Warum, fragte die Kommunistische Plattform der Partei „Die Linke“ (KPF) am 4. August, gebe es solche Aufregung über einen Tweet von Sahra Wagenknecht? Die „Linke“-Bundestagsabgeordnete hatte am 1. August geschrieben, für die Grünen sei der Klimawandel gestern wichtig gewesen, heute habe hingegen „wahnsinniger Krieg gegen Russland für frühere Ökopartei Top-Priorität”. Die KPF erläuterte: Sahra Wagenknecht habe seit dem 24. Februar „nicht nur einmal erklärt”, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine völkerrechtswidrig sei, zuletzt in einem Tweet vom 2. August.
Das half nichts. Die aus der Partei heraus gefütterte Medienmaschinerie war wegen der Formulierung „wahnsinniger Krieg” sofort angesprungen. Der abberufene ukrainische Botschafter und Faschistenanhänger Andrej Melnyk waltete seines Amtes. Er bezeichnete Wagenknecht und Klaus Ernst, der die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 gefordert hatte, als „Putins Komplizen” und kündigte beiden ein „Nürnberger Tribunal 2.0” an. Es folgten Hasskommentare aus der Fraktion. Die Hamburger Bundestagsabgeordnete Cornelia Möhring twitterte: „Meine Fraktionsgenossin bist du nur noch formal.“ Die „Linke“-Abgeordnete Martina Renner pflichtete ihr bei: „Konsequent wäre die Fraktion trennt sich von @SWagenknecht.“ Derart brachial wollten zwar Fraktions- und Parteispitze nicht gegen Wagenknecht vorgehen, sie schickten aber klare Botschaften. Dietmar Bartsch, Kofraktionsvorsitzender: „Die Position der Linksfraktion ist und bleibt klar: Wir verurteilen den verbrecherischen Angriffskrieg Russlands auf das Schärfste.“ Koparteichefin Janine Wissler: „Verdrehung der Fakten und nicht Position von ‚Die Linke‘.” Das half auch Wissler nicht: Am Wochenende machte der „Spiegel” sie für den desolaten Zustand der Partei verantwortlich.
Ursache für die kollektive Schnappatmung dürfte vordergründig die nächste Wahlniederlage am 9. Oktober in Niedersachsen sein. Jüngste Umfragen sehen „Die Linke“ bei 2 bis 3 Prozent. Das entspräche den Ergebnissen der Wahlen im Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, die alle nach dem Beginn des Ukraine-Krieges stattfanden.
Das ARD-„Sommerinterview” am Sonntag konfrontierte schließlich den „Linke“-Kovorsitzenden Martin Schirdewan mit einem Video, in dem eine rote Tasse mit Parteilogo auf einem Steinfußboden zerschellt. Thema der insgesamt freundlichen Befragung war, wie er denn die Scherben wieder zusammenfügen wolle. Zu den zurückliegenden Wahlniederlagen kamen lustlose Phrasen, wie sie seit Jahren aus der Führungsriege zu hören sind: „Enttäuschend”, „Wir analysieren”. Im Klartext hieß das bisher: Weitermachen wie gehabt und vor allem die Positionen der Grünen übernehmen, das heißt, nach rechts rücken.
„Die Linke“ solle zu einer „modernen Gerechtigkeitspartei” werden. Das Kunstwort ist eine FDP-kompatible Schöpfung der sogenannten „Bewegungslinken” in der Linkspartei, das heißt, vor allem von den Ministern, Staatssekretären und Abgeordneten der Partei sowie deren Anhang. Entsprechend vage klang, was Schirdewan zum „heißen Herbst” zu sagen hatte, zu dem er Sozialverbände und Gewerkschaften einlud. Seine Partei hat über Jahre hinweg systematisch ihre Mobilisierungsfähigkeit beseitigt. Zudem unterstellte er – ähnlich wie am selben Tag der Brandenburger Verfassungsschutz –, dass der Protest von Rechten gesteuert sei.
Ebenfalls am Sonntag forderte der „Linke“-Bundesgeschäftsführer Tobias Bank im „Spiegel” Wagenknecht und Klaus Ernst auf, sie sollten „widersprechende Aussagen” zu den Beschlüssen des Juni-Parteitages „unterlassen”. Am Montag schließlich berichtete die „junge Welt”, eine Gruppe von „Linke“-Abgeordneten, darunter Wissler, und Funktionären der Rosa-Luxemburg-Stiftung wollten die Ukraine besuchen. Sozusagen zu Gast bei Freunden.
Bloß nicht anecken. Diese „Linke“ hält sich in Bereitschaft, um in Regierungen zu helfen, wenn es nötig ist.