Eine Reisegruppe der Gesellschaft für die Freundschaft zwischen den Völkern in der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Viet Nam e. V. bereiste im November drei Wochen lang Vietnam. Nach mehreren Jahren Corona-bedingter Pause war das die erste Reise der Freundschaftsgesellschaft. Für einige der 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer war sie eine Begegnung mit dem Land, für das sie in den 1970er Jahren auf die Straße gegangen waren, gegen den Vietnamkrieg der US-Imperialisten. Knapp 50 Jahre nach dem Ende des Krieges erlebten sie es nun erstmals aus eigener Anschauung. Ein Reisebericht von Christa Hourani
In Hanoi beeindruckte die Altstadt mit ihrem quirligen Leben, vielen Straßenverkaufsständen, dem vielfältigen Obst- und Gemüseangebot an Marktständen und dem chaotisch wirkenden Straßenverkehr. Erstaunlich, dass der Verkehr trotzdem immer fließt, wir keine Unfälle erlebten, dafür sehr rücksichtsvolles und vorausschauendes Fahren. Die Acht-Millionen-Stadt beeindruckt besonders mit ihren reich geschmückten Pagoden.
Politisch wichtig in Hanoi ist das Ho-Chi-Minh-Museum und -Mausoleum sowie „Onkel Ho“, sein bescheidenes Wohnhaus. Das Museum ist eine große Gedenkstätte, die dem Gründer und Führer der Kommunistischen Partei Vietnams gewidmet ist. Seine entscheidende Rolle im Kampf Vietnams um die Befreiung von Kolonialherrschaft und seine Amtszeit als Präsident Nordvietnams von 1945 bis 1969 wird ausführlich dargestellt. Erfreulich war, dass viele Schulklassen und Studentengruppen sich dort gemeinsam informiert haben. Überhaupt ist Ho Chi Minh in Vietnam überall sehr präsent.
Ein kulturelles Highlight ist das Wassermarionettentheater in Hanoi, in dem geschnitzte Holzfiguren bis zur Hüfte im Wasser stehen und mit Bambusstangen bewegt werden. Eine dörfliche Kunst, die im 11. Jahrhundert entstand und früher die Attraktion der Dorffeste war. Während des Befreiungskampfes gegen die Franzosen entstanden viele Stücke, die gegen die Kolonialherren gerichtet waren. Sie wurden von ihnen verboten, viele Theatertruppen aufgelöst. Heute wird in Alltagsszenen das bäuerliche Leben nachgespielt, Geschichten aus der klassischen Literatur aufgeführt und vietnamesische Geschichte nachgezeichnet.
In Hanoi führten wir Gespräche mit der vietnamesischen Union für Freundschafts-Organisationen (VUFO) und der Deutsch-vietnamesischen Freundschaftsgesellschaft. Wir wurden jeweils sehr herzlich empfangen. VUFO ist direkt dem Außenministerium der sozialistischen Republik unterstellt. Im Mittelpunkt steht der Aufbau wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen zu anderen Ländern für Frieden und Völkerverständigung. Vertreter von VUFO erläuterten die Geschichte Vietnams und die Folgeschäden der US-Kriegsverbrechen. Knapp 50 Jahre nach Kriegsende sind die noch immer gravierend. So gibt es sieben Millionen Behinderte durch den Krieg und dessen Spätfolgen, zum Beispiel Minenopfer. Das sind 7 % der Bevölkerung! 5,6 Millionen Hektar Gelände sind durch den Einsatz von Agent Orange vergiftet – 17,7 % der Fläche Vietnams. Es dauert noch etwa 270 Jahre, die vergifteten Böden zu säubern. Für VUFO ist das eines der größten Probleme Vietnams.
Für den Aufbau und die Zukunft Vietnams sei ein sicheres Sozial- und gutes Bildungssystem sowie eine nachhaltige Entwicklung wichtig. Beim Aufbau von Beziehungen zu anderen Ländern ständen Unabhängigkeit, Souveränität, Sicherheit und Solidarität im Vordergrund.
Der Vietnamkrieg endete 1975 mit der Befreiung vom US-Imperialismus. Wir besuchten zwei Projekte, die sich mit Minenräumung und der Betreuung dioxingeschädigter Opfern befassen.
