Bundestag diskutiert Digitale Agenda der Bundesregierung 2014–2017

Hebel für Deregulierung

Von Thomas Hagenhofer

Sollten noch irgendwelche Zweifel daran bestehen, wofür die digitale Transformation der Gesellschaft aus Sicht der Bundesregierung genutzt werden soll, so werden diese im Bericht „Digitale Agenda 2014–2017“ säuberlich ausgeräumt. Es geht um dem Kampf um Weltmarktanteile an der boomenden Informations- und Kommunikations-Industrie und um innovationsfreundliche Rahmenbedingungen für die Industrie 4.0.

So jubiliert die Bundesregierung in ihrem Bericht wie folgt: „Mit 223 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2015 hat Deutschland nach den USA, China, Japan und Großbritannien den fünftgrößten IKT-Markt der Welt. Mit 1.379 Euro Pro-Kopf-Umsatz behauptet die deutsche Internetwirtschaft im globalen Vergleich den fünften Rang. Rund eine Million Menschen sind heute allein in der IKT-Branche in Deutschland beschäftigt.“

Und so soll es auch weitergehen: Durch schnelleren Ausbau der Glasfasertechnologie fürs Giganetz, 5G-Mobilfunkstandard und massivem Ausbau des Schutzes vor Cyberattacken soll der Standort Deutschland seine eh schon übermächtige Exportwalze auch in der digitalen Welt stärken. Statt möglichem Ausbau demokratischer Rechte wird das Internet mehr und mehr zum Überwachungsparadies auch der deutschen Geheimdienste.

Der deutschen Industrie und der Bundesregierung ist es gelungen, ihre Sichtweise auf die digitale Transformation gegen die der USA zu behaupten. Es ist auch eine Schlacht um Wirtschaftskonzepte der Zukunft, digitalisierte Industrie wie in Europa, vor allem in Deutschland oder Plattformökonomie a la Google-Alfa, Amazon oder Facebook wie in den USA.

Die Kapitalseite hat Industrie 4.0 als neuen argumentativen Hebel für Deregulierung entdeckt. Heute steht folgendes Drohszenarium im Raum: Wer sich den Wünschen des Kapitals in Politik, Betrieb und Gesellschaft verweigert, wird nur den Verlust von Arbeit durch die Digitalisierung erleben und nicht auch den Aufbau neuer Beschäftigung als Arbeit 4.0.

In einem Beitrag der netzkritischen Plattform netzpolitik.org wird unter der passenden Überschrift „Schulterklopfen 4.0“ die den Bundestagswahlen geschuldete Selbstbeweihräucherung hinterfragt: „Sie [die Digitale Agenda] ist mehr auf die Wirtschaft ausgerichtet und weniger auf die Zivilgesellschaft und das Individuum. Das zeigt sich vor allem beim Datenschutz, den die Regierung von vorneherein fast komplett ausgeklammert hat und inzwischen offiziell zum Feindbild erkoren hat. Daten sind schließlich das neue Öl, der Rohstoff für die die Big-Data-Giga-Bit-Gesellschaft. Datenreichtum statt Datenschutz ist die Devise, bleibt die Frage, wer mit wessen Daten reich werden soll. Auch bei der dringend notwendigen Modernisierung des Urheberrechts gibt es kaum Fortschritte und auch in Sachen Digitalbildung ist außer Wahlkampfversprechen bislang wenig gelaufen.“

Dem IKT-Unternehmerverband Bitkom sind die Maßnahmen aber noch nicht (markt-)radikal genug. Der Zentral­verband des digitalen Kapitals kritisiert: „Die Digitale Agenda hat die Grenzen nationalen Regierungshandelns in einem europäisch eingebundenen und nach innen stark föderal geprägten Staat aufgezeigt. In zentralen Feldern der Digitalpolitik hat der Bund keine oder kaum Zuständigkeiten: Bildung, Medien, Verwaltung, auch innere Sicherheit. Hier betreiben wir in Deutschland digitale Kirchturmpolitik und der Langsamste bestimmt das Tempo.“ Hier geht es um Demokratieabbau in großem Stil. Alles soll aus dem Weg geräumt werden, was die internationale Konkurrenzfähigkeit beeinträchtigen könnte. Und so liefert die Bundesregierung gegenüber der EU-Ebene aufgeweichte Datenschutzgesetze, flexiblere Arbeitszeitregelungen und den größten Billiglohnsektor im Vergleich zur europäischen Konkurrenz. Die Gewerkschaften müssen sich dringend fragen, wie sie dieser Agenda des Kapitals etwas entgegensetzen können. Nur Mitgestalten wird keinesfalls ausreichen, um diese neuen Angriffe abzuwehren. Notwendig ist eine Vision im Interesse der Beschäftigten, die bereits jetzt mit wachsenden Belastungen durch die Digitalisierung zu kämpfen haben. Wichtige Impulse hierzu lieferten die Digitalisierungskongresse von ver.di.

Der folgenden Einschätzung im „wirtschaftspolitik info“ von ver.di vom Dezember 2016 zu den Herausforderungen für die Gewerkschaften ist daher zuzustimmen:

„Die Digitalisierung verändert vor allem die Inhalte und Qualität sowie die Strukturen der Erwerbsarbeit und der Wirtschaft. Die Aufgabe der Gewerkschaften ist die Sicherung sowie die soziale und humane Gestaltung von Arbeitsplätzen. Darüber hinaus geht es um die Qualifizierung und soziale Absicherung aller Erwerbstätigkeit sowie eine demokratische Regulierung der Wirtschaft. Das gesamtwirtschaftliche Niveau der Beschäftigung und die Entwicklung der Verteilungsverhältnisse sind dagegen keine technologische Frage, sondern eine der ökonomischen Entwicklung als auch der gesellschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit. Die zentralen Aufgaben hier sind die Sicherung und Durchsetzung von steigenden Löhnen, kürzeren und sozial gestalteten Arbeitszeiten sowie einer Wirtschafts- und Finanzpolitik, die für qualitatives Wachstum und einen Ausbau gesellschaftlich notwendiger Dienstleistungen sorgt.“

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"Hebel für Deregulierung", UZ vom 2. Juni 2017



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