Erst kommt die Empörung, dann die Doppelmoral: EU plant ein eigenes „Agentengesetz“

„Heikle Angelegenheit“

Der Entwurf der georgischen Regierungspartei „Georgischer Traum“ zu einem Transparenzgesetz war der Europäischen Union (EU) schon seit langem ein Dorn im Auge. Das jüngst ins Parlament Georgiens eingebrachte Mediengesetz zur „Transparenz ausländischer Einflussnahme“ sah vor, dass politische Vereinigungen, die mehr als 20 Prozent ihrer finanziellen Mittel aus dem Ausland erhalten, sich als sogenannte „ausländische Agenten“ registrieren lassen müssen. Für Zuwiderhandlungen waren hohe Geldstrafen vorgesehen. Die Regierung Georgiens zog das Gesetz überraschend wieder zurück, zwei Tage nachdem es am 7. März in erster Lesung beschlossen worden war.

EU und USA hatten unterdessen eine massive Drohkulisse aufgebaut. Das Gesetz habe mit Transparenz nichts zu tun, sondern behindere westlich orientierte Nichtregierungsorganisationen (NGO). Es habe die gleiche Stoßrichtung wie das 2012 in Russland eingeführte und 2022 verschärfte Gesetz gegen Einflussnahme aus dem Ausland. Wenige Stunden nach der ersten Lesung war auf der Internetseite der US-Botschaft bereits die Rede von einem „düstereren Tag für die georgische Demokratie“. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell intervenierte höchstselbst („Dieses Gesetz ist mit den Werten und Standards der EU unvereinbar“), verwies auf die EU-Fähnchen schwingenden Protestler und machte deutlich, dass nun der im Mai letzten Jahres von Georgien eingereichte Antrag auf Mitgliedschaft in der EU „ernsthaft überdacht“ werden müsse. Den Rest besorgte eine eilends nach Tiflis entsandte Delegation der EU-Kommission.

Kaum war die georgische Regierung wieder auf EU-Kurs eingenordet, wartete das zum Springer-Medienkonzern gehörende Magazin „Politico“ mit einer für die EU-Kommission unangenehmen Meldung auf: Brüssel plane für Ende Mai selbst ein Gesetz zur besseren Kontrolle „ausländischer Agenten in der EU“. Demnach sollen NGOs, Beratungsfirmen ebenso wie akademische Einrichtungen gezwungen werden, „jegliche Nicht-EU-Finanzierung offenzulegen, um den ausländischen Einfluss in der EU zu bekämpfen“. Angesichts des jüngsten Sturmlaufs der EU gegen das nun eingestampfte Gesetz in Georgien eine mehr als „heikle Angelegenheit“, wie „Politico“ einen Kommissionsbeamten zitiert. Mittlerweile ist bekannt, dass der EU-Gesetzentwurf Teil des von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Mitte September 2022 angekündigten Vorschriftenpakets zur „Verteidigung der Demokratie“ ist. Eine Regelung, die nach gängiger EU-Diktion in Georgien das Ende der Demokratie eingeläutet hätte, soll also fortan in der EU demokratische Standards sichern.

Von den bürgerlichen Leitmedien wurde geflissentlich verschwiegen, dass sich die georgische Gesetzesinitiative nicht etwa das russische Gesetz gegen ausländische Agenten zum Vorbild nahm, sondern das 1938 verabschiedete US-amerikanische Gesetz FARA („Foreign Agents Registration Act“). FARA, die Mutter aller Folgeregelungen in anderen Staaten, zwingt seit 85 Jahren bei Strafe von bis zu fünf Jahren Haft jede in den USA tätige ausländische Vereinigung, sich in einem Zentralregister listen zu lassen und sämtliche Finanzquellen offenzulegen. Naturgemäß versuchte der Sprecher des US-Außenministeriums, Edward Price, bei einem Pressebriefing der US-Botschaft in Tiflis am 2. März die Vorbildfunktion von FARA für das geplante georgische Gesetz zu zerstreuen: Das sei „schädliche Rhetorik, die die euro-atlantischen Bestrebungen“ gefährde, FARA habe von jeher „keine negativen Auswirkungen auf NGO-Operationen“. Ein Blick in Paragraf 611 des FARA belehrt eines Besseren. Mit ein Grund dafür, dass die 1984 gegründete Allianz internationaler NGOs in den USA (InterAction) seit Jahrzehnten die Aufhebung des FARA fordert. „Die weit gefasste Definition von ausländischen Auftraggebern“ führe dazu, „dass sich selbst NGOs, die lebensrettende humanitäre Hilfe leisten, als ausländische Agenten registrieren lassen müssen“. Das geplante EU-FARA wird, soviel steht fest, zum neuen Sinnbild euro-atlantischer Doppelmoral.

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"„Heikle Angelegenheit“", UZ vom 31. März 2023



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