UZ: Alle reden darüber, dass Flüchtlinge auf den deutschen Arbeitsmarkt drängen – wie sieht es bei euch aus?
Ulf Immelt: Es sind noch nicht besonders viele der Flüchtlinge in Arbeit vermittelt worden, die in der letzten Zeit nach Deutschland gekommen sind. Wir haben noch keine genauen Zahlen, aber auch für diejenigen, die eine Arbeitserlaubnis haben, ist oft die Sprache eine Barriere, und natürlich ist auch die Frage, ob diese Leute die Ausbildung, die sie in ihrem Heimatland gemacht haben, hier auch anerkannt bekommen.
Ein großer Teil der Flüchtlinge, die bereits vermittelt worden sind, macht Praktika – hat also keinen festen Arbeitsplatz. Die Debatte wird eher darüber geführt, was vielleicht passieren könnte.
UZ: Im Landkreis Marburg-Biedenkopf haben Arbeitsagentur und Jobcenter gemeinsam ein „Arbeitsmarktbüro“ für Flüchtlinge gebildet. Wie sieht das aus?
Ulf Immelt: Der Unterschied zu anderen Kreisen ist gerade der, dass Arbeitsagentur und Jobcenter zusammenarbeiten. Normalerweise sind die Jobcenter dafür zuständig, die Flüchtlinge zu betreuen, die bereits als Asylbewerber anerkannt worden sind. Für die Flüchtlinge, die noch keinen solchen Status haben, ist die Arbeitsagentur zuständig. Dadurch müssen die Bewerber nicht mehr durch den gesamten üblichen Bürokratiedschungel, insofern ist das eine Verbesserung. Die spannende Frage ist natürlich, wohin sie am Ende vermittelt werden.
UZ: Von vielen Unternehmen gibt es ja ein großes Interesse daran, qualifizierte und hochmotivierte Flüchtlinge einzustellen. Wie nehmt ihr das wahr?
Ulf Immelt: Bei uns im Kreis gibt es zum Beispiel von einem großen Schokoladenhersteller und von einer großen Eisengießerei Interesse, Flüchtlinge einzustellen, und dazu ist jetzt auch ein regionaler Arbeitskreis gebildet worden. Und im Nachbarkreis, im Lahn-Dill-Kreis, hat sich ein großes Metallunternehmen Flüchtlinge für dreimonatige Praktika geholt. Dann haben sie sich die Leute rausgepickt, die sie gebrauchen können. Und jetzt wollen sie sich die nächsten holen und wieder schauen: Wen kann man gebrauchen, wen nicht. Das funktioniert also alles nach der Logik der Verwertung der Menschen. Die Bundesregierung will einerseits schneller abschieben und andererseits die Leute, die für die Unternehmen verwertbar sind, hier behalten – das hat mit Humanismus nichts zu tun. Wir sagen natürlich „Refugees Welcome“, und wir machen das nicht davon abhängig, ob die Leute für die Unternehmen verwertbar sind.
UZ: Inzwischen gibt es ja von CDU-Politikern und Mainstream-Ökonomen den Vorschlag, den Mindestlohn für Flüchtlinge auszusetzen.
Ulf Immelt: Zunächst einmal: Für Praktikanten gilt der Mindestlohn meist sowieso nicht – dieses Mindestlohngesetz ist ja wie ein Schweizer Käse. Und jetzt fordert der Herr Sinn, Flüchtlinge prinzipiell vom Mindestlohn auszunehmen, und andere fordern, dass Flüchtlinge auch als Leiharbeiter eingesetzt werden können. Als DGB lehnen wir das natürlich konsequent ab – wir haben erst vor zwei Wochen im Bezirksvorstand nochmal einen entsprechenden Beschluss gefasst. Es darf nicht sein, dass Flüchtlinge als Lohndrücker missbraucht werden.
UZ: Trotzdem leben die Menschen, die jetzt als Flüchtlinge kommen, unter so schwierigen Bedingungen, dass sie wohl gezwungen wären, im Zweifel auch für Billiglöhne zu arbeiten.
Ulf Immelt: Das ist das alte Prinzip „Teile und herrsche“, dass die Unternehmer immer gegen die Beschäftigten anwenden. Bei der Einstellung von Mitarbeitern hat ja auch der Betriebsrat noch das Recht, angehört zu werden. Da geht es dann darum, durchzusetzen, dass ein Flüchtling zu genau denselben Konditionen eingestellt wird wie jemand, der aus Deutschland kommt oder schon lange hier lebt. Alles andere würde die Spaltung vertiefen und es würde den Rassismus weiter schüren.
