Im Dezember 2021 tagte der Ausschuss Schule, Bildung und Kultur. Auf der Tagesordnung stand die „Ehrung von Ria Deeg in Form eines Gießener Kopfes – Vorstellung des zeithistorischen Gutachtens“.
Oberbürgermeisterin Grabe-Bolz (SPD) setzte die Präsentation des Ergebnisses der Fachkommission in Form eines Gutachtens als letzten Akt ihrer Amtshandlung auf die Tagesordnung, weil es ihr ein persönliches Anliegen gewesen sei. Schon im Vorfeld versuchte der FDP-Stadtverordnete Erb, diesen Punkt von der Liste zu streichen.
Die Kommission unter Vorsitz der Historikerin Dr. Ulrike Krautheim fasste zusammen: „Eine Kommunistin, die sich für die Demokratie stark gemacht hat. Die Kommunisten in der BRD wurden beim Gedenken an Widerstandskämpfer ausgeklammert. Deeg trat ein für die Demokratie und die Friedensbewegung.“ Krautheim führte aus, Ria sei eine bemerkenswerte Persönlichkeit gewesen, die sich für Menschlichkeit einsetzte. Die Historikerin sprach allerdings nicht davon, dass Ria auch nach der Befreiung vom Faschismus weiter als Kommunistin aktiv war. Ria blieb Revolutionärin und kämpfte für den Sozialismus. Seit der Konstituierung der DKP war sie Mitglied unserer Partei. Kein Wort darüber findet sich in dem Gutachten.
Da die Oberbürgermeisterin im Vorfeld wusste, dass selbst die eigenen Koalitionspartner, die Grünen, Ria nicht würdigen wollen, stand dieser Punkt auch nicht als Antrag auf der Tagesordnung. Wir erinnern uns: CDU, FDP und die Grünen stimmten mit allen anderen 1987 für die Goldene Ehrennadel, die Ria Deeg in einer feierlichen Stunde von Bürgermeister Mutz (SPD) überreicht bekam. Sie nannten Ria eine mutige und konsequente Antifaschistin – und stimmen 2021 gegen eine Stele. Woher kommt der Meinungsumschwung? Was hat sich geändert?
Irgendwie wundert es mich nicht. Dennoch: Es ist immer wieder unfassbar, welche Maßstäbe für die Anerkennung von Widerstand gegen den Faschismus und welche Maßstäbe für Ehrungen in Deutschland angewendet werden. Es ist zu beobachten, dass es schwierig bis unmöglich scheint, Kommunisten würdevolle und verdiente Ehrungen – vor allem im Kampf gegen den Faschismus – zu verleihen, so, als wäre unser Widerstand weniger wert.
Die DKP Gießen stellte vor zehn Jahren einen Antrag, das Ensemble in der Plockstraße geehrter Gießener Frauen, die wegen des deutschen Faschismus emigrieren mussten oder in einem KZ ermordet wurden, mit einer Stele für Ria zu ergänzen. Dies wurde abgelehnt. Nachdem die Stadt dann 2015 beschlossen hatte, dass erst 20 Jahre nach ihrem Tod – bis dahin reichten zehn Jahre – Menschen in Gießen geehrt werden können („Lex Ria Deeg“), hatte Michael Beltz (DKP) für die Fraktion „Gießener Linke“ diesen Antrag wiederholt eingebracht.
Das Ergebnis einer kurzen Beratung lautete, eine Kommission, die für Benennung von Straßen und nun auch für allgemeine Ehrungen zuständig sei, solle darüber befinden. Die Oberbürgermeisterin beauftragte die oben genannte Kommission, ein Gutachten zu erstellen.
Es gab in Gießen keine andere Antifaschistin, die sich mehr Verdienste im Kampf gegen den Faschismus erworben hat und dafür ins Zuchthaus gesperrt wurde, als Ria Deeg. Für die Erkenntnis zu Ria hätte es keiner Prüfung durch eine „Fachkommission“ bedurft. Das können hunderte ehemalige Gießener Schülerinnen und Schüler bestätigen, die sie als Zeitzeugin zu sich eingeladen haben. Das können alle bestätigen, die von ihr das Eintreten für Demokratie und Sozialismus gelernt haben.