Das Projekt Renew in Dong Ha ist ein Besucherzentrum und für die Minenräumung in diesem Gebiet zuständig, aber auch für die Ausbildung von Fachpersonal, darunter viele Frauen. Das Zentrum beherbergt Ausstellungsstücke, Bilder, Grafiken und Dokumente über die Verwüstungen des Krieges und die Aufgaben und Schwierigkeiten bei der Minenräumung. Es dient auch als Bildungseinrichtung für die Nachkriegsgeneration. Vietnam ist eines der Länder, die weltweit am meisten von Minen und deren Folgen betroffen sind. Etwa 6,1 Millionen Hektar, zirka 18,7 Prozent des Landes, sind durch Landminen verunreinigt. Schätzungsweise gibt es in Vietnam derzeit noch etwa 800.000 Tonnen Bomben, Minen und Blindgänger, die nach dem Krieg hinterlassen wurden. Sie liegen landesweit zerstreut in allen 63 Provinzen und Städten. Seit 1975 haben Explosionen solcher Hinterlassenschaften mehr als 40.000 Menschen getötet, etwa 60.000 Menschen wurden verletzt. Wenn ein Krieg zu Ende ist, ist er noch lange nicht zu Ende.
In einem Vorort von Da Nang besuchten wir das Rehabilitationszentrum für dioxingeschädigte Kinder. Es wurde eingerichtet für Opfer der US-amerikanischen chemischen Kriegsführung. Die US-Armee setzte das „Entlaubungsmittel“ Agent Orange mit dem hochgiftigen Dioxin TCDD erstmals im Januar 1965 ein, um dem Vietcong die Tarnung durch den dichten Dschungel zu nehmen und die Nahrungsversorgung zu erschweren. In über fünf Jahren versprühte sie insgesamt 45.677.937 Liter Agent Orange in mehr als 6.000 Einsätzen großflächig mit Flugzeugen oder Hubschraubern. 1971 war dadurch fast ein Viertel Vietnams entlaubt. Fast fünf Millionen Opfer, ungefähr 5 % der Bevölkerung, leiden an Spätfolgen – Krebserkrankungen, Immunschwächen und Behinderungen. Selbst heute, vier Generationen später, führt Agent Orange immer noch zu genetischen Schäden, zu schweren Fehl- und Missbildungen bei Kindern. Man spricht von 4.000 Opfern in der vierten Generation. In vielen Gebieten ist der Boden noch so verseucht, dass keine landwirtschaftlichen Produkte angebaut werden können. Agent Orange findet sich nach wie vor in Gewässern und damit auch im Nahrungskreislauf. Bis heute haben sich die USA für dieses Verbrechen nicht entschuldigt und übernehmen keine Verantwortung für ihre Opfer.
Die in diesem Zentrum betreuten Kinder wohnen bei ihren Familien und kommen nur zur Behandlung und gymnastischer Betreuung ins Zentrum. Dessen Personal besucht die Familien der Opfer auch zuhause und gibt Ratschläge, um das Leben der Kinder so gut es geht zu verbessern. Eine Rote-Kreuz-Station nebenan übernimmt die medizinische Betreuung. Um ihre wichtige Arbeit mit zu finanzieren, überbrachten wir eine Geldspende der Freundschaftsgesellschaft.
Auf dem Reiseprogramm standen natürlich auch Stätten, die an den Befreiungskampf des vietnamesischen Volkes erinnern. Dazu zählt das Tunnelsystem von Củ Chi 70 Kilometer nordwestlich von Ho-Chi-Minh-Stadt und das Museum im Mangrovenwald am Long-Tau-River.
