Wie mit Kulturpolitik Herrschaft unterfüttert wird

Hebelwirkung

Von Herbert Becker

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( ZERDUSCHT – Gerd Hergen Lübben/Wikimedia Commons / Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE)

Die neue Bundesregierung hat sich was vorgenommen in Sachen Kulturpolitik. Seit Schröders Zeiten ist im Bundeskanzleramt das nationale Instrumentarium gebündelt, im Auswärtigen Amt die internationalen Bemühungen, deutsche Sprache und Geschichte weltweit zu präsentieren. Um nicht mit der grundgesetzlichen Bestimmung „Kulturpolitik ist Ländersache“ zu kollidieren, werden jede Menge Projekte angeschoben und überregionale Netzwerke gefördert und gesteuert. Im AA ist das Hauptaugenmerk auf die Arbeit der Goethe-Institute gerichtet, immerhin 159 Institute und Verbindungsbüros in 98 Ländern, die die politischen Vorgaben umzusetzen haben. Das Jahresbudget des Goethe-Instituts belief sich 2017 auf fast 400 Millionen Euro. Es enthielt Zuwendungen vom Auswärtigen Amt in Höhe von rund 235 Millionen Euro. Die Einnahmen durch Sprachkurs- und Prüfungsgebühren an den Goethe-Instituten im In- und Ausland, Einnahmen aus Spenden und Sponsoring sowie Zuwendungen Dritter betragen fast 155 Millionen Euro. Im Bundeskanzleramt stellt man 1,8 Milliarden Euro für die geplanten und gewünschten Projekte für die nationale Kulturpolitik im Jahr 2018 bereit. Während die Zahlen des AA seit Jahren stagnieren, ist der Haushalt für „Inländisches“ seit Merkels Antritt im Jahr 2005 um 60 Prozent erhöht worden. Natürlich Summen, die im Kriegsministerium nur ein müdes Lächeln hervorrufen, allein ein ordentlicher neuer Zerstörer für die Marine kostet so viel.

Monika Grütters CDU), erneut benannte Kulturstaatsministerium im Hause Merkel, hat jede Menge Projekte auf dem Zettel, einmal quer durch den Gemüsegarten der Künste und der Kultureinrichtungen. Da gibt es was für Filmförderung, für Studienaufenthalte von Literaten, für Ateliers bildender Künstler, für das Bundesjugendorchester, für Museen, Bibliotheken, Archive. Eine lange Liste, für alle Projekte eine Jury, die hübsch aufpasst, dass es nicht zu subversiv wird, dass „die Fähigkeit und Stärke der Kunst und Kultur darin liegen, den Zusammenhalt in unserer pluralen und weltoffenen Gesellschaft zu stärken“ und also die Katastrophen durch Armut, Behinderung, Diskriminierung nicht offen gezeigt werden. Künstler, die ihre Arbeit so verstehen, dass sie wie ein Stachel wirken können, werden vor den Segnungen des Haushalts keine Gnade finden. Das Gießkannenprinzip an einem Beispiel: Im Projekt „Kulturelle Bildung und Integration“ sollen herausragende Ideen mit bis zu 300 000 Euro gefördert werden, dafür hat Grütters in ihrem Haushalt gerade mal drei Millionen eingepreist, mehr als 10 Projekte bundesweit sind nicht drin. Gewünscht werden Vorschläge, die identitätsstiftend und integrativ wirken wollen, die die Teilhabe am kulturellen Leben erleichtern, also eindeutig nicht die Öffnung fremder Kulturen und Lebensweisen in unsere Gesellschaft hinein, sondern das Einüben deutscher „Werte und Grundsätze“ für die, die aus der Fremde kommen.

Dieses Beispiel ist symptomatisch für die Kulturpolitik der Regierung, alle etwas näher beleuchteten Projekte und Fördermaßnahmen zeigen die gleiche Richtung an: Der Kulturbegriff speist sich aus dem nebulösen „christlich-abendländischen“, manchmal ergänzt um das jüdische Erbe. Unter Weltoffenheit versteht die CDU-Politikerin, dass die Welt offen für Deutschland sein solle, die Exportweltmeisterschaft muss gesichert werden, tolerant sind wir nur so lange, wie wir unsere Bräuche, Sitten und Traditionen mit exotischen Farbtupfern anreichern, aber auch nur so lange.

Und selbstverständlich ist „Integration“ mit der Drohung verbunden, wer sich nicht anpasst, fliegt wieder raus. Die klassischen Förderpreise für Künstlerinnen und Künstler sind Belobigungen, neben einer Urkunde gibt es auch Geld, die Menge an Auszeichnungen ist unüberschaubar, als Beliebigkeit bis hin zum revolvierenden System (Gibst du mir einen Preis, gebe ich demnächst dir einen Preis) lässt sich oft die Arbeit der Jurys beschreiben.

Aus Proporzgründen bastelte die GroKo ein Amt für eine SPD-Politikerin, Michelle Müntefering darf sich nun Staatsministerin im Auswärtigen Amt nennen, zuständig für die internationale Kulturpolitik des Bundes. Schon immer war dieser Politikbereich als dritte Säule neben der klassischen Diplomatie und den Wirtschaftsbeziehungen bekannt, aber die Positionierung über ein Staatsministerium, höher als bloß ein Referat, ist ein Signal. Müntefering hat drei Aufgaben in den Vordergrund ihrer Politik gestellt: Die Unterstützung von verfolgten Künstlerinnen und Künstlern findet sie besonders da, wo andere gesellschaftliche Wege gegangen werden, explizit in China, Kuba, Venezuela. Unser berechtigter Protest gegen die US-amerikanischen Störattacken gegen Kuba sollte sich auch deutlich gegen diese deutschen Versuche der Einmischung richten. Ein zweites Feld sieht Müntefering im von ihr behaupteten weiter anwachsenden Antisemitismus, besonders in arabischen Ländern, gegen den sie mit „Erinnerungskultur“ angehen will. Soll nichts anderes heißen, als der Kritik an der Politik des israelischen Staates gegenüber dem palästinensischen Volk die Berechtigung zu entziehen. Sie setzt in ihrem Bereich das um, was als Staatsräson der herrschenden Klasse seit Jahrzehnten dient.

Um den bohrenden Fragen der Nachkommen von deutscher Kolonialherrschaft etwas entgegenzusetzen, bietet Müntefering einen stärkeren Kulturaustausch an, von Entschuldigung und Wiedergutmachung ist natürlich keine Rede, dafür gründet sie das „Deutsche Zentrum Kulturgutsverluste“. Hier darf dann lang und breit debattiert werden, was der deutsche Imperialismus in den letzten 140 Jahren angerichtet hat und wie die ausweichenden Erzählungen gestaltet werden. Die Goethe-Institute bekommen dann ihre Materialien und tun ihren Job.

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"Hebelwirkung", UZ vom 27. April 2018



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