Ria hat an ihrem Leitsatz „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ ihr Leben lang festgehalten und gegen alte und neue Faschisten gekämpft. Dieses Grundprinzip war nach dem Krieg und bis in die 80er Jahre Konsens aller Demokraten in Deutschland. Das änderte sich 1999, als die SPD mit den Grünen (Schröder/Fischer) erstmals wieder einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien führte – genau, jener Herr Fischer, der erst in Wiesbaden als Umweltminister turnschuhte, um dann bundesweit mit Schröder die Interessen der Banken und Konzerne mit Kriegseinsätzen zu wahren.
Schon diese Regierung wusste, dass Regierungsfähigkeit in Deutschland bedeutet, sich ohne Wenn und Aber der imperialistischen Kriegspolitik zu verschreiben. Habeck hat dies zuletzt mit seiner Ansage an die Linkspartei lediglich bestätigt. Wundern muss man sich aber über diejenigen, die den Grünen, nach allem, was sie auf dem Kerbholz haben, weiter Nähe zu friedenspolitischen Positionen attestieren. Schließlich hetzt Baerbock am lautesten gegen Russland/China, um einen Krieg herbeizureden. Die FDP Gießen stellte passend einen Antrag, um die Gießener Städtepartnerschaft mit San Juan del Sur (Nicaragua) und Wenzhou (China) zu kündigen.
Erika Beltz (DKP Gießen) schrieb dazu: „Ria Deeg würde heute mit am Schärfsten gegen diese Kriegstreiber auftreten, folgerichtig lehnen auch die Grünen ihre Ehrung strikt ab. Wenn auch auf dieser Sitzung kein Beschluss gefasst wurde, bleibt es dabei: Ohne Ria Deeg, die sich in Gießen wie keine andere im Kampf gegen den Hitler-Faschismus eingesetzt hat und dafür Jahre ins Zuchthaus gesperrt wurde, ist dieses Ensemble unvollständig. Es ist gut, dass es noch Sozialdemokraten gibt, die nicht vergessen haben, dass Mitglieder ihrer Partei wie die der KPD gemeinsam in den KZs der Nazis saßen und an der Losung ‚Nie wieder Faschismus – Nie wieder Krieg‘ festhalten.“
Unsere Autorin ist Stadtverordnete der Gießener Linken und Mitglied der DKP
Ria Deeg (geb. 2. Oktober 1907, gest. 13. August 2000) war eine über die Grenzen Gießens hinaus bekannte Antifaschistin und Kommunistin. In der Zeit des Nationalsozialismus leistete sie Widerstand, stellte unter Gefahr für Leib und Leben Flugblätter her, die sie mit Kameraden verteilte, um über die Verbrechen der Faschisten aufzuklären, um aufzurütteln und vor dem sich abzeichnenden Zweiten Weltkrieg zu warnen.
Zusammen mit anderen Antifaschisten hatte Ria einer illegalen Widerstandsgruppe in Gießen angehört, die Flugblätter herstellte und verteilte, um über die Nazibarbarei aufzuklären. Unter ihnen befanden sich die parteilosen Gießener Widerstandskämpfer Wilhelm Klüpfel, August und Robert Ranft sowie die Kommunisten Otto Rüspeler (Gleiberg), Walter Deeg, Hans Rosenbaum, Heinrich Creter und Hermann Schröter.
Rosenbaum wurde 1945 im Nebenlager von Buchenwald, Nordhausen, ermordet, Creter starb 1947 an den Nachwirkungen des Aufenthaltes im KZ.
Im Dezember 1945 wurde Ria Leiterin der Betreuungsstelle für politisch, rassisch und religiös Verfolgte. Bis zum Verbot der KPD 1956 war sie im Kreisvorstand und Mitglied des Landesvorstands und mit dem Kommunisten Anton Kaiser Stadtverordnete in Gießen.