Siemens plant Vernichtung von mindestens 7 000 Arbeitsplätzen

Grundlegender Umbau

Von Willi Hendricks

Siemens-Chef Joe Kaeser hat gründliche Arbeit geleistet, um die Profite der Aktionäre zukünftig auf einen neuen Höchststand zu trimmen. Am 2. August kündigte er an, dass die fünf Sparten digitale Fabrik, Kraftwerke, Energiemanagement, Gebäudetechnologie und Antriebe in drei „operativen Gesellschaften“ gebündelt werden sollen. Die Einzelheiten dazu ließ Siemens offen, in einer Mitteilung heißt es lediglich: „Kern der Unternehmensstrategie ‚Vision 2020+’ ist, den einzelnen Geschäften deutlich mehr unternehmerische Freiheit unter der starken Marke Siemens zu geben“. Ein verbrämter Hinweis auf unruhige Zeiten für die Belegschaften. Gleiches Muster wie bei Thyssenkrupp: Hinhalten, verunsichern, Ängste schüren. Gegenüber den weltweit 377 000 Beschäftigten wird der Siemens-Vorstand noch in erheblicher Erklärungsnot geraten.

Vor Monaten war bereits manches durchgesickert. So berichteten „Die Zeit“ und „Reuters“ am 16. November 2017: Die Hälfte der von Siemens geplanten weltweiten Stellenstreichungen werden hiesige Standorte treffen. Demnach werden etwa 3 300 Arbeitsplätze nach dem Willen des Siemens-Vorstands in Deutschland vernichtet, vor allem in Berlin, Görlitz und in Offenbach. Betroffen ist die Kraftwerkssparte mit weltweit rund 46 800 Beschäftigten. Vor allem werde Siemens seine in Deutschland produzierten großen Gasturbinen nicht mehr los, berichtet „Die Zeit“. Wenig glaubwürdig, denn kurz darauf wurde bekannt, dass Siemens ein Großauftrag aus Libyen für zwei Kraftwerke im Werte von 700 Millionen Euro erhielt. Desgleichen für 380 Millionen Euro einen Auftrag für die russische Republik Tatarstan. Am 4. August heißt es in einer Zeitungsnotiz, dass die Siemens-Windkraft-Tochter Siemens Gamesa einen Großauftrag aus Holland an Land gezogen hat. Ein Konsortium aus Gamesa und einem niederländische Wasserbau-Unternehmen errichtet einen Windpark im Ijsselmeer nahe der Nordseeküste. Der mehr als 500 Millionen Euro schwere Auftrag erteilte die Provinz Friesland.

Die „Berliner Zeitung“ berichtete am 16. November 2017 von den Abbauplänen in Berlin: Siemens ist hier das größte Industrieunternehmen. 870 Arbeitsplätze sollen hier verschwinden: 300 Stellen im Gasturbinenwerk in Moabit, 570 im Dynamowerk in Siemensstadt. Die IG Metall rechnet damit, dass das Dynamowerk früher oder später ganz geschlossen wird. Die Werke in Leipzig und Görlitz mit 920 Stellen sollen ebenfalls schließen. In der Berliner Gasturbinenfabrik müssen nach den Siemens-Plänen 300 der insgesamt 3 500 Jobs wegfallen. Man kann hier 30 Großturbinen pro Jahr produzieren. Zurzeit benötigt der Weltmarkt nur 100 bis 120. Um diese Aufträge reißen sich neben Siemens auch Alstom, Mitsubishi und General Electric, die zusammen jährlich 400 Turbinen liefern könnten. Dennoch hat es bei Siemens keine einschneidenden Einbrüche gegeben.