Die ersten Tunnel von Củ Chi entstanden 1948 im Krieg gegen die Kolonialmacht Frankreich. Sie sollten Menschen, Waffen und Vorräte schützen. In den 1960er-Jahren erweiterte der Vietcong das Tunnelsystem in Ausdehnung und Tiefe massiv auf eine Gesamtlänge von 200 Kilometern. Auf drei Ebenen wurden die etwa 80 Zentimeter hohen und 60 Zentimeter breiten Tunnel gebaut. Die oberste Ebene lag drei bis vier Meter unter der Erde. Die zweite lag sechs Meter unter der Erde und diente als Unterschlupf für Kinder, ältere Menschen und verletzte Soldaten. Die unterste, 8 bis 10 Meter unter der Erde, beherbergte unter anderem Krankenhäuser. Im Tunnelsystem gab es Schulen, Lazarette, Versammlungsräume, Schlafgelegenheiten, Büros. Als Eingang dienten Klapptüren, die mit Gras und Laub getarnt wurden. Das Gebiet war die Basisstellung der Vietcong während der Tet-Offensive, die als Wendepunkt des Krieges gilt. Trotz mehrmaliger Versuche des US-Militärs gelang die Zerstörung der Tunnel nicht – weder durch Fluten, noch durch starkes Bombardement mit B-52-Bombern, noch durch Einführen von Giftgas in die Anlage. Das Tunnelsystem war äußerst durchdacht gebaut. Heute sind nur wenige Gänge erhalten. Ein kurzes Stück ist noch begehbar. Das Museum dort ist eindrucksvoll und zeigt die Mühen dieses Kampfes.
In der Nähe von Ho-Chi-Minh-Stadt besuchten wir auch ein Museum im Mangrovenwald am Long-Tau-River. Hier wird plastisch gezeigt, unter welchen Bedingungen die Partisanen leben und kämpfen mussten. Nachgestellt werden beispielsweise Küchenbereich und Krankenstation. Die Partisanen führten dort Operationen durch und stellten aus Blindgängern neue Munition her. Immerhin gelang es von dort aus, die Nachschublinien der US-Armee empfindlich zu stören, beispielsweise durch die Sprengung eines Treibstofflagers. Während wir dort waren, kam auch eine Delegation eines Betriebes und legte am Denkmal Blumen und Geschenke im Gedenken an die Kämpfer nieder.
Das War Remnants Museum in Ho-Chi-Minh-Stadt besteht aus einer Reihe von Themenräumen mit historischem Militärgerät und zeigt die Geschichte des Vietnamkriegs. In einem Raum werden die Folgen und Opfer von Agent Orange dargestellt – eine bedrückende Ausstellung. Das War Remnants Museum ist derzeit eines der beliebtesten Museen Vietnams und zieht jedes Jahr etwa eine halbe Million Besucher an. Nach Angaben des Museums sind etwa zwei Drittel davon Ausländer.
In Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt besuchten wir zwei Universitäten. Dort führten wir interessante Gespräche mit Germanistik-Studentinnen und -Studenten. Auffällig waren das große Interesse für die Lebenssituation in Deutschland, die Höflichkeit und Offenheit uns gegenüber sowie der große Fleiß und Eifer beim Studium. Der Jugend- und Studierendenverband ist sehr aktiv, veranstaltet Kulturwochen und Entdeckungsreisen für Studierende. Auf einem unserer Ausflüge trafen wir auf eine Reisegruppe des Verbands. Wir kamen auf Englisch ins Gespräch und erzählten ihnen, dass wir in den 1970ern in Deutschland gegen den Vietnamkrieg demonstriert hatten. Als Dankeschön sangen sie für uns einige Lieder. Leider haben wir nur zwei Worte verstanden: „Ho Chi Minh“ und „Vietnam“. Es war eine nette, solidarische Begegnung.
Hochspannend war der Besuch im Agricultural Hi-Tech Park in der Nähe von Ho-Chi-Minh-Stadt. Er spielt eine führende Rolle bei der landwirtschaftlichen Umgestaltung der südlichen Region Vietnams in Richtung Qualität und Umweltfreundlichkeit. Es gibt dort eine Genbank, um seltene und wertvolle Pflanzensorten zu erhalten und neue Pflanzen mit herausragenden Eigenschaften und hohem wirtschaftlichen Wert zu erforschen. Biologen entwickeln dort Mikrobiostoffe gegen Schädlinge und Nährstoffe für Pflanzen, die diese stark und unempfindlich gegen Schädlinge machen. Seit zehn Jahren forschen sie über Reisanbau und versuchen, ob neue Züchtungen von Reispflanzen mit Salzwasser leben können. Grund dafür ist, dass im Mekongdelta, dem wichtigsten Reisanbaugebiet Vietnams, Salzwasser ins Landesinnere drückt, weil der Fluss aufgrund des Klimawandels immer weniger Wasser führt und Salzwasser vom Meer her in den Fluss dringt. Die Forscher suchen auch nach alternativen Pflanzen – Zitronengras etwa wächst auch auf Salzböden. Und sie schulen Bauern. Insgesamt gibt es in Vietnam zehn solcher Parks. Bis 2030 sollen drei weitere gebaut werden. Es sind staatliche Betriebe zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Produkte, der Aquakultur und einer nachhaltigen Entwicklung der Landwirtschaft zur Überwindung der Saisonalität und Anpassung an den Klimawandel. Wir besuchten die Orchideen-, Tomaten- und Pilzzucht und waren von der Hochtechnologie sehr beeindruckt.
