republik (VAR) weitertrug, war 1952 durch einen Staatsstreich der „freien Offiziere“ die von Großbritannien installierte Monarchie beseitigt worden. In der Folge kam es unter Präsident Gamal Abdel Nasser zu zahlreichen antiimperialistischen und antifeudalen Maßnahmen. Eine Bodenreform drängte den Einfluss der Großgrundbesitzer zurück, es wurden große Anstrengungen gemacht, das Land zu industrialisieren, und ausländische Unternehmen wurden verstaatlicht. Die Suezkanal-Gesellschaft war dabei das prominenteste Beispiel. Vor allem in den 60er Jahren wurde die Armut durch eine ganze Reihe von sozialen Maßnahmen bekämpft und durch eine Einbindung der werktätigen Schichten in den revolutionären Prozess versucht, die alten Herrscherschichten zurückzudrängen.
Fortschrittliche Regierungen
Außenpolitisch vertrat Nasser eine Politik der Nichtpaktgebundenheit. So spielte Ägypten eine wichtige Rolle in der Bewegung der Blockfreien. Gleichzeitig begann eine ökonomische und politische Annäherung an das sozialistische Lager.
Syrien galt stets als das Geburtsland des arabischen Nationalismus. Hier gründete sich bereits in den 40er Jahren die Baath-Partei, die 1963 die Regierung übernahm. Nach heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen setzte sich 1966 der Parteiflügel durch, der auf eine sozialistische Orientierung setzte.
Ähnliche nationalistische fortschrittliche Regierungen waren auch in weiteren arabischen Ländern an die Macht gelangt. Im Irak beseitigten patriotische Offiziere 1958 den britischen Einfluss auf das Land und in Algerien gelang es der Nationalen Befreiungsbewegung FLN, in einem acht Jahre dauernden blutigen Krieg die französische Kolonialmacht zu bezwingen und die Unabhängigkeit des Landes zu erkämpfen. Die Position der imperialistischen Mächte wurde im arabischen Raum sukzessive zurückgedrängt, weshalb diese zunehmend aggressiv versuchten ihre koloniale Rolle wiederherzustellen. Hier bot sich Israel erneut als idealer Akteur an. Die führenden zionistischen Politiker hielten an ihrem Vorsatz fest, das israelische Territorium über die Grenzen von 1949 zu erweitern. Schon einmal hatten sie einen Versuch unternommen, dies im Kielwasser der ehemaligen Kolonialmächte zu tun, als sie die britisch-französische Aggression gegen Ägypten im Suezkrieg 1956 unterstützten und die Sinaihalbinsel zu erobern versuchten. Vielleicht konnte einem neuen Anlauf Erfolg beschieden sein. Außerdem hatten sie genau wie die imperialistischen Großmächte ein Interesse daran, die fortschrittlichen Regierungen in Syrien und der VAR zu schwächen, die den palästinensischen Widerstand gegen die israelische Besatzungspolitik politisch und teilweise auch militärisch unterstützten. Die israelische Außenpolitik wurde nunmehr zunehmend offensiver: Mitte der 60er Jahre wurde Wasser aus dem Jordan, bevor dieser in jordanisches Gebiet eintritt, abgezweigt, um Druck auf Jordanien auszuüben. An der israelisch-syrischen Grenze provozierte die israelische Armee ab 1962 mit immer größerer Intensität eine ganze Reihe militärischer Zwischenfälle, bei denen auch in größerer Zahl Flugzeuge und Panzer eingesetzt wurden. Der israelische Generalstabschef Jitzchak Rabin erklärte Anfang 1967 ganz offen, dass keine Regierung in Nahost sich sicher fühlen könne, ehe nicht die syrische Regierung gestürzt sei. Die Knesset erteilte der Regierung am 9. Mai die Vollmacht Syrien anzugreifen. Die ägyptische Regierung reagierte darauf, indem sie mit Syrien einen militärischen Beistandspakt im Falle einer israelischen Aggression abschloss. Des weiteren verlegte sie militärische Einheiten an die Grenze zu Israel und wirkte darauf hin, dass die dort stationierten UN-Truppen abgezogen wurden.
Vernichtende Niederlage
Am 5. Juni 1967 begann Israel den Krieg. Seiner Luftwaffe gelang ein Überraschungsangriff. Sie konnte bereits im ersten Schlag drei Viertel der ägyptischen Luftstreitkräfte am Boden zerstören. Am selben Tag vernichteten die Israelis die gesamte jordanische Luftwaffe und fast die Hälfte der syrischen Kampfflugzeuge. Die israelischen Bodentruppen konnten nun leicht vorstoßen. Am 8. Juni erreichten sie den Suezkanal und eroberten in diesem Zuge den gesamten Sinai. Innerhalb weniger Tage wurden das Westjordanland und Ostjerusalem, das zu Jordanien gehörte, besetzt. Zuletzt gingen die israelischen Truppen gegen Syrien vor und besetzten die Golanhöhen.
Für die arabischen Staaten war der Krieg ein Debakel. Besonders die ägyptische Armee zeigte sich nicht fähig, dem Aggressor Widerstand zu leisten. Beim teils ungeordneten Rückzug kam es zu horrenden Verlusten.
