Hans-Peter Brenner ist Stellvertretender Vorsitzender der DKP. Am 27. Oktober spricht er bei der Konferenz des DKP-Parteivorstandes „Kapitalismus zerstört Umwelt“ über „Ökologiekatastrophe(n) als Ausdruck der Systemkrise des Kapitalismus – was sind unsere marxistisch-leninistischen Antworten?“
Mit der Neukonstituierung der DKP im Herbst des Jahres 1968 hatte sich nach zwölfjährigem Kampf gegen das (weiterbestehende) Verbot der KPD der revolutionäre Flügel der deutschen Arbeiterbewegung neu formiert. Wofür stand diese Partei? Natürlich für das, was auch die KPD seit den Tagen ihrer Gründung 1918 ausgezeichnet hatte. Die „Markenzeichen“ der kommunistischen Partei waren seit jeher Arbeiterpolitik – der Kampf in Betrieb und Gewerkschaft –, Antifaschismus, Frieden, Internationalismus und der Kampf für ein sozialistisches Deutschland. Das, was derzeit in aller Munde ist und mit Stichworten wie „Umweltkrise“, „Klimawandel“ oder „Ökologische Krise“ verbunden wird, stand zu diesem Zeitpunkt bei keiner linken Partei und auch bei keiner Gewerkschaft auf einem vorderen Platz ihrer programmatischen Agenda. Aber es gab eine Ausnahme: die Arbeit der in die Illegalität gedrängten Kommunisten in der mit der sozialistischen Arbeiterbewegung verbundenen Naturfreundebewegung – besonders in der Naturfreundejugend.
Hier fanden sie ein legales Betätigungsfeld, das ihnen neben dem grundsätzlichen Engagement für eine saubere und gesunde Umwelt auch ermöglichte, allgemein-demokratische und friedenspolitische Forderungen zu vertreten. Die Naturfreundebewegung beteiligte sich daher aktiv an den Ostermärschen und an den Kämpfen gegen die Notstandsbewegung. Sie setzte sich für ein Ende des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Staaten und auch für die Aufhebung des KPD-Verbots ein. Das entsprach den Traditionen der überparteilichen, mit der Arbeiterbewegung verbundenen Naturfreundebewegung.
Umwelt nicht im Fokus
Doch weder im Entwurf des neuen Programms der KPD vom Frühjahr 1968, noch in der „Erklärung zur Neukonstituierung einer Kommunistischen Partei“ vom 25. September 1968, noch in der vom 1. Parteitag der DKP im April 1969 verabschiedeten „Grundsatzerklärung der DKP“ spielten Fragen der Umweltpolitik eine Rolle. Das kann und darf nicht besonders erstaunen: Die Nachkriegsära war kaum überstanden. Die „großen“ politischen Fragen wurden von den Folgen des „Kalten Krieges“, dem Stocken des langanhaltenden „Wirtschaftswunders“, der Auseinandersetzung um die Notstandsgesetze, dem Bildungs- und Ausbildungsnotstand von Schülern, Studenten und Lehrlingen und dem brutalen Krieg der USA in Vietnam, Laos und Kambodscha dominiert. Insgesamt war der gesellschaftliche Stellenwert von Umweltfragen in den 60er Jahren nicht besonders hoch. Eine der wenigen Ausnahmen war die kurzlebige SPD-Wahlkampfaktion „Blauer Himmel über dem Ruhrgebiet“ von 1961.
Die Alltagserfahrungen der Werktätigen wurden beherrscht durch die Belastungen und Anforderungen der noch stark von der traditionellen Industrie geprägten harten körperlichen Arbeit. Davon waren auch die Erfahrungen der großen Mehrheit der DKP-Mitglieder bestimmt. Das zeigen schon die Daten der Delegierten des 1. Parteitags. Von den insgesamt 994 anwesenden Delegierten und Gastdelegierten, die rund 22 000 Mitglieder vertraten, waren nur sechs Landwirte. Diese hatten schon auf Grund ihrer beruflichen und familiären Lage zwangsläufig mit Fragen der Umwelt und Umweltpolitik zu tun. 584 Delegierte waren Arbeiter und 180 waren Angestellte. Ihre Diskussionsthemen – neben denen aus der „großen Politik“ – drehten sich also in allererster Linie um die betrieblichen und gewerkschaftlichen Erfahrungen einer Arbeiterpartei.