Wir haben natürlich in den drei Wochen noch viel mehr gesehen und erlebt. Wir waren in der Schule für gehörgeschädigte Kinder in Xa Dan und überbrachten Spendengelder. Im Primate Rescue Center im Cuc-Phuong-Nationalpark beeindruckten uns die Natur und die namensgebenden Affen. Eindrucksvoll auch die „trockene“ Halong-Bucht mit ihren vielen eigenartig geformten Hügeln, die wir auf einer Bootsfahrt erkundeten. Dort wird mit den Beinen gerudert, nicht mit den Armen.
In der alten Kaiserstadt Hue war erst mal „Land unter“ – tagelanger Regen hatte dort einen großen Teil der Stadt überschwemmt, der Fluss war über die Ufer getreten. Auf der abenteuerlichen Fahrt zum Hotel auf überschwemmten Straßen hatten wir Angst, dass der Bus hängen bleibt. Der Fahrer hat uns trocken im Hotel abgeliefert – an einen Stadtbummel aber war nicht zu denken. Das Hotel war ringsum von Wasser umgeben. Die nächsten Tage wateten wir oft barfuß durch überschwemmte Straßen. Auch die ehemalige Handelsstadt Hoi An erkundeten wir mit nassen Füßen.
In Hoi An erlebten wir die großartige „Hoi An Memories“-Live-Show auf einer 25.000 Quadratmeter großen Bühne mit über 500 professionellen Schauspielern, modernem Soundsystem und tollen Lichteffekten. Das Programm erzählt die 400-jährige Geschichte der Stadt am Meer in fünf Akten mit eindrucksvollen Szenen. Die Bühne wurde am Ufer des Hoai-Flusses, zum Teil sogar auf dem Fluss errichtet. Ein Wasserkanal durchquert die Bühne. Das sorgt für Authentizität.
In Dalat genossen wir angenehmes Bergklima bei 20 bis 25 Grad – auf dem Rest der Reise waren es meist um die 30 Grad –, nutzen die Erkundung der Markthalle für Einkäufe und sahen bei einer Zahnradbahnfahrt, wie ganze Berghänge mit Gewächshäusern zugebaut sind. In Dalat bewunderten wir auch das Crazy House, ein so verrückt gebautes Haus, dass die Orientierung darin schwer fällt. Das Innere der Gebäude besteht aus Höhlen, verschlungenen Gängen, gewundenen Treppen und lebensgroßen Tierstatuen. Gerade Formen und rechte Winkel gibt es nicht. Zwischen den einzelnen Gebäuden dominieren knorrige Bäume – echte und solche aus Beton. Die Architektin wollte Natur und Wohnen miteinander kombinieren.
Zum Abschluss machten wir eine zweitägige Kreuzfahrt durch das Mekongdelta, besuchten dort ein Dorf und einen schwimmenden Markt und genossen die interessante Landschaft.
Kulinarisch genossen wir viele Besonderheiten der besuchten Regionen. Alles war lecker, frisch zubereitet, schön angerichtet und für unsere Verhältnisse billig. Drei mal am Tag warmes Essen – das war eine Herausforderung für enge Hosen. Die traditionelle Pho-Suppe war tägliches Highlight. Sie wird so vielfältig zubereitet, dass sie immer anders zusammengesetzt war und lecker schmeckte. Am populärsten ist sie in Vietnam als gesundes und leichtes Frühstück.