Was Baer­bock und Co. in Übersee lernen könnten

Grün auf Amerikanisch

Kolumne

Jüngst gab die Präsidentschaftskandidatin der Grünen Partei der USA, Jill Stein, der „Berliner Zeitung“ ein Interview. Um es vorwegzunehmen: Auf die Frage, wie sie die Politik der deutschen Außenministerin Annalena Baer­bock beurteile, antwortete sie mit einem Satz: „Wir halten sie für sehr gefährlich und schlecht informiert.“ Der scharfe Ton ergibt sich aus einer diametral entgegengesetzten Bewertung der Weltlage. „Wir sind gegen die Politik des extrem rücksichtslosen und aggressiven amerikanischen Imperiums“, sagt Jill Stein. Die USA hätten eine Reihe von Kriegen geführt, die Millionen Menschen auf der ganzen Welt getötet und das Land enorme Summen gekostet hätten. Aber nach jeder Niederlage sei man in den nächsten Krieg gezogen. Als die USA endlich aus Afghanistan abgezogen waren, hätten sie sich „innerhalb kürzester Zeit voll auf die Ukraine gestürzt“. Der Ukraine-Krieg hätte vermieden werden können, die Spannungen seien aber durch die USA geschürt worden. Das Versprechen, dass die NATO keinen Zentimeter nach Osten vorrücken werde, sei von Bill Clinton gebrochen worden, und man sei sich durchaus über die Konsequenzen dieser Politik im Klaren gewesen. Die Ukraine, sagt Stein, hätte einen neutralen Status einnehmen können. Nun sei die Lage extrem gefährlich, noch verschärft durch die Stationierung amerikanischer Tomahawk-Mittelstreckenraketen in Deutschland.

Und weiter auf dem Erdball: Besorgt darüber, dass sich China zur aufstrebenden Wirtschaftsmacht entwickelt, versuchen die USA das Ukraine-Spiel auch im Fernen Osten, indem sie die Bewaffnung Taiwans vorantreiben. Die Lage drohe auch hier „völlig aus dem Ruder zu laufen“. Und was den Nahen Osten betrifft, so habe der amerikanische Präsident in früherer Zeit Israel angewiesen, sich aus dem Libanon zurückzuziehen. Möglichkeiten, die militärischen Optionen zu ändern, seien also durchaus gegeben. Aber das amerikanische Volk zahle weiterhin einen hohen Preis für eine Militärpolitik, die „uns im Grunde verarmt und die ganze Welt gefährdet“.

Da reibt sich der friedensbewegte deutsche Leser die Augen. Macht es Sinn, sein ramponiertes Verhältnis zur Polit-Farbe Grün zu überdenken? Es scheint Gegenden auf dem Globus zu geben, wo sich noch immer grüne Politik mit weltpolitischer Vernunft und eben dadurch auch ökologischem Verantwortungsbewusstsein den drängenden Menschheitsfragen stellt.

Ein hoffnungsvolles Oliv dort, während man hierzulande längst am tarnfarbigen Khaki verzweifelt ist, das die Baer­bocksche Führungsriege in bellizistischer Vernarrtheit als alternativloses Grün verkauft. Indes: Die Alternative für bundesdeutsches Khaki wäre das Oliv der Jill Stein. Aber hier versagt die Amerikahörigkeit der auf NATO-Kurs gebürsteten bundesgrünen Führungsphalanx. Die wird Steins Ansichten womöglich als „unamerikanisch“ verwerfen und verstehen, warum die Demokratische Partei bestrebt war, solches Grün vom US-Wahlzettel zu streichen. Stein wird nicht erreichen, wofür die grüne Führungsequipe hierzulande den Gründergeist ihrer Partei preisgab und woran sie trotz herber Vertrauensverluste noch immer all ihre Hoffnungen kettet: Macht im Staat.

Da hilft kein Stoßgebet. Jill Steins Credo wird bei der hiesigen Grünen-Führung ante portas bleiben. Vorerst wenigstens. Die Regierungspfründe sind zu lecker und die berauschenden Verführungsdüfte der Macht im grünen Karree längst nicht verweht. Khaki bleibt. Es wird vom großen Kapital gewünscht und anstandslos geliefert. Aber das amerikanische Grün bohrt ja doch. Versteckte man es nicht, sondern holte es in die hiesigen Debatten, dann würde wohl so manches Rumoren an der grünen Basis lauter. Seltener Vorgang – ein Roter wie ich hat einen amerikanischen Traum. Das gibt’s ausnahmsweise auch.

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"Grün auf Amerikanisch", UZ vom 30. August 2024



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