Syrien-Pläne der Türkei gingen nicht auf

Gründlich gescheitert

Die erste Stadt in der syrischen Provinz Idlib, die die Autobahn M4 von Latakia nach Aleppo berührt, ist Dschisr asch-Schughur. Im Juni 2011 erlangte diese Stadt in Syrien traurige Berühmtheit. Dschihadisten ermordeten 120 oder mehr syrische Beamte und warfen die verstümmelten Körper in den Fluss Orontes. Im Kampf um Idlib schlossen Putin und Erdogan nun ein Abkommen, das vorsieht, die Dschihadisten aus den Gebieten entlang der Autobahn zu vertreiben – auch aus Dschisr asch-Schughur.

Das Sotschi-Abkommen von September 2018 sah vor, dass die Dschihadisten die Hauptverkehrsverbindungen, soweit sie durch Idlib verlaufen, für den zivilen Verkehr freigeben sollten. Durchsetzen sollte das die Türkei. Doch tatsächlich betrachtete die türkische Regierung Idlib zunehmend als ihr eigenes Territorium. „Wir sind in Idlib nicht die Gäste – wir sind die Gastgeber“, erklärte Erdogan vor Mitgliedern der AKP.

In Idlib wie in Libyen ist die türkische Armee aktiv – und in beiden Fällen gegen die Interessen der Russischen Föderation. Denn, wie Erdogan am 22. Februar erklärte, die Türkei müsse ihren berechtigten Platz in den sich ändernden Kräfteverhältnissen in der Region schützen – auch gegen die Interessen anderer Mächte.

In Idlib sollte das mit der „Operation Spring Shield“ erfolgen – dem Angriff von Dschihadisten mit massiver Unterstützung durch türkische Artillerie und Drohnen. Die syrische Armee war von diesem Angriff geschwächt und musste sich aus zuvor erreichten Gebieten zurückziehen. Und auch die russische Regierung wirkte überrascht und verunsichert. Vorübergehend sprach sie nicht mehr vom notwendigen Kampf gegen die Terroristen in Idlib, sondern nur noch vom Schutz der Zivilbevölkerung. 

Doch dieser Moment der Unsicherheit wich, als die syrische Luftabwehr in Idlib verstärkt wurde und auch mit russischer Unterstützung zunehmend bewaffnete türkische Drohnen abschießen konnte. Diese Drohnen waren bis dahin die Hauptwaffe des Angriffs – ohne sie verlor die „Operation Spring Shield“ ihre Wirksamkeit. Syrische Truppen konnten verlorenes Terrain wiedergewinnen, die Armee erlangte erneut die volle Kontrolle über die Autobahn nach Aleppo und orientierte sich Richtung M4, der Autobahn nach Latakia. Erdogan musste seinen Gang nach Moskau antreten.

Die Delegationen, die in Moskau über einen Waffenstillstand verhandelten, umfassten die militärische und politische Spitze der beiden Länder, Geheimdienstvertreter – und die Wirtschaftsminister. Schließlich ist die gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit die Grundlage für ihre „nie zuvor dagewesene Zusammenarbeit“ trotz gegensätzlicher Interessen in Syrien und Libyen.

Die „Operation Spring Shield“ sollte das Gleichgewicht zwischen den Garantiemächten Iran, Russland und Türkei zugunsten der Türkei ändern. Dieser Versuch ist gründlich gescheitert. Das jetzige Abkommen sieht vor, dass die syrische Armee in den erreichten Gebieten verbleibt und die Dschihadisten sich von der M4 zurückziehen. Die M5 ist bereits jetzt unter Kontrolle der Regierung.

Erdogans Flirt mit der NATO blieb ohne Ergebnis. Immerhin erklärte Außenminister Pompeo, die USA prüften die türkischen Bitten um Unterstützung. Und eine UN-Resolution zur Unterstützung des Abkommens wurde von den USA blockiert. Auch die Bundesregierung wird prüfen müssen, wohin sie ihre Millionen für Idlib weiterhin schickt.
Der türkischen Regierung verbleibt nicht viel Zeit, das Abkommen – gegen den offensichtlichen Widerstand der Dschihadisten – umzusetzen. Bereits am 15. März sollen erste russisch-türkische Patrouillen die M4 kontrollieren.

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"Gründlich gescheitert", UZ vom 13. März 2020



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