UZ: Inzwischen wärmen rassistische Kräfte ja die alten Behauptungen von den „Ausländern, die uns die Arbeitsplätze wegnehmen“, wieder auf.
Ulf Immelt: Diese Debatte wird tatsächlich geführt. Viele Menschen haben Ängste – nach dem Motto: Vielleicht finde ich keinen Job mehr, vielleicht finde ich keine bezahlbare Wohnung mehr, wenn so viele Flüchtlinge kommen. Und es gibt rassistische Kräfte, die diese Ängste anheizen und für ihre Propaganda nutzen. Dagegen müssen die Gewerkschaften Aufklärungsarbeit leisten, und wir müssen uns den Rassisten entgegenstellen. Am 13. November werden wir z. B. in Marburg eine Demonstration machen – eigentlich hatte sich der AfD-Mann Björn Höcke für diesen Tag angekündigt. Nun hat er abgesagt, wahrscheinlich auch deshalb, weil unsere Mobilisierung ganz gut läuft. Wir demonstrieren trotzdem – es geht ja nicht nur um einen Einzelnen wie Höcke, sondern um einen verbreiteten Rassismus, auch in der etablierten Politik – da wird auf der einen Seite die Willkommenskultur gefeiert und auf der anderen Seite das schärfste Asylgesetz, das wir je hatten, aufgelegt.
In den laufenden Diskussionen geht es ja auch um die öffentlichen Leistungen. Landes- und Bundesregierung sind nicht bereit, ihre „Schwarze Null“ anzutasten, und sie sind nicht bereit, eine Steuerpolitik zu machen, die endlich auch einmal die großen Vermögen und Unternehmensgewinne heranzieht. Solange das so bleibt, gibt es natürlich nicht viel zu verteilen, dann wird wieder irgendwo gespart, und die Schwachen werden gegen die noch Schwächeren ausgespielt. Damit machen die Rechten dann Politik.
UZ: Wie sollten die Gewerkschaften darauf reagieren?
Ulf Immelt: Wir müssen schauen, dass wir gemeinsam kämpfen – das heißt auch, dass wir die Menschen, die unter prekärsten Bedingungen leben, auch in unsere gewerkschaftliche Organisation einbeziehen, um die Solidarität zu organisieren.
Und man muss aufklären. Zunächst einmal: Wir müssen darauf hinweisen, dass es nun mal auch ein Ergebnis der Politik der EU, der Bundesrepublik und der USA ist, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen und hierher kommen. Es ist doch kein Zufall, dass die Flüchtlinge gerade aus den Ländern kommen, die vorher von den westlichen Staaten, von den NATO-Staaten, destabilisiert worden sind – aus Afghanistan, aus Syrien. Und man muss doch darüber reden, dass Menschen aus Afrika fliehen, weil westliche Konzerne dort die Lebensgrundlagen zerstört haben – unterstützt von der Freihandelspolitik der EU. Ein Kollege, der vor einigen Jahren aus Nigeria nach Deutschland geflohen ist, hat das mal sehr schön auf den Punkt gebracht: Wenn man von Wirtschaftsflüchtlingen spricht, muss man auch von Wirtschaftsverbrechern sprechen – und das sind die großen, international agierenden Konzerne.
Und außerdem müssen wir klar machen: Wenn irgendein Unternehmen Stellen abbaut, wenn prekäre Beschäftigung zunimmt, dann hat das nichts damit zu tun, dass Flüchtlinge ins Land kommen. Sondern das hat ganz einfach etwas mit der kapitalistischen Strategie der Profitmaximierung zu tun. Einen Niedriglohnsektor haben wir in Deutschland nicht erst, seitdem viele Flüchtlinge kommen. Diesen großen Niedriglohnsektor haben wir seit den Hartz-Reformen. Es waren nicht die Flüchtlinge, die die Ausweitung der Leiharbeit erlaubt haben, sondern es war eine Bundesregierung, die Politik im Interesse der Konzerne gemacht hat. Diese Debatten müssen wir führen – in den Betrieben, auf der Betriebsversammlung.