Sämtliche seriösen Experten haben sich längst dagegen ausgesprochen, doch die EU-Kommission bleibt stur: Sie hält an der Chatkontrolle fest. Im Mai letzten Jahres hatte die Kommission einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Prüfung sämtlicher Nachrichteninhalte und Fotos auf Smartphones, Tablets, PCs und in Cloud-Speicherdiensten auf Kinderpornographie vorsieht. „Client-side scanning“ nennt sich diese Umgehung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Werden kinderpornographische Inhalte gefunden, sollen sie direkt an eine Kontrollinstanz oder die Polizei weitergeleitet werden.
Der Chaos Computer Club (CCC) nennt das Vorhaben ein „nie dagewesenes Überwachungswerkzeug“. Gleich zwei fundamentale Grundrechte würde es außer Kraft setzen: das Fernmeldegeheimnis und die Gewährleistung der Vertraulichkeit und der Integrität informationstechnischer Systeme. Der CCC kritisiert zudem, dass bislang nicht klar ist, wer Erkennungsalgorithmen und -datenbanken definieren und kontrollieren soll. Nach der Einführung könne das System leicht erweitert werden. Zudem sorgten selbst kleinste Fehlerquoten angesichts mehr als einer halben Milliarde Nachrichten pro Tag alleine in Deutschland für tausende Falschmeldungen. Für Betroffene kann das gravierende Konsequenzen haben. Berge irrelevanten Materials würden Beamte von ihrer Ermittlungsarbeit abhalten. Ermittlungsbehörden seien heute schon überfordert, gefundenes kinderpornographisches Material werde häufig noch nicht einmal gelöscht.
Zu der geplanten Chatkontrolle, offiziell „EU-CSAM-Verordnung“ genannt, gehört mit der Altersverifikation noch eine Komponente mit weitreichenden Konsequenzen. Sie gefährdet die Anonymität im Internet – und Open-Source-Software an sich. Letztere beruht wesentlich auf ehrenamtlicher Arbeit. Die technisch aufwendige Altersprüfung dürfte die meisten Strukturen, die solch quelloffene Software schreiben, überfordern. Sie würde zudem zentral erfasste Nutzerdaten generieren.
Gegen die Initiative der EU-Kommission hat sich die Kampagne „Chatkontrolle STOPPEN!“ gegründet. Neben dem CCC unterstützen unter anderem die Fachzeitschrift „Bürgerrechte & Polizei/CILIP“, der Verein Digitalcourage, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, LabourNet Germany sowie der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) die Kampagne. Die geplante EU-Verordnung könne ihren offiziell propagierten Zweck schon deshalb kaum erfüllen, weil Abbildungen von Kindesmissbrauch heute nicht mehr vornehmlich über Messaging-Dienste wie WhatsApp, Telegram oder Signal geteilt würden. Weil das Vorhaben grundrechtswidrig sei und wahrscheinlich vom Europäischen Gerichtshof gekippt werden würde, verzögere sich die Umsetzung echten Schutzes von Kindern vor Missbrauch weiter.
„Chatkontrolle STOPPEN!“ fordert, die EU-Kommission müsse den Entwurf zurücknehmen. Das Recht auf vertrauliche und sichere Kommunikation müsse gewährleistet werden. Statt eine „dystopische Überwachungsinfrastruktur“ zu etablieren, müssten polizeiliche Ermittlungen im Internet rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen. Die Bundesregierung müsse sich „klar und eindeutig“ gegen die Pläne der EU-Kommission positionieren.
Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung sieht ein Recht auf verschlüsselte Kommunikation vor und ein Verbot anlassloser und massenhafter Überwachung privater Kommunikation. Ein von „netzpolitik.org“ veröffentlichtes Positionspapier des Bundesinnenministeriums zeigt aber, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) entgegen dem Koalitionsvertrag und gegen den Willen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP an vielen Maßnahmen der CSAM-Verordnung festhält.
Die Regierungen vieler EU-Mitgliedstaaten unterstützen die Verordnung. Die Niederlande und Österreich sind dagegen. Zusammen mit einem weiteren EU-Land könnten sie diesen Generalangriff auf die private Kommunikation mit einer Sperrminorität verhindern.