Gründungstag der BRD

Lucas Zeise zum Kapitalismus, als der noch Anhänger gewann

Lucas Zeise

Lucas Zeise

Am 20. Juni 1948, einem Sonntag vor 70 Jahren, wurde die Währung in Westdeutschland und Westberlin von Reichsmark auf die damals neue D-Mark umgestellt. Die „Süddeutsche Zeitung“ feiert auf einer Sonderseite das Ereignis als Beginn des Wirtschaftswunders. Jörg Roesler schreibt in der „jungen Welt“, der Tag gelte in der Erinnerung der Bundesrepublik auch als „eigentliches Gründungsdatum der Republik“. In der UZ der vergangenen Woche heißt es: „Die Währungsreform in den Westzonen trieb die Spaltung Deutschlands weiter voran.“

Das widerspricht sich nicht, sondern passt im Gegenteil gut zusammen. Die Währungsfrage ist generell entscheidend für die Ökonomie und Politik eines Landes. So war die Einführung der D-Mark in der noch existierenden DDR am 1. Juli 1990 das entscheidende Datum, das der Wirtschaft dieses kleinen sozialistischen Landes ein Ende setzte. Als im Februar 1990 Helmut Kohl gegen den Widerstand des damaligen Bundesbankpräsidenten Karl Otto Pöhl entschied, die Bürger der DDR mit der D-Mark zu beglücken, bedeutete das die „Übernahme“ der DDR im Gegensatz zu der nach außen formulierten Absicht, den Weg zur Annäherung der beiden deutschen Staaten durch Verhandlungen zu suchen. 1948 traf die US-Regierung die Entscheidung. Die Briten und Franzosen stimmten für ihre Besatzungszonen zu. Sie waren hochverschuldet und auf das Wohlwollen ihres Hauptgläubigers USA angewiesen. Die Entscheidung, Westdeutschland zum kapitalistischen Bollwerk gegen das sozialistische Lager aufzubauen, war schon vorher getroffen worden. Die Währungsreform in den Westzonen und Westberlin war die unmittelbar wirksame Maßnahme, um die Trennung zwischen West und Ost zu vollziehen.

Die langfristige Wirkung der Maßnahme war ebenfalls beabsichtigt. Und das ist der Punkt, bei dem die Jubelartikel der üblichen Blätter recht haben. Denn in der Tat leitete die Währungsreform das so genannte „Wirtschaftswunder“ ein. Sie trug bei zu einem Wirtschaftsaufschwung, der mit leichtem Auf und Ab ungefähr zwei Jahrzehnte dauerte. Das wird auch dadurch nicht falsch, wenn man darauf hinweist, dass die Einführung der neuen Währung die Bürger höchst unterschiedlich und damit ungerecht behandelte. Zwar wurden am 20. und 21. Juni pro Kopf einheitlich frisch gedruckte 40 D-Mark verteilt, Ersparnisse aber im Verhältnis 1 zu 10 oder 1 zu 6 umgetauscht. Umgekehrt bedeutete das, dass Schulden in Reichsmark mit der neuen Währung gezehntelt wurden. Die Staatsschuld, im Zuge des Krieges riesenhaft angeschwollen, war deshalb in D-Mark minimal. Nicht abgewertet wurde dagegen Eigentum an Produktionsmitteln und Grund und Boden. Die Grundsatzentscheidung, das große Eigentum unangetastet zu lassen, war schon vorher gefallen. Die deutsche Bourgeoisie verdankt ihre Existenz der US-Politik.

Gleichzeitig mit der Währungsreform wurden die Preise freigegeben. Es wird behauptet, Ludwig Erhard, der Direktor der Wirtschaftsverwaltung in der britisch-US-amerikanischen „Bizone“, habe das ohne Genehmigung der Besatzungsmacht getan. Das kann bezweifelt werden. Jedenfalls aber wurden die Grundnahrungsmittel teurer. Die Produzenten und Händler konnten damit wieder anständigen Gewinn machen. Die Lebensumstände von Arm und Reich wurden geschieden. Die kapitalistische Akkumulation, vulgo „Marktwirtschaft“, nahm Fahrt auf.

Die Währungsreform klinkte Westdeutschland in den Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit ein, jene von Eric Hobsbawm „goldenes Zeitalter des Kapitalismus“ genannte Periode. Im Wettbewerb mit dem stark gewordenen Sozialismus war der von den USA geführte Imperialismus bereit, ökonomische Zugeständnisse an die beherrschten Klassen zu machen. Das minderte seine Krisenanfälligkeit. Die Integrationskraft des monopolkapitalistischen Systems war höher als je zuvor oder danach. Das galt ganz besonders für Westdeutschland. Noch heute ist das Prestige des gemeinen Kapitalismus in Teilen auch der Arbeiterklasse hoch. Wie sonst könnte der DGB zum Anlass des 70. Jahrestages der Währungsreform darüber jammern, dass die „soziale Marktwirtschaft“ ihr Wohlfahrtsversprechen nicht mehr einhalte.

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"Gründungstag der BRD", UZ vom 22. Juni 2018



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