Am 10. Juni stellte Israel nach mehrmaligen Aufforderungen durch den UN-Sicherheitsrat die Kampfhandlungen ein. Die territorialen Kriegsziele der israelischen Führung waren erreicht. Für die arabische Seite war es erneut ein schwerer Schlag. Etwa eine Million Menschen gerieten unter israelische Besatzung und insbesondere aus den Palästinensergebieten wurden eine halbe Million Menschen vertrieben, die als Flüchtlinge in den arabischen Staaten Zuflucht suchen mussten. Die israelische Regierung ließ in den besetzten Gebieten Siedlungen errichten. Die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Araber in Palästina rückte erneut in weite Ferne.
Wie konnte es zu einer solchen vernichtenden Niederlage der arabischen Staaten kommen? Sie verfügten zusammen über eine klare Übermacht an Soldaten sowie militärischem Gerät. Jedoch waren ihre Armeen an Ausbildung und Organisation der israelischen deutlich unterlegen. Vor allem jedoch waren sie mit inneren Problemen belastet. In Syrien kam es zu Beginn des Jahres zu zahlreichen Demonstrationen und Streiks gegen die Baath-Regierung. Entzündet hatte sich die Auseinandersetzung an der betont säkularen Ausrichtung der neuen Regierung, sodass insbesondere konservative und reaktionäre Kräfte gegen sie mobil machten.
Konterrevolutionäre Armeekreise
Auch in Ägypten gab es heftige innenpolitische Auseinandersetzungen. Zwar war durch zahlreiche Maßnahmen die Machtposition der alten besitzenden Schichten zurückgedrängt worden, doch waren diese an vielen Stellen nicht umfangreich genug, sie auch dauerhaft politisch zu entmachten. Insbesondere im Militär gab es zahlreiche Kräfte, die dem politischen Kurs Nassers entgegenwirken wollten. Viele Militärs waren in den Jahren vor dem Sechstagekrieg auf einflussreiche Posten gelangt und fürchteten durch den seit den 60er Jahren verstärkten Prozess der politischen Einbindung der Werktätigen um ihre Position. So organisierten sich vor allem in Armeekreisen konterrevolutionäre Kreise, die in der Wahl ihrer Mittel so weit gingen, während des Sechstagekrieges Sabotage zu üben. Mehrere Offiziere, wie beispielsweise der Kommandeur der Sinai-Armee, waren bei Kriegsausbruch nicht auf ihren Posten.
Nasser selbst übernahm die Verantwortung für die Kriegsniederlage und verkündete seinen Rücktritt. Daraufhin kam es zu tagelangen Massenprotesten in Kairo, bei denen die Wiedereinsetzung Nassers verlangt wurde. Der Präsident nahm seinen Posten wieder ein. Durch seine gestärkte Machtposition war der Vorstoß der Konterrevolution noch einmal verhindert worden. Nasser versuchte nun die rechten Kräfte zurückzudrängen. Zahlreiche Prozesse wurden gegen führende Armeeoffiziere angestrengt, denen Umsturzpläne vorgeworfen wurden. Auch wurden hochrangige Militärs aus der Regierung entfernt und durch Zivilisten ersetzt.
Dennoch wirkte die militärische Niederlage wie ein Schock. Trotz der vielen Jahre, in denen der Aufbau des Landes vorangetrieben worden war, konnte man der israelischen Aggression nichts entgegensetzen. Es traten Fehlentwicklungen offen zu Tage und es offenbarte sich, dass einige Maßnahmen nicht im nötigen Umfang durchgeführt worden waren. Der Sinai mit seinen Manganerz-, Erdöl- und Steinkohlevorkommen war verloren gegangen. Der Suezkanal, durch den wichtige Deviseneinnahmen erzielt wurden, war nun für die Schifffahrt geschlossen. Dies begünstigte die Position der politischen Rechtskräfte in Ägypten. Sie sahen sich nun in der Lage die Politik der Regierung offen in Frage zu stellen. Als drei Jahre später Präsident Nasser starb und Anwar as-Sadat als sein Nachfolger Präsident des Landes wurde, bot das den ägyptischen Rechtskräften und der internationalen Reaktion die Möglichkeit, die fortschrittlichen Entwicklungen des Landes zurückzudrehen.
Imperialistische Aggressionspolitik
Allen voran die USA hatten Israel in umfangreichem Maße mit modernen Waffen beliefert und Israel zu seiner Aggression ermuntert. Der Sechstagekrieg hatte im Sinne ihrer imperialistischen Politik auch zu den erhofften Resultaten geführt. Die fortschrittlichen arabischen Regierungen waren zwar nicht unmittelbar beseitigt worden, jedoch waren sie im Kern erschüttert worden und ihr Rückhalt und ihre Popularität gerieten ins Wanken. Einhergehend damit wurde auch der Einfluss der sozialistischen Staaten, insbesondere der Sowjetunion, als Bündnispartner der nationalen Befreiungsbewegungen in der Region zurückgedrängt. Im Falle des Sechstagekrieges nutzten die USA Israel als Aggressor, um die fortschrittlichen Kräfte in Ägypten zu schwächen. Zwei Jahre zuvor hatten sie rechte Militärs in Indonesien unterstützt, welche die Regierung Sukarnos stürzten, die demokratische Reformen durchgeführt hatte. 1966 hatten in Ghana rechte Kräfte mit Hilfe imperialistischer Geheimdienste gegen die Regierung Nkrumah geputscht, die einen sozialistischen Entwicklungsweg vertrat. Der Sechstagekrieg reihte sich ein in die Aggressionspolitik, die von den Imperialisten global gegen alle fortschrittlichen und antikolonialen Bewegungen betrieben wurde und nach wie vor wird.