Die „Bild“ bezeichnet ihn als „Lehrer-Präsident“ oder „Deutschlands Lehrer-Chef“, für die „B. Z.“ ist er der „Spitzen-Pädagoge“. Dabei ist Stefan Düll lediglich Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, einer Lobbygruppe unter dem Dach des Deutschen Beamtenbundes, die einst als Gegenpol zur Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gegründet wurde. Seiner Funktion entsprechend agiert Düll als hauptamtlicher Rechtsausleger, den die niedersten Presseerzeugnisse des deutschen Monopolkapitals immer dann ans Telefon holen, wenn besonders stumpfe Kommentare zur Bildungslandschaft benötigt werden.
Kein Wunder, dass Düll im Oktober zum Thema „Judenhass“ ausführen durfte, dass es Grundschulen gebe, „in denen fast nur noch muslimische Schüler sitzen“ – fertig war die „Bild“-Schlagzeile. Ende Dezember hatte der Präsident dann den nächsten großen Auftritt in der gleichen Zeitung. Sein Thema diesmal: die „Zeitenwende“.
Zwar seien Schulen keine „Appellplätze“, so Düll, „aber Orte, an denen wir unseren Kindern und Jugendlichen die Werte von Demokratie und Freiheit vermitteln“. Der Besuch von Jugendoffizieren an den Schulen sei für ihn deshalb „selbstverständlich“, außerdem müsse die „Bereitschaft zu einer ernst gemeinten Abschreckung“ gefördert werden. Er will auch überprüfen, ob „man die Lehrpläne im Hinblick auf Bedrohung, Geostrategie und Verteidigungsbereitschaft nachschärfen muss“.
Der Kampf um die Köpfe von Schülerinnen und Schülern ist im vollen Gange. Es geht um die Militarisierung der Schulen und die Normalisierung des Krieges, um den Aufbau von Feindbildern, aber auch um das Heranziehen neuer Rekruten. Die Aufrüstungsbestrebungen des deutschen Imperialismus lahmen nicht zuletzt am mangelnden Kanonenfutter. 203.000 Soldaten sollen bis zum Jahr 2031 in der Bundeswehr dienen, derzeit sind es nur 180.000. Die Lücke zu schließen scheint angesichts der niedrigen Bewerberzahlen illusorisch.
Die Bemühungen, Kinder und Jugendliche auf Linie zu bringen, greifen inzwischen tief in das Schulleben ein. Am 12. Oktober versandte das Schulministerium in Nordrhein-Westfalen beispielsweise eine Mail, in der die Lehrkräfte aufgefordert wurden, „israeldämonisierenden Äußerungen“ entgegenzutreten. „Ablehnende Äußerungen zum Staat Israel“ könnten „durch propagandistische Informationen und gezielte Desinformationen“ geprägt sein, hieß es darin. Um sich in hartnäckigen Fällen Unterstützung zu holen, sollten sich die Lehrer an die „Fachkräfte der Systemischen Extremismusberatung“ wenden. Am nächsten Tag wurde an Berliner Schulen das Tragen von Kufijas verboten.
Diese administrativen Maßnahmen ergänzen die bekannten Propagandatechniken, die in den vergangenen zwei Jahren ständig neue Höhepunkte erreicht haben. Die sogenannte „Münchner Sicherheitskonferenz“ (MSC) tingelte beispielsweise mit dem sagenhaften Wanderzirkus „Zeitenwende on tour“ durch Stadthallen und Schulen. In Gütersloh kooperierte die Veranstaltung mit der Bertelsmann-Stiftung, um MSC-Chef Christoph Heusgen, den Vorsitzenden der Jungen Union Johannes Winkel und den früheren „heute-journal“-Sprecher Claus Kleber auf die Bühne zu bringen. Laut Bericht der Bertelsmann Stiftung mussten sich 350 Jugendliche die Begrüßung von Bertelsmann-Erbin Liz Mohn anhören, bevor die Diskussion begann. Die verlief wie erwartet: Ein Schüler fragte, ob nicht beide Seiten Schuld an der Eskalation des Ukraine-Krieges hätten. Als Diplomat nutze er normalerweise nicht Kategorien wie „schwarz“ und „weiß“, antwortete Heusgen, aber in diesem Fall sei das anders: „Russland trägt die Schuld.“
Was die Rekrutierungszahlen angeht, lässt der durchschlagende Erfolg solcher Showeinlagen noch auf sich warten. Da ist es naheliegend, bald wieder auf den altbewährten Zwang zu setzen. Zuletzt gab Kriegsminister Boris Pistorius (SPD) bekannt, verschiedene Modelle zur Wiedereinführung der Wehrpflicht zu prüfen. Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), forderte Ende Dezember gegenüber der dpa eine „Entkrampfung der Debatte“. Wie Pistorius verwies sie auf Schweden als Vorbild. Dort würden zwar alle jungen Menschen eines Jahrgangs gemustert, aber dann würden „diejenigen genommen, die geeignet sind und die wollen“, so Högl.
Diese Beschreibung des schwedischen Modells als eine Art „freiwilliger“ Wehrpflicht geisterte zum Jahreswechsel durch die bürgerlichen Medien. Mit der Wahrheit hat sie indes nicht viel zu tun: Auch in Schweden werden Rekruten gegen ihren Willen eingezogen, wenn die angestrebten Zahlen nicht erreicht werden. „Es geht eben nicht nur um eine Musterungspflicht“, fasst der Rechtsblog „Legal Tribune Online“ zusammen, der zudem erhebliche verfassungsrechtliche Hürden für die Einführung der schwedischen Variante in Deutschland ausgemacht hat, etwa bei der Wehrgerechtigkeit oder der Einberufung von Frauen.
Was ebenfalls gerne verschwiegen wird, ist, dass das schwedische Modell keineswegs nur Auswirkungen auf die kommenden Jahrgänge von Schulabgängern hätte. Denn die Wehrpflicht ist in Schweden gepaart mit einer Dienstpflicht, die alle Einwohner zwischen 16 und 70 Jahren dazu zwingt, im Kriegsfall bei den Streitkräften, beim Zivilschutz oder in kritischen Infrastrukturen mitzuarbeiten. Hinzu kommt eine Pflicht zum Zivildienst und zur Teilnahme an Auffrischungskursen und regelmäßigen Übungen.
Man darf vermuten, dass die Pläne für ähnliche Zwangsdienste bereits in der Schublade liegen. Was für die Schülerinnen und Schüler gilt, wenn sie Besuch von den Jugendoffizieren bekommen, gilt auch für den Rest der Bevölkerung: Erzählt wird, wenn überhaupt, nur die Hälfte.