Bürgerrechtsorganisationen lehnen bundesdeutsche Flüchtlingspolitik ab

Grundrechte nur für Deutsche?

Von Markus Bernhardt

Grundrechte-Report 2016 – Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland. Herausgeber: T. Müller-Heidelberg, E. Steven, M. Pelzer, M. Heiming, H. Fechner, R. Gössner, H. Niehaus und K. Mittel. Preis 10,99 Euro, 224 Seiten; ISBN 978–3-596–03588-5; Fischer Taschenbuch; Juni 2016.

http://www.grundrechte-report.de

Mehrere zehntausend Menschen haben sich am vergangenen Wochenende in mehreren bundesdeutschen Großstädten versammelt, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen und ihre Solidarität mit Flüchtlingen zu demonstrieren. Zu den Menschenketten hatten 40 Organisationen, darunter der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), Amnesty International, der Lesben- und Schwulenverband, der Zentralrat der Muslime sowie der Paritätische Wohlfahrtsverband aufgerufen. Auch zahlreiche Prominente wie etwa der Fußballer Gerald Asamoah, die Schauspieler Benno Fürmann und Michaela May, der Kabarettist Urban Priol und Michael „Breiti“ Breitkopf von der Punkband „Die Toten Hosen“, hatten für die Teilnahme an der Aktion geworben.

Ihren Auftakt hatte die Aktion, die unter dem Motto „Hand in Hand gegen Rassismus“ stand, bereits am Sonnabend mit mehr als 8 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Bochum genommen. Dort bildeten die Antirassisten eine kilometerlange Menschenkette, in der die Veranstalter bewusst einige Lücken ließen, in die sie Schuhe stellten, die als Symbol für Menschen, die abgeschoben wurden oder auf ihrer Flucht umkamen verstanden werden sollten.

Am Sonntag folgten weitere Proteste – unter anderem in Berlin, München, Hamburg, Leipzig und München. Annelie Buntenbach, Mitglied des DGB-Bundesvorstandes, machte deutlich, dass Geflüchtete die Solidarität der Gesellschaft brauchen. „Als Gewerkschaften treten wir ein für eine Gesellschaft, an der alle auf Augenhöhe teilhaben können.“ Daher bräuchten Geflüchtete „unsere anhaltende Solidarität“, forderte Buntenbach. Sie warnte außerdem davor, dass Flüchtlinge „zum billigen Jakob des Arbeitsmarktes“ gemacht würden. „Allerdings benötigen Geflüchtete genauso Unterstützung wie Langzeitarbeitslose oder junge Menschen ohne Berufsabschluss. Als Gewerkschaften kämpfen wir für soziale Gerechtigkeit – und lassen uns nicht gegeneinander ausspielen“, konstatierte sie.

Auch bei den Protestteilnehmern nahm die Ablehnung der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik breiten Raum ein. Sie forderten ein Ende der Abschiebung und die Unterbringung von Flüchtlingen in eigenen Wohnungen. Kritik kam auch von der innenpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke. Es sei höchste Zeit, bei der europäischen Flüchtlingspolitik umzudenken und vor allem umzulenken, forderte sie. „Keine weiteren Abschottungsdeals mehr, stattdessen endlich humanitäre Aufnahme und Schutz für Menschen in Not.“ Gerade die EU habe „keinerlei Berechtigung, über angebliche Überforderung zu klagen“. „Schließlich ist sie bei der Schaffung von Fluchtursachen ganz vorne – und versagt nach wie vor bei der solidarischen Flüchtlingsaufnahme“, stellte Jelpke weiter klar.

Kritisch bedacht wird der unwürdige Umgang staatlicher Stellen mit Flüchtlingen auch im dieser Tage veröffentlichten „Grundrechte-Report 2016“. So laute die Übersetzung von Liberté, Égalité und Fraternité aktuell Grenzkontrollen, Stacheldrahtzäune, Kriegsschiffe, heißt es in dem Report. Gelinge es nicht, die Flüchtlinge fernzuhalten, laute der Dreiklang Tröglitz, Freital, Heidenau – Chiffren des Jahres 2015 für eskalierende Gewalt und rassistische Stimmungsmache gegen Flüchtlinge, heißt es in einem weiteren Beitrag. Martin Kutscha ruft in seinem Text in Erinnerung, dass die aktuelle Festlegung sicherer Herkunftsstaaten im Flüchtlingsrecht zurückgeht auf die Amputation des Asylgrundrechts vor gut 20 Jahren.

„Die Lage der Grundrechte ist der wichtigste Seismograph für die Haltung von Staat und Gesellschaft zu Freiheit und Würde der Menschen. Die scheinbar in Stein gemeißelten Grundrechte müssen täglich neu erkämpft und verteidigt werden“, konstatierte der Schriftsteller Ilja Trojanow anlässlich der Präsentation des „Grundrechte-Reports“ in der vergangenen Woche in Karlsruhe.

Der „Grundrechte-Report 2016“ ist unterdessen der 20. und dieses Jubiläum war Anlass für die Redaktion, dem neuen Buch nicht nur das Vorwort des allerersten Reports von 1997 voranzustellen, sondern auch in drei einleitenden Artikeln einen Rückblick auf die letzten 20 Jahre zu geben. Neben den Beiträgen zu den Themen Flucht und Rassismus finden sich darin außerdem Texte des renommierten Bürgerrechtlers und Publizisten Rolf Gössner, der sich den Themengebieten staatliche Überwachung, Geheimdienstaktivitäten, Wirtschafts- und Regierungsspionage widmet.

Bisher galt der Grundrechte-Report, der von acht namhaften Bürgerrechtsorganisationen – darunter das Komitee für Grundrechte und Demokratie und die Internationale Liga für Menschenrechte – herausgegeben wird, gemeinhin als eine Art „alternativer Verfassungsschutzbericht“. „Im Laufe der Jahre konnte der Report aufzeigen, dass Grundrechte am effektivsten durch ihre engagierte Wahrnehmung verteidigt werden, am wenigsten aber durch staatliche Behörden, die sich mit dem Prädikat ‚Verfassungsschutz‘ schmücken.“ Nachdem bei den Geheimdiensten ein „Skandal“ den anderen ablöse, reiche es jedoch nicht mehr, ihnen jedes Mal die gelbe Karte zu zeigen, „sie müssen mit Rot endlich aus dem Spiel genommen werden“. „Jedenfalls ist der Grundrechte-Report mittlerweile kein alternativer Verfassungsschutzbericht mehr, sondern der einzig wirkliche“, stellen die Herausgeber daher klar.

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"Grundrechte nur für Deutsche?", UZ vom 24. Juni 2016



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