Die Bundestagssitzung, in der das größte Rüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik beschlossen werden soll, läuft. Entgegen allen Behauptungen von Gregor Gysi und Teilen der Parteiführung hätte „Die Linke“ eine Chance gehabt, diese Sitzung zu verhindern. Der Jurist Ralf Hohmann erläutert die Hintergründe.
Die heute mit Kalkül unter dem Leitspruch „Whatever it takes“ vollzogene Mehrheitsbeschaffung zur Verabschiedung der Kriegskredite in Billionenhöhe ist an Absurdität nicht zu überbieten. Ein Bundeskanzler, der noch keiner ist, lässt mit einer CDU/SPD-Regierung, die noch nicht im Amt ist und mit 100 Milliarden Euro erkaufter Hilfe der Grünen-Fraktion ein Parlament, das abgewählt ist, über nach oben offene Kriegskredite und ein 500-Milliarden-Bundeswehrlogistik-Paket abstimmen, von dem die Geheimdienste, Rüstungskonzerne und der militärisch geführte „Zivilschutz“ profitieren und für dessen Verzinsung und Tilgung künftige Generationen blechen müssen.
Zahlreiche Eilanträge an das Bundesverfassungsgericht von Abgeordneten der AfD, der FDP, des BSW und der Partei „Die Linke“ mit dem Ziel, die Bundestagssitzung abzusetzen, wurden von diesem mit knapp gefassten Beschlüssen vom 13. und 17. März allesamt abgeschmettert. „Anhaltspunkte für eine Verletzung des Rechts der Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG auf informierte Beratung und Beschlussfassung“ bestünden aktuell nicht, obwohl noch nicht einmal ein auch nur halbwegs detaillierter Plan zur Verteilung der Gelder vorliegt. Finanzierung nach Gutsherrenart, was sich auch an dem binnen 24 Stunden von 50 Milliarden auf 100 Milliarden Euro angewachsenen Betrag für „Klimaschutz“ zeigt. Letzterer wird dann zusätzlich noch als neue Staatszielbestimmung ins Grundgesetz aufgenommen. Kriegsvorbereitung und Klimaschutz, die Olivgrünen sind am Ziel ihrer Wünsche und der gestandene BlackRocker Friedrich Merz ist von Stolz erfüllt über diese neue Quadratur des Kreises.
Entweder aus Gehässigkeit gegenüber den Eilantragstellern (Motto: „Darauf hättet ihr auch selbst kommen können“) oder mit dem Anflug eines noch vorhandenen verfassungsrechtlichen Restgewissens gaben die Karlsruher Richter am vergangenen Donnerstagnachmittag den protestierenden Parlamentariern der Partei „Die Linke“ dann doch noch einen versteckten Wink. In der Entscheidung 2 BvE 3/25 heißt es, die Bundestagspräsidentin könne gemäß Artikel 39 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) den „alten“ Bundestag einberufen, sie könne dies wohl auch für den „neuen“ Bundestag und es könne eine „Pflicht bestehen, der Konstituierung des neuen Bundestages den Vorzug zu geben“, aber einen solchen Antrag habe bis dato niemand gestellt.
Dahinter steckt die Idee in Artikel 39 GG, dass nach Einberufung des neugewählten Bundestags kein Platz mehr für Entscheidungen des „alten“ ist. Die späte Erkenntnis dieser Möglichkeit, den bereits zur Durchsetzung der Kriegskredite bestimmten 18. März 2025 durch einen vorherigen Zusammentritt des „neuen“ Bundestags zu torpedieren und damit die selbstherrliche Kriegsertüchtigung zu stoppen, führte dazu, dass die AfD am vergangenen Samstag die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas aufforderte, den 21. Deutschen Bundestag unverzüglich einzuberufen, was am 17. März oder am Morgen des 18. März möglich gewesen wäre – allerdings nur, wenn entsprechend Artikel 39 GG ein Drittel der neugewählten Abgeordneten (mindestens 207) diese Initiative ergriffen hätte. Ohne einen gleichgerichteten Antrag der Partei „Die Linke“ war der AfD-Vorstoß zum Scheitern verurteilt.
Gregor Gysi gab einen anderen Takt vor. Ein solcher Antrag sei „schlicht und einfach juristischer Unsinn. Jede Verfassungsrechtlerin, jeder Verfassungsrechtler, jede Bundesverfassungsrichterin und jeder Bundesverfassungsrichter wird dies bestätigen“, hieß es in einer Presseerklärung. „Die künftigen Abgeordneten (seien eben) noch keine Abgeordneten im Sinne des Grundgesetzes“. Mehrfach zu kurz gedacht: Wenn die künftigen Abgeordneten noch gar keine sind, wie können dann Merz und Konsorten das Heft des Handelns an sich reißen? Die Steilvorlage zur Antragstellung kam vom Verfassungsgericht selbst, namhafte Verfassungsrechtler schlagen die Hände über dem Kopf zusammen.
Volker Boehme-Neßler, Professor an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg, schreibt: „Die Entscheidungen aus Karlsruhe sind respektlos – gegenüber der Verfassung und gegenüber den Bürgern.“ Selbst für die ansonsten stramm linientreuen Journalisten vom „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ ist die Welt aus den Fugen. „Die Mütter und Väter des Grundgesetzes würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie wüssten, wie heutzutage mit ihrer damals sehr sorgsam austarierten Verfassung umgegangen wird.“ Die „Linke“ hat durch ihre Untätigkeit grünes Licht für die Kriegstreiber gegeben. Sevim Dagdelen vom BSW schrieb auf X: „Die Linke hat die historische Chance, die Kriegskredite für unbegrenzte Aufrüstung zu verhindern. Sie müsste nur ein Mal über das unsinnige Brandmäuerchen springen, um mit den Falschen das Richtige zu machen: den neu gewählten Bundestag einzuberufen und so den Kriegsbesoffenen die rote Karte zeigen.“