Über Regierungspolitik als Schmierentheater

Heiße Luft statt heißem Herbst

Kanzler Scholz verkündet, dass von einer Kommission beraten werde, wie die Gaspreise künftig bezahlbar gehalten werden sollen. Fehlte etwa bisher das Wissen über den Preisanstieg und mögliche Steuerungsmöglichkeiten? Das jedenfalls will uns die Bundesregierung mit ihrem inszenierten Streit zwischen Wirtschafts- und Finanzminister glauben machen: Dass die eine Hand nicht weiß, was die andere macht. Dabei glänzt die Ampel-Koalition durchaus mit koordiniertem Handeln inmitten der vorgespielten Kopflosigkeit – sowohl zwischen den drei Regierungsparteien als auch zwischen den drei sogenannten „Sozialpartnern“.

Letztere unterstützen den Kanzler im Rahmen einer konzertierten Aktion zur Beruhigung der arbeitenden Bevölkerung. Ergebnisse ihrer Beratungen sind sozialpolitische Pyrrhussiege wie die kürzlich verkündete Steuerbefreiung auf freiwillige Einmalzahlungen der Kapitalseite. Wer wirklich eine freiwillige Zahlung vom Chef erhält, das steht auf einem anderen Blatt. Wenigstens können diejenigen, die zu Weihnachten eine jährliche Zahlung erhalten, hoffen, dass etwas mehr übrigbleibt. Angesichts dauerhaft gestiegener Ausgaben ist das jedoch keine Entlastung.

Zum anderen haben die Ampel-Regierungsparteien gemeinsam entschieden, das Pipelineprojekt Nord Stream 2 zu beerdigen. Die Vorgängerregierung hatte dem Druck der USA noch standgehalten und sogar angedrohte Sanktionen gegen die Bundesregierung konnten nichts bewirken. Gerichtet haben es dann die Grünen: Sie machten Schluss mit dem bisherigen Gaslieferanten Russland, ohne eine Alternative zu haben. Die zusammen mit der EU verhängten Sanktionen gegen Moskau haben das Übrige dazu beigetragen, dass der Gashahn nun zugedreht wurde. Das zu verstehen erfordert keine Expertenkommission.

Aber wie das Problem jetzt lösen? Vielleicht muss das noch beraten werden? Eigentlich nicht, denn selbst der Finanzminister weiß, was wir und andere schon lange fordern: Wir brauchen einen gesetzlichen Preisstopp auf Gas und Energie. Lindner sagte am Sonntag gegenüber Springers „Bild am Sonntag“: „Wir haben eine Gasumlage, die den Preis erhöht. Aber wir brauchen eine Gaspreisbremse, die den Preis senkt.“ Ähnliche Töne auch vom bayerischen Ministerpräsidenten oder der Regierenden Bürgermeisterin Berlins. Blöd nur, dass kein Geld da sei, wegen der schwarzen Null. Superreiche besteuern oder Unternehmensgewinne abschöpfen ginge auch nicht, sagen die Regierenden, weil die das nicht gerne sehen.

Am Ende bekommen wir alles und nichts. Alles, weil mindestens Uniper verstaatlicht wird und die Gasumlage de facto fällt – ob per juristischer Einschätzung oder durch die von Scholz veranlasste zeitlich begrenzte Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas. Nichts, weil zwar alle für einen Preisdeckel sind, aber niemand das Geld in die Hand nehmen möchte, welches sie für das „Sondervermögen Bundeswehr“ über Nacht locker gemacht haben. Falsche Politik entspringt keinem Mangel an Vernunft in den herrschenden Kreisen. Vielmehr stehen die materiellen und politischen Interessen, für die sie in die Politik gehen, in direktem Gegensatz zu den konkreten Sorgen und Nöten, die eine Regierung lösen sollte.

Weil ihre Politik also dem Wesen nach frei jeglicher Vernunft sein muss, weil es ihnen um Profite und Vorteile geht, kann die Energiepreiskrise nur durch einen Bruch mit ihrer Politik und den dahinterstehenden Interessen gelöst werden. Denn jenseits von Durchhalteparolen ist die Wahrheit konkret, so wie auch die nächste Energieabrechnung. Wer also auf einen Preisdeckel für Energie und Lebensmittel hofft, der sollte nicht auf Lindner, Giffey oder Söder hören, sondern selber aktiv werden: Nicht bei der nächsten Wahl, sondern bei der nächsten Demonstration.

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"Heiße Luft statt heißem Herbst", UZ vom 30. September 2022



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