Jeder zehnte Deutsche im Alter bis 65 Jahren ist inzwischen auf Hartz IV angewiesen und viele sind dauerhaft in diesem Zwangssystem gefangen. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), ein Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit, in einem Anfang Februar erschienenen Bericht (04/2017).
Als das Arbeitslosengeld II eingeführt wurde, wurde diesem das Prinzip „Fordern und Fördern“ zugrunde gelegt. Menschen, denen Einkünfte fehlen oder die nur ein geringes Einkommen vorweisen können, sollten sowohl finanziell unterstützt werden als auch dabei, wieder so schnell wie möglich in Lohnarbeit zu kommen. Im Gegenzug verpflichten sich die Betroffen, nicht nur ihre finanzielle Lage dem Amt offenzulegen sondern auch bei Androhung von harten Strafen jede ihnen angebotene Maßnahme oder Arbeitsstelle anzunehmen. Für Viele beschränkt sich Hartz IV allerdings auf das „Fordern“; eine Arbeitsstelle mit ausreichendem Lohn bekommen sie nur selten vermittelt.
Die Wissenschaftler konstatieren, dass bei den „bisherigen Bezugsdauern der hochgerechnet etwa sechs Millionen Leistungsbeziehenden im Dezember 2014“ lange Bezugsdauern überwiegen. Knapp die Hälfte weise „zu diesem Zeitpunkt eine ununterbrochene Bezugsdauer von vier Jahren und mehr auf“. Würden alle Bezugszeiten seit 2005 berücksichtigt, „summieren sich diese für 69 Prozent der Personen auf vier Jahre und mehr“. Lediglich neun Prozent der Betroffenen bezog demnach weniger als ein Jahr Transferleistungen.
Hervorgehoben werden muss dabei, dass die Bezugszeit nicht gleichbedeutend ist mit Arbeitslosigkeit. Etwa 30 Prozent „der erwerbsfähigen Leistungsbezieher“ seien auch erwerbstätig, heißt es in dem Bericht. Sie seien vielfach in Voll- oder Teilzeit beschäftigt, aber ihr Lohn fällt so gering aus oder sie haben Kinder zu versorgen, dass sie dennoch auf Hartz IV angewiesen sind.
Tun Hartz-IV-Empfänger nicht, was die Jobcenter von ihnen erwarten, drohen ihnen teils drastische finanzielle Einbußen. Nehmen sie beispielsweise erstmals eine als zumutbar geltende Arbeit nicht an, können ihnen von den knapp 400 Euro für einen Alleinstehenden 30 Prozent gestrichen werden. Ist der Betroffene dagegen noch keine 25 Jahre alt, wird ihm bis auf die Kosten für die Unterkunft alles gestrichen.
Ziel dieser Sanktionspraxis ist es, Druck auf das Lohngefüge auszuüben. In einem weiteren IAB-Bericht (05/2017) heißt es, dass schon die Möglichkeit einer Sanktion Hartz-IV-Empfänger dazu bewegt, „intensiver nach Arbeit zu suchen und Stellenangebote in Betracht zu ziehen, die ansonsten beispielsweise wegen einer zu geringen Entlohnung nicht infrage gekommen wären“. Eine Sanktion verstärke diese Wirkung noch zusätzlich. Als zumutbar gilt jede Arbeit, die nicht sittenwidrig ist. Somit kann sich ein Hartz-IV-Empfänger nicht darauf berufen, er lehne eine Arbeitsstelle ab, weil kein Tariflohn gezahlt werde. Das ortübliche Lohnniveau kann ebenfalls deutlich unterschritten werden. Sittenwidrig wird die Bezahlung nämlich erst, wenn das ortsübliche Niveau um ein Drittel unterschritten wird.
Sanktionen können verheerende Folgen haben, was den Jobcenter-Mitarbeitern sehr wohl bekannt ist. Schwere Sanktionen würden von ihnen tendenziell kritisch gesehen, heißt es in der Studie. Denn es bestehe die Möglichkeit, dass Menschen in die Obdachlosigkeit geschickt werden. Auf jeden Fall bringen sie erhebliche Einschränkungen in den Lebensbedingungen mit sich: „Dazu gehörten unter anderem eine teils eingeschränkte Ernährung, teils Zahlungsrückstände verbunden mit der Sperrung der Energieversorgung und bei einigen Totalsanktionierten der Verlust ihrer Wohnungen“.
Im Schnitt waren 2016 monatlich 134390 Menschen von Leistungskürzungen betroffen, berichtet die Funke Mediengruppe unter Berufung auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken. 2015 waren es mit 131520 noch rund 3 000 Betroffene weniger. Oftmals bestraften die Jobcenter auch willkürlich: Im vergangenen Jahr wurden 5 485 Klagen gegen die Sanktionen entschieden, wobei in 38 Prozent der Fälle gegen die Jobcenter entschieden wurde. Ähnlich sieht es bei den Widersprüchen aus, die die Betroffenen gegen die Sanktionen einlegten: In 18 667 von insgesamt 50 805 Fällen wurde ihnen ganz oder teilweise stattgegeben, was ein Anteil von 37 Prozent ist.