Zwischen Blutjustiz der Nazizeit und Repression im Kalten Krieg

Haftanstalt Wolfenbüttel

Michael Rössig

Am 17. November wurde in Wolfenbüttel eine neue Gedenkausstellung eröffnet. An Hand zahlreicher Dokumente und Darstellungen aus der Haftanstalt wird hier die unheilvolle Rolle von Justiz und Strafvollzug in der Zeit der Nazidiktatur dokumentiert. In einem eigenständigen Abschnitt, und das ist bemerkenswert und neu, wird auch auf die Verfolgung politischer Gegner, vor allem Kommunisten und Mitglieder der Freien Deutschen Jugend (FDJ), in der Bundesrepublik bis 1968 eingegangen und juristische und personelle Kontinuitäten mit der Nazizeit aufgezeigt. Darauf wies bei der Eröffnung in Anwesenheit von Überlebenden der Nazizeit beziehungsweise Verfolgten des Kalten Krieges und deren Angehöriger der niedersächsische Kultusminister Hendrick Tonne (SPD) hin.

Kerker und Hinrichtungsstätte im Faschismus

Die bauliche Anlage der Haftanstalt geht auf die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück und wurde mehrfach erweitert. Bis zu 400 Personen können derzeit in dem Gebäudekomplex untergebracht werden. In der Zeit der Nazidiktatur waren dauerhaft etwa 800 und im Jahr der Befreiung 1945 etwa 1 500 Menschen gefangen, das Gefängnis also stark überfüllt. Neben „normalen“ Kriminalgefangenen wurden hier vor allem politische Häftlinge und nach der Sonderjustiz der NS-Machthaber Verurteilte, zum Beispiel sogenannte Arbeitsscheue, Homosexuelle, Bibelforscher und andere inhaftiert. Auch zahlreiche in sogenannten „Nacht-und-Nebel-Aktionen“ aus Nordfrankreich, Belgien, den Niederlanden und Skandinavien hierher verschleppte Widerstandskämpfer und Zivilgefangene wurden hierher verbracht.

Zweck dieser verbrecherischen Aktionen war es, die Verhafteten für die Angehörigen spurlos verschwinden zu lassen. 1937 errichtete die Nazijustiz in Wolfenbüttel die zentrale Hinrichtungsstätte für Norddeutschland. 516 Todesurteile wurden hier bis 1945 vollstreckt. Auf zum Schluss 46 Delikte, zum Teil beliebig auslegbar, wie Feindbegünstigung oder Wehrkraftzersetzung stand im Faschismus die Todesstrafe. Zu den Opfern zählten deutsche Zivilisten und Soldaten, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene unter anderem aus Polen, der UdSSR, den Niederlanden und Belgien.
Durch die miserablen Haftbedingungen, Überbelegung, Hunger, ungenügende hygienische Verhältnisse und medizinische Versorgung starben bis Kriegsende mindesten 500 weitere Häftlinge. Auch nach Kriegsende wurden, schon unter Besatzungsrecht, noch einmal 67 Todesurteile, zum Teil gegen Kriegsverbrecher, vollstreckt.

Kalter Krieg und politische Justiz

Die Dokumentation der Naziterrorherrschaft durch Gerichtsurteile und Strafvollzug macht einen großen Teil der Ausstellung aus. In kleinerem, aber akzentuiertem Umfang behandelt sie aber auch die Rolle von Justiz und Strafvollzug in der durch Kalten Krieg und scharfen Antikommunismus geprägten Zeit der 50er und 60er Jahre. Anfang der 50er Jahre waren von den herrschenden Kreisen in Wirtschaft und Regierung der BRD die Weichen in Richtung auf die sogenannte Westintegration und Wiederaufrüstung ohne Rücksicht auf die dadurch bewirkte weitere Spaltung Deutschlands gestellt. Diese Politik rief, der Zweite Weltkrieg lag gerade erst fünf Jahre zurück, bei vielen Menschen Unbehagen und Widerstand hervor. Um diesen Widerstand zu überwinden und zu brechen, wurde zum einen verstärkt Hass- und Angstpropaganda geschürt, wie ein in der Ausstellung gezeigtes Wahlplakat von 1951 zeigt, zum anderen das politische Strafrecht verschärft.

