Die schottische Regionalwahl soll den EU-Beitritt vorbereiten

Hadrian kommt von Norden

Publius Aelius Hadrianus war römischer Kaiser in den Jahren 117 bis 138. Seine Regentschaft gilt als eine der wenigen friedlichen, legt man den Expansionsdrang des Römischen Imperiums zugrunde. Hadrian beschränkte sich auf die Befestigung des schon Eroberten. In die Geschichte trug er sich mit dem nach ihm benannten, vor bald 1.900 Jahren an der Nordgrenze Britanniens erbauten Wall ein, der die dahinter hausenden Stämme von illegaler Einwanderung abhalten sollte.

Der Hadrianswall verlief in etwa da, wo sich heute die Grenze zwischen England und Schottland befindet. Geht es nach der Scottish National Party, wird diese in einigen Jahren die Demarkationslinie zwischen England und der EU sein. Denn mit einem Sieg bei der Regionalwahl, zu der – wie auch zu denen in den anderen Teilen Britanniens – Mitglieder der Kommunistischen Partei Britanniens kandidieren, glaubt sich die regionale SNP-Regierungschefin Nicola Sturgeon im Recht, in der Folge ein Referendum über die Unabhängigkeit zu fordern. Das wiederum lehnt London ab – ein nicht unbeträchtliches Hindernis, denn ein Referendum, wie das 2014 mit 45 zu 55 Prozent gescheiterte, kann nur mit Zustimmung der britischen Regierung durchgeführt werden. Die gab es damals (und sie wurde vom schottischen Regionalparlament übrigens einstimmig beschlossen), auch wenn keineswegs klar war, dass die Separatisten keine Mehrheit bekommen würden. Die Briten empfinden Abstimmungen als Wesen der Demokratie.

Deshalb wiederholen sie sie nicht, wenn das Ergebnis nicht passt. So war es beim Brexit, dessen Ergebnis nicht – wie vor allem von Deutschlands Herrschenden gewünscht – durch eine zweite Abstimmung konterkariert, sondern akzeptiert wurde. Und so soll es entsprechend auch sein, wenn das Ergebnis passt: Nach wenigen Jahren eine erneute Abstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands wird von Londons Establishment abgelehnt. Wer Revisionen „falscher“ Ergebnisse für legitim hält, nennt das Kalkül; denn in der Tat könnten die Ergebnisse heute andere als 2014 sein, was viele Analysten auf den Brexit zurückführen. Und weil sich also die Chance auf Revanche ergibt, vollzieht die EU-Fangemeinde eine kopernikanische Wende: Sind Separatisten für die EU-Lenker eigentlich Schmuddelkinder (Katalonien, Korsika, Norditalien), so sind sie aber hochwillkommen, wenn man damit den aktuellen Gegner schwächen kann. London – in Jugoslawien noch begeistert dabei – soll nun Opfer solcher Machenschaften sein. Unterstützung bekommt die SNP von den schottischen Grünen, deren sezessionistische Neigung von der deutschen Schwesterpartei geflissentlich übersehen wird. US-amerikanisches Fracking-Gas ist ja auch nicht mehr umweltbelastend, wenn sich damit russisches Erdgas verhindern lässt.

Sollte es irgendwann zu einer erfolgreichen Abspaltung Schottlands kommen, müsste die EU bei einem formalen Aufnahmeantrag des Landes übrigens wieder einmal die eigenen Finanzkriterien über Bord werfen: Schottlands Haushalt ist achtmal stärker defizitär als die EU ihren Beitrittskandidaten zugesteht, von der „harten Grenze“ zwischen England und Schottland ganz abgesehen – so etwas war in Sachen Nordirland bekanntlich ein No-Go. Da wird auch Berlin zwei Augen zudrücken.

Dabei hilft natürlich auch die Friedrich-Ebert-Stiftung. In ihrem hauseigenen „IPG-Journal“ wurde am 27. April ein Text mit dem Titel „Der Drang nach Freiheit“ veröffentlicht, in dem von den Positionen der SPD-Schwesterpartei „Labour“ gar nicht, von der „Verschmelzung der Themen Europa und Unabhängigkeit“ viel die Rede ist. Die Spaltung innerhalb der SNP – Ex-SNP-Vorsitzender Alex Salmond hat eine eigene „Schottland-Partei“ gegründet – wird dort als Gefahr für die Unabhängigkeit gewertet. Und damit der Freiheit.

Wer Unabhängigkeit und Freiheit miteinander verschmilzt, muss der EU zwangsläufig die Möglichkeit nationaler Souveränität andichten. Wie Hadrian bedient Frieden und Fortschritt, wer den Wall aufbaut – wenn auch nun von Norden her. Auf welcher Seite die Barbaren hausen, ist seit jeher eine Frage des Standpunkts.

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"Hadrian kommt von Norden", UZ vom 7. Mai 2021



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