Manfred Sohn zu den Debatten um Graichen, Habeck und warme Wohnungen

Grüne lassen uns frieren

Nun wird er also in den wohlbezahlten einstweiligen Ruhestand versetzt, der erst gut 50-jährige Staatssekretär Patrick Graichen, langjähriger Duz- und Parteifreund des Wirtschafts- und Klimaministers Robert Habeck von den „Grünen“. Gestolpert ist er nicht über das dichte Geflecht an persönlichen Seilschaften, mit dem diese Partei gleich nach ihrem Eintritt in die Bundesregierung alle die ihr zugewiesenen Ministerien überzogen hat wie eine Schlingpflanze unter Treibhausbedingungen. Das Prinzip „Eine Hand wäscht die andere“ gehört zum üblichen Geschäft der Regierungen in allen kapitalistischen Ländern. Erst wenn die Interessen verschiedener Fraktionen der herrschenden Klasse(n) zu sehr aufeinanderprallen, werden solche Mafia-Strukturen überhaupt von den herrschenden Medien thematisiert und dienen der Schwächung des politischen Gegners.

Deutlich wurde das in den Tagen nach der Entlassung Graichens. Nun müsse, tönte es in allen Medien, das von Graichen maßgeblich mitgeprägte Gebäudeenergiegesetz (GEG) noch einmal auf den Prüfstand. Die FDP stellte öffentlich „100 Fragen“ – benimmt sich also wie eine Oppositionspartei – und verkündete, sie gehe nicht mehr davon aus, dass der Bundestag das GEG wie von der Regierung geplant bis Juli verabschieden würde. Sie fordern „mehr Markt“ für die Energiewende.

Mitleid muss mit den „Grünen“ niemand haben. Kalt sind sie nicht gegenüber ihren Parteifreunden. An Patrick Graichen hat Robert Habeck festgehalten so lange es irgendwie ging. Kalt sind sie gegenüber der Bevölkerungsmehrheit. Ihr Gesetzentwurf sieht jährlich mindestens 13 Milliarden Euro vor, um die geplante Entrümpelungsaktion von Gas- und Ölheizungen ab dem 1. Januar 2024 finanziell für diejenigen zu unterstützen, die über selbstgenutztes Wohneigentum und daneben noch über finanzielle Polster verfügen. Über die Hälfte der Menschen in Deutschland aber zahlt Miete, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Für sie sind Förderungen nicht vorgesehen. Sie werden über die Modernisierungsanlagen zur Kasse gebeten. Sie stehen bislang – das ist Ergebnis der Schwäche der Linkskräfte in diesem Land – völlig außerhalb der Debatte, die sich auf die Frage der Altersgrenze „80“ für den verpflichtenden Einbau von Wärmepumpen zu konzentrieren scheint.

Der auch ökologisch fragwürdige Austausch von 15 Millionen überwiegend noch völlig funktionstüchtigen Heizungen soll aus Steuermitteln für die Immobilienbesitzer unterstützt werden. Steuermittel in Deutschland sind inzwischen zu 40 Prozent indirekte Steuern, also Aufschläge auf Preise, die auch Angestellte unterer Tarifgruppen, Arbeitslose und Bürgergeldempfänger zahlen. Sie finanzieren folglich das Milliarden-Zuckerbrot für die energetische Wende der Wohlhabenden mit.

Die Mieter aber bekommen künftig „fernablesbare Messgeräte“ an ihre Heizkörper mit dem erklärten Ziel, den eigenen Energieverbrauch zu beeinflussen. Das läuft darauf hinaus, dass die Besserverdienenden auch in Zukunft – bezuschusst aus der Mehrwertsteuer, die die Armen für Brot und Äpfel zahlen müssen – ihre Häuser vom Keller bis zum Dach behaglich heizen können. Die nicht so Wohlhabenden ohne Immobilieneigentum werden auf die Spur ihrer Vorfahren gesetzt. Bei denen war es schließlich üblich und gewohnt, dass nicht die ganze Wohnung, sondern nur die „gute Stube“ geheizt wurde. Dorthin sollen sie nach dem Willen der kalten Grünen zurückgetrieben werden. Herr Kretschmann reicht ihnen mit pädagogischen Hinweisen zum klimagerechten Verzicht auf die warme Dusche ergänzend dazu demnächst einen grünen Waschlappen.

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"Grüne lassen uns frieren", UZ vom 26. Mai 2023



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