In diesen Tagen wurde an den 35. Todestag von IKP-Generalsekretär Enrico Berlinguer am 11. Juni 1984 und die folgenden Entwicklung erinnert. In wenigen Monaten wird der 30. Jahrestag der Ereignisse folgen, die zur Einverleibung der sozialistischen DDR durch die imperialistische BRD führten. Die agierende Konterrevolution erhielt zu dieser Zeit Schützenhilfe von der sich um Gregor Gysi formierenden revisionistischen Gruppe in der SED, die sich an der Entwicklung in der IKP orientierte.
Tod Berlinguers
Zunächst zu Berlinguer, auch um gravierende Unterschiede zum Wirken der Akteure in der DDR zu verdeutlichen. Der IKP-Generalsekretär erlitt am 7. Juni 1984 einen Herzinfarkt, während er auf einer Kundgebung seiner Partei in Padua sprach. Der anwesende Staatspräsident Sandro Pertini ließ den im Koma liegenden Berlinguer in seiner Präsidentenmaschine nach Rom fliegen. Vier Tage später starb Berlinguer. An der Trauerfeier auf der Piazza San Giovanni in Rom, auf der er so oft gesprochen hatte, nahmen am 13. Juni über zwei Millionen Menschen teil, darunter Sandro Pertini, die Sekretäre der demokratischen Parteien, der internationalen Arbeiter- und der nationalen Befreiungsbewegungen. Dies zeugte von seinem hohen Ansehen, nicht nur in Italien. Vier Tage später fanden Wahlen zum EU-Parlament statt. „Die tiefe Ergriffenheit, die der Tod Berlinguers ‚sul Campo’ (auf dem Feld des Kampfes) im Lande hervorrief, begünstigten den Ersten Platz der IKP“, hieß es in den meisten Wahlanalysen. Mit 33,3 Prozent erreichte die IKP noch einmal ihre Spitzenergebnisse von 1975/76, diesmal knapp vor der Democrazia Cristiana (DC).
Während die Revisionisten in der Zeit des von Berlinguer verfolgten compromesso storico, der Regierungszusammenarbeit mit der DC zur Abwehr der faschistischen Gefahr, die IKP bereits in eine sozialdemokratische Partei umwandeln wollten, hatte Berlinguer unter „eurokommunistischen“ Vorzeichen auf den Erhalt der revolutionären Potenzen und ihre Nutzung in der Zusammenarbeit mit der DC gesetzt. Die Zeitung „Liberazione“, herausgegeben von der 1990 gebildeten „Kommunistischen Wiedergründung“ (Partito della Rifondazione Comunista, PRC), schätzte rückblickend ein, er habe den Ausgleich zwischen dem linken und dem rechten Flügel gesucht, sei ein „Mann der Vermittlung“ und als solcher ein „Zentrist“ gewesen. Giorgio Galli verdeutlichte in seiner „Storia del PCI“ (Mailand 1993), dass Berlinguer den von seinen Nachfolgern eingeschlagenen Weg der Umwandlung der IKP in eine sozialdemokratische Partei und der Aufgabe nicht nur kommunistischer, sondern auch aller sozialistischer Traditionen nicht gegangen wäre.
Leitfigur Gorbatschow
Nach seinem Tod bekam die sozialdemokratische Strömung freie Hand und setzte sich, nachdem Gorbatschow 1985 Generalsekretärs der KPdSU wurde, endgültig als die Partei beherrschende durch. Auf dem Kongress im April 1986 schlug Nachfolger Alessandro Natta den Sozialisten vor, sich mit den Kommunisten zu einer neuen linken Partei zu vereinigen. ISP-Chef Bettino Craxi lehnte jedoch ab.
Achille Occhetto, der im Mai 1988 an die Spitze der IKP trat, kündigte für März 1989 einen „Parteitag der Wende“ an. Dessen Leitfigur war dann Gorbatschow, auf den sich Occhetto bereits in seiner Eröffnungsrede zehnmal als Hoffnungsträger berief. Die auf Video übermittelte Rede des KPdSU-Generalsekretärs wurde von der sozialdemokratischen Strömung, die die Mehrheit der Delegierten stellte, stürmisch gefeiert. Der Parteitag beschloss einen „Riformismo forte“ (tiefgreifenden Reformismus) als „Leitlinie“. Der ISP schlug Occhetto vor, die DC-Regierung zu verlassen und mit der IKP eine Reformkoalition zu bilden. Craxi lehnte jedoch erneut ab.
In den Fußstapfen der Revisionisten
Während dieser Wandel in Italien seit den 1960/70er Jahren erfolgte, wurden die Weichen an der Jahreswende 1989/90 dafür in der DDR innerhalb von Monaten gestellt und die inhaltlichen Aussagen übertrafen bei weitem die Zugeständnisse, die Berlinguer einst gemacht hatte. Ähnlich wie in Italien war – von der Basis zunächst unbemerkt und auch von der Parteiführung nicht autorisiert – diesem nun abrupt einsetzenden revisionistischen Prozess im ideologischen Führungszentrum der SED, ihrer Akademie für Gesellschaftswissenschaften, von einer Gruppe mit Professor Rolf Reißig (seit Februar 1990 ihr Direktor) an der Spitze 1987 mit dem Positionspapier „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ der Weg bereitet worden. Darin wurde der imperialistischen BRD „Friedensfähigkeit“ zuerkannt. Reißig wurde später Mitglied des Willy-Brandt-Kreises der SPD.