Die 1951 mit dem 1. Strafrechtsänderungsgesetz wieder eingeführten Tatbestände der Staatsgefährdung und des Hoch- und Landesverrates, die zum Teil fast wortgleich aus der Strafrechtsnovelle von 1934 übernommen wurden, richteten sich vor allem gegen die politische Tätigkeit von Kommunisten. „Dazu zählten die Gerichte auch entsprechende Meinungsäußerungen“, wird auf der in der Ausstellung gezeigten Schautafel „Politisches Strafrecht“ feststellt.

Richter aus der Nazizeit

Neben den neuen/alten Vorschriften und Gesetzen wurden zu deren Umsetzung Sonderstrafkammern eingerichtet, die sich ausschließlich mit politischen Verfahren beschäftigen sollten. Hier sollten Richter und Staatsanwälte mit Erfahrung im politischen Strafrecht tätig werden, bei denen im Sinn der politischen Drahtzieher nicht das Risiko bestand, beim Angeklagten kein strafbares Handeln festzustellen. „In der westdeutschen Justiz wurde nationalsozialistisch belastetes Personal wiedereingestellt“, so eine Schautafel.

Zwei Vertreter, Richter Konrad Lenski und Staatsanwalt Karl-Heinz Ottersbach, aus der in den 50er Jahren für die Vielzahl und Härte ihrer politischen Urteile berüchtigten 4. Strafkammer am Landgericht Lüneburg, werden in der Ausstellung vorgestellt. Beide waren in der Nazijustiz an Todesurteilen, zum Teil wegen Bagatelldelikten wie Verkaufen von Brot ohne Marken, beteiligt. Als Sonderstrafjuristen bewirkten sie die Verurteilung zahlreicher KPD- und FDJ-Mitglieder, aber auch politisch nicht organisierter Menschen, von denen viele ihre Haft in Wolfenbüttel verbrachten.

„Einem Polizeistaat alle Ehre gemacht“

Insgesamt waren in Wolfenbüttel über 100 aus politischen Gründen Verurteilte inhaftiert. Kurze Biografien von vier dort inhaftierten Kommunisten, August Baumgarte, Richard Brennig, Willi Gerns, Walter Timpe, werden in der Ausstellung mit Foto vorgestellt. Von Helmut Rössig wird anonymisiert die erste Seite seines von Lenski und Ottersbach unterzeichneten Urteils gezeigt.

Empörend die politische Verfolgung von August Baumgarte wie auch anderer Kommunisten und Widerständler der Nazizeit. Nach 12 Jahren Haft als aktiver Gewerkschafter und Kommunist in verschiedenen Haftanstalten und Konzentrationslagern in der Nazizeit wurde er von der Justiz von 1956 bis 1958 wieder für zwei Jahre wegen seiner politischen Betätigung für die KPD eingesperrt. Die gesetzlich vorgesehene Entschädigung für die Inhaftierung während der Nazizeit wurde ihm aberkannt.
1 029 Verurteilungen und 908 Gefängnisstrafen in den Jahren von 1952 bis 1968 auf Grund der im Strafrechtänderungsgesetz indizierten politischen Straftaten benennt ein in der Ausstellung gezeigtes Diagramm allein für das Land Niedersachsen. Hinzu kommen Sekundärstrafen und weitere Benachteiligungen, wie Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Meldeauflagen, Gerichtskosten und der Verlust des Arbeitsplatzes. Bundesweite Schätzungen kommen zu Zahlen für das Ausmaß der politischen Strafverfolgung, von denen schon 1964 der spätere Bundesinnenminister Maihofer (FDP) sagte, dass sie „einem ausgewachsenen Polizeistaat alle Ehren machen“.

Nicht thematisiert in der Ausstellung und offen bleibt die Frage der Entschädigung und Wiedergutmachung. Keiner der von ehemaligen Nazirichtern nach den Gesetzen des Kalten Krieges Verurteilten wurde rehabilitiert. Entschädigungsrenten für Inhaftierungen während der Nazizeit blieben aberkannt. Rentenausfallzeiten werden nicht berücksichtigt, im Unterschied zu Rentenausgleichszahlungen für Inhaftierte in der früheren DDR. Das Unrecht, das den Opfern des Kalten Krieges im Westen widerfahren ist, wirkt so weiter fort.

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"Haftanstalt Wolfenbüttel", UZ vom 13. Dezember 2019



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