Aroa Moreno Durán mangelt es wahrlich nicht an Begabung, es hapert aber an der Erkenntnis

Haltungsloses Talent

Literarisches Talent ist das intuitive Gefühl für den präzisen Einsatz von Worten, um bei Leserinnen und Lesern bestimmte Gefühle, Gedanken und Bilder zu erzeugen. Ein Talent ist selten, eine Begabung halt, die ungewöhnliche beziehungsweise überdurchschnittliche Leistungen auf einem – meist künstlerischen – Gebiet möglich macht. In der Literatur ist sie oft leicht auszumachen: Was kann der Text? Nimmt er einen mit und kann man den Ort oder die Gedankenwelt, an den man mitgenommen wird, gut erkennen? Viel zu oft muss man sagen: Nein, leider nicht. Viel zu viele Bücher, die unter Abwesenheit von Talent entstanden sind, blockieren kostbare Regalmeter in den Buchhandlungen, die Adjektive in ihnen eintönig oder zu gewollt, die Grammatik im besten Fall korrekt und schlicht. Über den Erfolg entscheidet das Cover, die Größe des Verlages und das damit einhergehende Werbebudget.

Aroa Moreno Durán kann man kein fehlendes Talent unterstellen. Im Gegenteil. Sie zeigt aber in ihrem pünktlich zur Frankfurter Buchmesse mit dem Gastland Spanien im Herbst erschienenen Buch „Die Tochter des Kommunisten“, dass Talent nicht alles ist, was man zum Schreiben eines Buches braucht.

Eindringlich beschreibt Durán, anfänglich aus der Sicht eines Kindes, das Leben spanischer Emigranten in Deutschland. Sie sind vor dem Faschismus geflohen, vor „dem Krieg“, der woanders nicht erwähnt wird, weil er nur als Scharmützel des weltweiten wahrgenommen wird und von dem auch die Eltern nur flüstern. Berührend ist die kindliche Sicht auf die schlechten Sprachkenntnisse der eigenen Eltern: „Mamá hatte sich geweigert Deutsch zu lernen, und obwohl Papá in der ganzen Wohnung Zettel mit den Namen der Gegenstände anbrachte – Fenster, Topf, Betten, Ofen –, konnte sie nie einen vollständigen Satz sagen. Sie verständigte sich mit Gesten und einzelnen Wörtern.“ Die Welt, in der sie leben, ist anders als das Spanien, von dem Ka-tia und ihre kleine Schwester Martina nur eine vage Vorstellung haben: kalt, grau, prüde. Sie hegen und pflegen den eigentlich schon kaputten Ofen, mit dem die Wohnung geheizt wird, denn einen neuen können sie sich nicht leisten, essen wochenlang Kohl, denn was anderes gibt es nicht. Als der Vater später, die Tochter ist inzwischen fast erwachsen, vier Brötchen, Kakaopulver und eine Dose Ananas kauft, scheint das ein besonderer Anlass zu sein, die Mutter schimpft über das viele ausgegebene Geld. Anscheinend spielt Angst vor dem ganz tiefen sozialen Absturz eine nicht unbedeutende Rolle im Leben der Familie.

Doch ist, wie der Titel verrät, Katia die Tochter eines Kommunisten. Er war es in Spanien schon, kämpfte deswegen für die Republik und musste deswegen vor den Faschisten fliehen. Das Land, das ihn und seine Familie aufnahm, war der einzige antifaschistische Staat, den es je auf deutschem Boden gegeben hat. Die tiefe Angst vor Armut und Hunger der Mutter (ihr gesteht die Autorin keine politische Haltung zu, fast als hätte sie Spanien nur verlassen, um bei ihrem Mann bleiben zu können) passt nicht in ein Land, das sich nicht dem Streben nach Profit verschrieben hat. Noch weniger passt die Angst vor den Behörden eines sozialistischen Staats zu einem Kommunisten. Durán aber belässt es nicht dabei, die Probleme der Migration zu behandeln, Sprachprobleme kulturelle Anpassungsschwierigkeiten oder die teilweise Verständnislosigkeit zwischen der ersten und zweiten Generation von Auswanderern. Stattdessen verschwendet sie ihr Talent daran, platte Propaganda nachzuerzählen. Mit nur ein wenig Erkenntnis über ein Land, das es nicht mehr gibt, hätte ihr ein guter Roman gelingen können.

Aroa Moreno Durán
Die Tochter des Kommunisten
btb, 172 Seiten, 22 Euro

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"Haltungsloses Talent", UZ vom 23. Dezember 2022



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