„Spiegel.de“ schreibt über die Lage im ostdeutschen Görlitz: „Am Beispiel Siemens zeigt sich besonders drastisch: Das Wohl einer Region hängt mitunter extrem von weltweiten Wirtschaftsumbrüchen, aber auch strategischen (Fehl-) Entscheidungen in den Konzernzentralen ab. Da mögen die Mitarbeiter noch so gut entwickeln, montieren oder verkaufen. Am Ende geht die Rechnung nicht mehr auf, zumindest nicht mehr gut genug für die Aktionäre. Dann ist Schluss.“ Erzeugt ein Produktionszweig keine Höchstprofite, wird er abgestoßen oder die Belegschaft wird reduziert.

Im Dezember 2017 hat Konzernchef Kaeser einen um 11 Prozent auf 6,2 Milliarden Euro gestiegenen Rekordgewinn (2016/17) verkündet. Selbst die Kraftwerksparte erzielte Gewinne und eine Umsatzrendite von 10,3 Prozent. Für Kaeser nicht ausreichend, er erwartet mindestens 11 Prozent. Die Kraftwerksparte im Ruhrgebiet zählt dazu. Es sind das Mülheimer Dampfturbinen- und Generatorenwerk mit 4 500 Beschäftigten und der Standort Duisburg, wo 2 400 Arbeiter Kompressoren für Gas- und Ölindustrie herstellen. Seit Juni verhandelt der Mülheimer Betriebsratsvorsitzende Pietro Bazzoli wegen der „Auftragsflaute“ über einen Sozialplan, der den beabsichtigten Abbau von 700 Arbeitsplätzen „flankieren“ soll. Im September soll das Ergebnis vorliegen. Bazzoli ist froh, „dass es zunächst nicht zum reinen Holding-Modell kommt“. Siemens funktioniert „nach meiner festen Überzeugung als integrierter Technologiekonzern besser“, glaubt er. IG-Metall-Hauptkassierer Jürgen Kerner, der auch im Aufsichtsrat von Siemens sitzt, ist weit weniger optimistisch. Er drückte die Sorge der Arbeitnehmervertreter aus, dass eine reine Holdingstruktur in eine von Finanzmärkten getriebene Zerschlagung des Konzerns führen werde. Höchstwahrscheinlich beruht seine Einschätzung auf der aktuellen Entwicklung bei Thyssenkrupp, wo die Finanzinvestoren Elliot und Cevian dabei sind, das Heft in die Hand zu nehmen.

Während des Weltwirtschaftsforums in Davos am 26. Januar nahmen Siemens-Chef Joe Kaeser und andere Konzernmanager an einem Abendessen mit US-Präsident Donald Trump teil. Kaeser konnte Trump zufrieden stellen: Die Energiesparte, mit weltweit 71 000 Beschäftigten und 21 Milliarden Euro Umsatz, wird ihren Sitz im texanischen Houston – Zentrum der US-Ölindustrie – verlagern. Dieser Schritt wird als Zugeständnis an die aggressive US-Handelspolitik gewertet. Deutlicher kann Konzern-Chef Joe Kaeser die wahren Interessen des Unternehmens nicht zum Ausdruck bringen: Verlagerung in die USA, Arbeitsplatzvernichtung im eigenen Land der höheren Gewinne wegen. Für die Malocher bei Siemens bringt Kaesers Kumpanei mit dem US-Präsidenten wahrlich keine Vorteile.

Die Betriebsratsvorsitzenden der deutschen Siemens-Standorte richteten Mitte Dezember 2017 einen offenen Brief an die Familie Siemens, worin sie um Unterstützung zum Erhalt ihre Arbeitsplätze und Standorte baten. Hinter ihnen stehen die 115 000 Beschäftigten samt ihren Familien, die für Siemens in mehr als 50 deutschen Städten arbeiten. Dieses Schreiben wurde auch als Plakat am 18. Dezember 2017 in allen deutschen Siemens-Standorten angebracht. Der Text stellte keine Forderungen und kündigte keine Protestaktionen an. Eine Herzensangelegenheit, die vom Empfänger keine Beantwortung fand. Um berechtigte Ansprüche durchzusetzen, reicht eine Petition nicht aus.

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"Grundlegender Umbau", UZ vom 10. August 2018



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