Die Regierung verabschiedet ein Gesetz zur Kita-Betreuung

Gute Kita – schlechtes Gesetz

Von Karl Martin

Fast wie ein Weihnachtsgeschenk erscheint das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung“, das Bundestag und Bundesrat gerade verabschiedet haben. Im Kern enthält es 5,5 Milliarden Euro, die den Ländern bis 2022 gestaffelt bereitgestellt werden, indem sie weniger Steuereinnahmen an den Bund abführen. So sollen die Qualität der Kinderbetreuung verbessert und die Kosten der Familien gesenkt werden.

Das klingt wie ein Zaubertrick am Gabentisch und bedeutet: Jedes Bundesland kann entscheiden, was es mit dem Geld tut: Erziehungsangebote schaffen, Betreuungsschlüssel erhöhen, Fachkräfte ausbilden, Kitas ausbauen, Integration fördern oder Eltern entlasten. Ein Ansatz von sozialer Gerechtigkeit ist darin tatsächlich enthalten: Kostenbeiträge der Eltern können abhängig von ihrem Einkommen, der Anzahl ihrer Kinder oder der täglichen Betreuungszeit von der Jugendhilfe übernommen werden. Einkommensschwache Familien sollen dadurch entlastet werden.

Viele kennen die Enttäuschung, die sich nach der Bescherung einstellt, wenn man etwas bekommen hat, das man sich gar nicht wünschte. Nicht anders entpuppt sich das „Gute-Kita-Gesetz“ ohne Papier und Schleife als Anwendung eines schlichten Gießkannenprinzips, mit dem ein bisschen Geld über einen Notstand ausgegossen wird. „Ein bisschen“ meint, dass die Regierung zur gleichen Zeit plant, ihre Rüstungsausgaben um satte 30 Milliarden Euro zu erhöhen. Also gibt es sechs mal mehr fürs Töten als für das Erziehen von Kindern.

Oder ist das Geld doch nur fürs Rumstehen und Kaffeetrinken, während die Kleinen auf dem Spielplatz toben oder mit Buntstiften malen? Hier liegt das größte Missverständnis vor. Denn Erziehen heißt nicht „Verwahren“, sondern Aufbau von Fähigkeiten, die das ganze Leben entscheiden. Auch der Volksmund weiß: Was Hänschen nicht kann, lernt Hans nimmermehr. Einem Kind, dem zum Beispiel nicht früh ein Verständnis für Sprache oder Zahlen spielerisch beigebracht wird, fehlen auch in seiner späteren Entwicklung wichtige Voraussetzungen für einen Erfolg in der Schule. Dazu bedarf es Methodik, fachlicher Kompetenz, Rahmenbedingungen wie Räume und Lehrmaterial, und eines Betreuungsschlüssels, der nicht nur genügt, darauf zu achten, dass keines der „Bälger“ beim Spielen verloren geht, sondern der es erlaubt, individuelle Entwicklungen von Kindern zu beobachten und gezielte Förderangebote bereitzustellen.

Kindererziehung ist mit der sozialen Frage eng verbunden. Es hilft armen Familien wenig, wenn sie ihren Nachwuchs nur kostenlos in Kitas abgeben können, wenn dort aus Mangel und Überlastung keine Erziehung mehr stattfindet. Die Geburt in einem Geringverdienerhaushalt zeichnet dann nur noch sicherer den Lebensweg in Arbeitslosigkeit bis zur Armutsrente vor. Schließlich ist Bildung nicht nur in den Köpfen der Herrschenden immer auch eine Frage politischer Macht.

Dabei erkaufen schon jetzt Eltern den begehrten Platz in einer Kita mit Gebühren in Höhe von mehr als 100 bis 200 Euro im Monat pro Kind. Weil in Deutschland ungefähr 300000 Plätze fehlen, kann sich glücklich schätzen, wer bis zu 10 Prozent seines Einkommens dafür berappen darf, um überhaupt Zeit zu haben, das Geld wieder hereinzuarbeiten. (Vergegenwärtigt man sich, dass viele Menschen 50 Prozent ihres Geldes allein fürs Wohnen ausgeben müssen, ergänzt um stets steigende Lebenshaltungskosten, ermisst man das Ausmaß, in dem arbeitende Menschen hierzulande massenweise geschröpft werden.) Dazu kommt die Erwartung, dass sich Eltern in Arbeitseinsätzen an Wochenenden an der Ausgestaltung der Einrichtung beteiligen oder mit Kleinspenden Förderangebote oder Spielzeuge mitfinanzieren. So sehr diese – nebenbei gesagt, gesetzwidrigen – Praktiken vieler Kitas auch in den süßen Schein sozialen Miteinanders gehüllt werden, bleiben sie doch in der sozialen Wirklichkeit von 40 bis 45 Wochenarbeitsstunden unter geringem Verdienst nichts anderes als pure Erpressung.

Daran wird das neue Gesetz nichts ändern. Es stellt Bundesländer und Träger nur vor die Wahl, die geringen Mittel in Betreuungsangebote zu investieren oder die finanziellen Hürden für Eltern zu senken. Gebraucht würden gesetzlich verbindliche Standards mit geringen Kosten für Eltern. Falls es der Regierung dafür an Finanzierungskonzepten fehlt, weisen wir darauf hin, dass in Deutschland 123 Milliardäre und mehr als eine Million Millionäre leben mit einem Vermögen von geschätzt 2,4 Billionen Euro.

Die Erfahrung lehrt, dass man sich bei der Auswahl seiner Weihnachtsgeschenke besser nicht auf andere verlässt. Der sächsische Bildungsplan zur Arbeit von Erziehern bietet hier eine interessante Anregung: Aus der „Analyse der aktuellen Lebensbedingungen von Kindern“, heißt es dort, „wird eine pädagogische Praxis möglich, die die Lebenslage von Kindern reflektiert und die ‚eine Politik für Kinder‘ einfordert“.

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"Gute Kita – schlechtes Gesetz", UZ vom 4. Januar 2019



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