Gegen Bauernsterben
Deshalb ist es aus heutiger Sicht erstaunlich, dass gleich in einem der ersten Diskussionsbeiträge des Parteitages über die schwierige Lage der kleinen und mittleren Bauernbetriebe berichtet wurde, die unter dem zunehmenden Konzentrationsprozess in der Landwirtschaft sowie dem Diktat der Agrar- und Lebensmittelkonzerne und der äußerst ungünstigen Subventionspolitik seitens der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) litten. Das „Bauernsterben“ der 60er Jahre und die großen Bauerndemonstrationen unter schwarzen Fahnen fanden damit auch in der jungen DKP sofort ein starkes Echo. Darin drückte sich eine damals – anders als heute – noch real bestehende konkrete Verankerung der Kommunisten im Leben der ländlichen Bevölkerung aus. Davon zeugte auch die Anwesenheit und der Auftritt des weit über die DKP hinaus bekannten bayrischen Landwirts und langjährigen KPD-Agrarexperten Richard Scheringer, eines ehemaligen Reichswehrleutnants, des legendären „Leutnants von Ulm“.
Legendärer Agitator
Scheringer war Anfang der 30er Jahre Mitglied einer illegalen Gruppe junger nationalkonservativer Offiziere in der Reichswehr gewesen und zu eineinhalb Jahren Festungshaft verurteilt worden. In der Haft bekam er Kontakt zu Kommunisten und diskutierte lange mit ihnen über die Lügenhaftigkeit der Propaganda der NSDAP und die wahren Ziele der Hitler-Bewegung. Ihre Argumente überzeugten ihn und öffneten ihm die Augen. Er verfasste eine Erklärung, die im März 1931 vom damaligen Militärexperten der KPD, Hans Kippenberger, im Reichstag verlesen wurde und die eine Warnung und zugleich Kampfansage an den Hitlerfaschismus war.
Scheringer bekannte sich darin zu den Zielen der KPD. Die Erklärung schlug ein wie eine Bombe, weil Scheringer als Sympathisant des „nationalrevolutionären“ Spektrums der NSDAP und der SA bekannt war. Seine Festungshaft hatte ihn und seinen Offizierskameraden und Mithäftling Hanns Ludin, später ein einflussreicher SA-Führer und Kriegsverbrecher, zu einem Symbol der Nazi-Bewegung gemacht.
1945 wurde Scheringer offiziell Mitglied der KPD, die ihn ins ZK und zum bayerischen Landesvorsitzenden wählte. Als Fraktionsvorsitzender der KPD in der Verfassunggebenden Versammlung Bayerns und kurzzeitiger Staatssekretär im Bayerischen Landwirtschaftsministerium der ersten bayrischen Landesregierung sowie als vielfach wiedergewähltes Gemeinderatsmitglied seines Heimatortes besaß er unschätzbares Wissen um die Zusammenhänge von Agrarpolitik, gesunder Umwelt und Gesundheit der Menschen. Ab 1968 Mitglied des Parteivorstands der DKP, dem er bis zu seinem Tod 1986 angehörte, war er lange Jahre Stellvertretender Vorsitzender der DKP Südbayern.
Ihn, der als Agitator unter den Bauern einen sagenhaften Ruf besaß, auf Parteitagen zu erleben, war ein besonderes Ereignis für die jungen DKP-Generationen. Im Mittelpunkt seiner meisten Parteitagsauftritte – so auch des ersten von 1969 – standen Fragen der (west-)deutschen und europäischen Agrarpolitik, vor allem die ökonomischen und sozialen Folgen, die die umweltschädliche und für die kleinen und mittleren bäuerlichen Familienbetriebe ruinöse Agrarpolitik der EWG hatte.
Teil der Agrarpolitik
Die Agrar- und Bauernpolitik wurde nicht zuletzt dank Scheringer sofort als fester Aufgabenbereich in der zentralen Führung der DKP verankert. Dort war der Genosse Rudi Schuster aus Hessen bis 1989 für die Herausgabe der kommunistischen Bauernzeitung verantwortlich, der „DKP Landrevue“. Unter Federführung von Richard Scheringer erschien auch sehr rasch das „Demokratische Bauernprogramm der DKP“. Es wurde bereits 1971 veröffentlicht, noch vor dem Düsseldorfer 2. Parteitag. Darin finden sich noch keine Aussagen zur Umweltthematik. Dies kam erst bei einer Neuauflage im Jahre 1982. Umweltpolitik war damals für die DKP in erster Linie Teil der Agrarpolitik.
Aber die Akzente und Schwerpunkte im Bereich Agrarpolitik entwickelten sich gegenüber 1969 in der Praxis schnell und deutlich in Richtung Umweltpolitik weiter. Die Gewässerverschmutzung, die Privatisierung der Zugänge zu den bayrischen Seen und die zunehmende Luftverschmutzung in den industriellen Ballungszentren wurden schon 1970/71 – noch vor der Veröffentlichung des Bauernprogramms – Themen von zum Teil spektakulären Protestaktionen der DKP.
