Berlin will Deutsch-Europa „in die eigene Hand nehmen“

Gunfight in Taormina

Von Klaus Wagener

Außenminister Gabriel fordert Widerstand gegen Trump“ (Stern) „‚Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen‘, so die Kanzlerin kämpferisch. Es lohne sich, ‚für dieses Europa auch zu kämpfen’“ (Focus). Die USA seien kein verlässlicher Partner mehr, so Merkel nach dem G7-Gipfel von Taormina auf Sizilien. Es scheint, als hätten sich die globalen politischen Fundamente seit dem Wahlsieg Donald Trumps radikal verschoben. Die Aussagen des politischen und journalistischen Establishments wären noch vor einem halben Jahr unter das Verdikt des schlimmsten Antiamerikanismus gefallen. Der Chefstratege der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, wird gar mit dem Trump-Vergleich einer „Abrissbirne“ zitiert, „die durch das Bauwerk der westlichen Wertegemeinschaft tobt“.

Die wortradikale Aufrüstung gegen das Imperium deutet in zwei Richtungen. Zum einen scheint die US-Delegation ihre Interessen, also vor allem ihren Kampf gegen die massiven Handelsbi-lanzüberschüsse Deutschlands und Chinas, mit Nachdruck vertreten zu haben, zum anderen nutzt die Bundesregierung das mit permanentem Medieneinsatz gezeichnete Negativbild Trump zu einer europastrategischen Offensive. Beides berührt die strategischen Kernanliegen des deutschen Imperialismus.

Die Euro-Konstruktion, verbunden mit der Errichtung „eines der besten Niedriglohnsektoren, den es in Europa gibt“ (Gerhard Schröder), ermöglicht der deutschen Exportindustrie in einer Kombination von massiver Kreditausweitung, niedrigen Lohnkosten und Währungsdumping beste Exportkonditionen. Der Euro ist für die deutsche Wirtschaft zu schwach und für fast alle übrigen Euro-Staaten zu stark. Die deutsche Exportwirtschaft profitiert vom schwachen Euro, dessen Wert zusätzlich noch von der Europäischen Zentralbank gedrückt wird, mittelbar vom Elend der südeuropäischen Euro-Staaten. Und dieser Gewinn fällt nicht nur in Europa, sondern weltweit an. Und so besteht ein massives Interesse der deutschen Exportwirtschaft und des hinter ihr stehenden Finanzkapitals, um diese Profitmaschine am Laufen zu halten.

Nun sind Handelsfragen in allererster Linie Machtfragen. Kann beispielsweise Griechenland sich gegen die deutsche Dominanz und die von ihr inszenierte Ausplünderung des Landes kaum wehren, so können es die USA sehr wohl. Auch die Obama-Regierung hatte die Handelsungleichgewichte mit Deutschland und China angeprangert. Allerdings ist mit Donald Trump nun jemand auf der Bildfläche erschienen, der es nicht nur bei warmen Worten bewenden zu lassen beabsichtigt. Trump erscheint als massive Bedrohung deutscher Extraprofite. Und jemand der so etwas vorhat, kann kein Freund von Angela Merkel und Sigmar Gabriel sein. Von Liz Mohn und Friede Springer ganz zu schweigen.

„Widerstand gegen Trump“, „das Schicksal in die eigenen Hände nehmen“, ist der Aufruf zu einer deutsch-europäischen „Lösung“. Konkret dem Versuch, die deutsche finanzkapitalistische Ausplünderung „Rest-Europas“ durch Schauergeschichten über den schwefeldampfenden Gottseibeiuns Trump (und Putin, Erdogan, Assad usw.) zu verewigen.

Auf Dauer wird es nicht funktionieren, weil Defizite mit Verschuldung beglichen werden müssen und Schulden akkumulieren bis sie, siehe Griechenland, weder zurückgezahlt noch bedient werden können, sollte der Zins wieder auf Normalmaß zurückkehren. Merkels und Schäubles Europavision, für die es sich zu kämpfen lohnen soll, bedeutet für viele EU-Staaten die sichere Pleite.

Merkwürdigerweise wird auch unter sich links Verstehenden – bei dem Kandidaten Schulz erwartet man nichts anderes, bei den DGB-Gewerkschaften schon eher – ein Lösungsansatz kaum ernsthaft diskutiert: Die Demontage des Schröderschen Niedriglohnsektors und statt dessen Investitionen in Bildung, Gesundheit, Altersversorgung und Infrastruktur. Die arbeitenden Menschen wieder halbwegs anständig bezahlen, Steuern auch für Reiche, und schon bräche der absurd hohe Außenhandelsüberschuss von 8,9 Prozent, gemessen am BIP (Bruttoinlandsprodukt), in sich zusammen. Aber klar, die Profite wären nicht mehr so hoch wie zuvor. Deshalb ist so etwas Tabu. Und wir sind eine (Mehr-)Wertegemeinschaft. Und Donald Trump eine „Abrissbirne“.

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"Gunfight in Taormina", UZ vom 2. Juni 2017



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