Mit einem Parteiputsch riss die Gysi-Gruppe im Oktober 1989 die Führung der SED an sich und löste die Parteistrukturen vor allem in den Betrieben auf. Gysi orientierte sich an dem auf sozialdemokratische Positionen übergegangenen Gorbatschow, dessen politischer Kurs sich verheerend auf den Ostblock und besonders auf die DDR als ihren bis dahin engsten Verbündeten auswirkte. Nach einem Besuch bei Gorbatschow eilte Gysi im Januar 1990 nach Rom, wo er bei Occhetto Erfahrungen bei der Liquidierung der IKP durch ihre unter der Losung der „Heimkehr zur Sozialdemokratie“ erfolgenden Umwandlung in eine sozialdemokratische Linkspartei studierte. Er scheute sich auch nicht, mit ISP-Chef Craxi zusammenzutreffen, der schon zu dieser Zeit der Korruption verdächtigt und daraufhin 1994 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. Gysi wollte auch hier das IKP-Modell aufgreifen und der SPD den Beitritt seiner PDS antragen. Aber während die CDU der BRD, wie auch die Liberalen, ohne Bedenken ihre ostdeutschen Schwesterparteien vereinnahmten, fehlte der SPD dazu der strategische Weitblick, mehr wohl noch der Mut. Aber Craxi war auch diesmal nicht zur Vereinigung mit der IKP bereit. So konnte Gysi nicht mit einem entsprechenden Signal nach Berlin zurückkehren. Er versuchte dennoch, die DKP im Vorfeld des „Vereinigungsprozesses“ zu erledigen. Sie sollte sich auflösen und ihre Mitglieder einzeln in die PDS eintreten. Wortführer dieser Variante war in der DKP Wolfgang Gehrke. Ein großer Teil der etwa 30000 Mitglieder verließ zwar die DKP, nur die wenigsten fanden sich jedoch bei der PDS ein.
Ehre, wem Ehre gebührt
Fast zeitgleich mit Gysis Italienreise unterbreitete Regierungschef Hans Modrow (seit November 1989 bis April 1990) nach Gesprächen mit Gorbatschow am 1. Februar 1990 sein Konzept „Deutschland einig Vaterland“, mit dem faktisch die DDR zur Disposition gestellt wurde. Modrow äußerte später: „Kohl behauptet, er habe den Schlüssel zur Einheit aus Moskau geholt. Wenn das so sein soll, dann habe ich den Schlüssel gefeilt!“ Gysi rühmte sich 2015 gar, die reibungslose Integration der DDR-Bürger ins politische System der BRD sei seiner Partei und auch ihm persönlich zu verdanken („junge Welt“ vom 30. Dezember 2015).
Uns bewegt die Frage nach den Ursachen des Umsichgreifens des Revisionismus. Aus Platzgründen hier nur so viel, dass man auf vielfältige, oft zunächst kaum erkannte, aber letzten Endes opportunistische Erscheinungen und die fehlende Auseinandersetzung mit ihnen stößt. Dabei spielt die Tarnung, den Marxismus/die Kampfbedingungen zu verbessern – womit schon Karl Kautzky antrat – eine große Rolle. Die italienischen Revisionisten versprachen zum Beispiel, das Erbe Gramscis oder die durchaus vorhandenen revolutionären sozialdemokratischen Traditionen aufzugreifen. Modrow wollte als Bezirkssekretär der SED in Dresden mit Arnold Vaatz, „Neues Forum“, dann CDU, später Minister der Biedenkopf-Regierung in Sachsen, einem offenen Vertreter der Konterrevolution, „Verzerrungen der sozialistischen Gesellschaft“ überwinden.
Kein Zurückweichen
Eine zentrale Erfahrung, die ich in Italien gemacht habe, die aber allgemeingültig ist, besagt, dass mit den vielfältigen opportunistischen Erscheinungen sich nicht auseinandergesetzt wurde und bis heute nicht wird. Dazu trägt die Unterschätzung des Klassengegners bei. Verbunden mit einem Zurückweichen vor dessen Druck, mit schwer oder auch gar nicht zu korrigierenden Zugeständnissen und Beschwichtigungen, die in dem Irrglauben gemacht werden, sie würden honoriert. Ein immer wieder auftauchender Faktor, von dem selbst Luigi Longo (den ich persönlich als einen aufrechten Kommunisten kennenlernte) nicht frei war, bezog sich darauf, die Einheit der Partei zu wahren.
Die Ereignisse vor 30 Jahren auf dem Tiananmen-Platz in Peking haben uns eine wichtige Lehre vermittelt. In der chinesischen Führung stand damals auch die Frage, die führende Rolle der Partei und damit die sozialistische Orientierung zu verteidigen, oder eine versöhnliche „Lösung“ zu suchen, die eine Fraktion vertrat. Hätte die konsequente kommunistische Fraktion der KP Chinas der Konterrevolution (denn um nichts anderes ging es) nachgegeben, wäre der Sozialismus in Frage gestellt worden, was zu einem verheerenden Bürgerkrieg mit Millionen Toten geführt und die Welt in unvorhersehbarer Weise destabilisiert hätte. Wie vor 30 Jahren geht es heute in Peking darum, die führende Rolle der KP Chinas zu sichern und zu festigen.
Die Volksrepublik schiebt heute, wenn ihre Kommunistische Partei diese Rolle weiter verteidigt, den USA in ihrem Weltherrschaftsstreben einen Riegel vor. Wie einst die Oktoberrevolution in Russland befördert sie die Perspektive eines weltweiten revolutionären Anlaufs.