Für Millionen
Mit der „Aktion Seeufer“ erzwangen sich südbayerische DKP-Mitglieder um den damaligen Bezirksvorsitzenden Hans Schneider in Badehosen und -anzügen den Zugang zu privatisierten Seeuferabschnitten. „Seeufer für Millionen – nicht für Millionäre“, lautete die Losung. Die Fotos von Polizeieinsätzen gegen den halbnackten kriegsversehrten und einarmigen Genossen Schneider und seine ebenfalls nur knapp bekleideten Genossinnen und Genossen sorgten für bundesweite Schlagzeilen. Die Aktion wurde ein Erfolg: Die Zugänge zu den Seeufern für die Öffentlichkeit in Bayern wurden ausgeweitet.
Auch der „Umweltbus der DKP“ tauchte in den frühen 70er Jahren immer häufiger vor Industriebetrieben im ganzen Bundesgebiet auf, um die Luft- und Wasserverschmutzung im Umfeld von industriellen Großbetrieben und in Großstadtzentren zu messen. Die Verschmutzung des Rheins durch Industrieabwasser wurde Thema des „Rheinliedes“ des späteren DKP-Kreisvorsitzenden in Bonn, Volker Rohde (siehe Kasten). Das Rheinlied wurde erstmals bei einer Bezirksdelegiertenkonferenz der DKP Rheinland-Westfalen in Leverkusen von der Bonner Singegruppe „Solidarität“ vorgetragen und mit Sprechchören gefeiert: „Haut den Bossen auf den Putz! Umweltschutz! Umweltschutz!“
Neue Bündnisse, neue Klippen
Programmatisch schlugen diese und andere Aktionen sich in der weiterentwickelten antimonopolistischen Bündniskonzeption der DKP nieder. Mit den programmatischen Thesen des Düsseldorfer Parteitags von 1971 wurden nicht nur die ökonomischen Nöte der werktätigen Bauern, sondern auch ihre Forderungen nach Sicherung ihrer Betriebsstätten unterstützt. In These 35 wurde dieser Kampf als wichtiger Bestandteil der antimonopolitischen Bündnispolitik der DKP gewertet. Das Thema Umwelt blieb aber auch in den Düsseldorfer „Thesen“ eingebettet in den übergeordneten agrarpolitischen Gesamtzusammenhang und wurde nicht als eigenständiges politisches Thema genannt.
Doch auch hier zeigten sich neue Akzente. In der Rückschau wirkt besonders überraschend, dass auf dem Düsseldorfer Parteitag das Mitglied Präsidiums Kurt Erlebach in einem ausführlichen Debattenbeitrag über die Vorzüge einer Politik der friedlichen Koexistenz zwischen den kapitalistischen und sozialistischen Staaten die Kooperation im Bereich des Umweltschutzes erwähnte: „Es wäre möglich, über die gemeinsame Tätigkeit der europäischen Staaten für den Umweltschutz Verhandlungen zu führen.“
Erlebach bezog sich dabei ausdrücklich auf Initiativen des 24. Parteitags der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU). Diese hatte gerade in ihrem neuen Fünfjahrplan von 1971 bis 1975 eine Verstärkung des Naturschutzes beschlossen. Laut Rechenschaftsbericht des damaligen Generalsekretärs der KPdSU, Leonid Iljitsch Breschnew, sollte die Außenpolitik der Sowjetunion ergänzt und verbunden werden mit dem Ringen um gemeinsame Lösungen im Bereich des Umweltschutzes: „Unser Land ist bereit, gemeinsam mit anderen interessierten Staaten an der Lösung solcher Probleme wie dem Schutz der Umwelt, der Erschließung energiewirtschaftlicher und anderer natürlicher Ressourcen, der Entwicklung des Transport- und Nachrichtenwesens, der Vorbeugung und Liquidierung der gefährlichsten und verbreitetsten Krankheiten, der Erforschung und Erschließung des Kosmos und des Weltmeeres mitzuarbeiten.“
Umweltpolitik erhielt damit auch für die DKP einen ganz anderen Stellenwert, auch wenn sich dies noch nicht sofort in der Programmatik und Praxis der Partei niederschlug. Doch der dann einsetzende Kampf um die Atompolitik der BRD brachte einen Kurswechsel mit ungeahnten Höhepunkten, aber auch gefährlichen Klippen und Niederlagen.