Hauptstadtfinanzierung bildet die eigentliche Teilung Berlins ab

Großzügige Umverteilung

Von Uli Scholz

In Berlin haben wichtige Institutionen der BRD ihren Sitz. Sie werden aus Bundesmitteln finanziert. Darüber hinaus verursachen Politik und Staatsverwaltung weitere Kosten, die im Landeshaushalt Berlins verbucht werden. Welche davon die Regierung bezahlt, regelt der Hauptstadtfinanzierungsvertrag, in neuer Fassung Anfang Mai unterzeichnet. „Mit dem Abschluss des neuen Hauptstadtfinanzierungsvertrages zeigt der Bund ein weiteres Mal sein großzügiges und langfristiges Engagement für die Kultur der Hauptstadt Berlin. … diesmal mit einem starken Akzent in der Musik.“ Froh und stolz nannte sich die Staatsministerin und Berliner CDU-Landesvorsitzende Monika Grütters nach der Unterschrift. Unterdessen haben viele Berliner Kinder keinen Musikunterricht, weil die Lehrkräfte fehlen. Die Stadt erscheint geteilt, auch ohne Mauer.

Personen- und Objektschutz, Verkehrslenkung sowie die Beaufsichtigung von Kundgebungen und Demonstrationen machen den Hauptteil der hauptstadtbedingten Sicherheits- und Repressionskosten aus. Die Erstattung dafür soll stufenweise von jährlich 60 Millionen auf 120 Millionen Euro ab 2023 steigen. Die andere Hälfte der bis 2027 geplanten Bundeszuwendungen von insgesamt 2 Milliarden Euro entfällt zum größten Teil auf historische Stätten und namhafte Großkulturbetriebe wie Opernhäuser und die „Philharmoniker“. Den Repräsentationsinteressen der Bessergestellten wird Genüge getan. Ob andere auch etwas abbekommen werden, hängt vom Immobilienmarkt ab, da zum Vertrag auch der Tausch von Grundstücken zwischen dem Land und dem Bund gehört. So gehen mehrere Immobilien der Hochkultur im Schätzwert von 190 Millionen Euro an den Bund im Tausch gegen das Kreuzberger „Dragonerareal“, wo etwa 800 Wohnungen gebaut werden sollen. Noch vor zwei Jahren hatte das „Areal“ für 36 Millionen privat verkauft werden sollen. Außerdem wird dem Land gestattet, dem Bund das leerstehende zentrale „Haus der Statistik“ und einige Tausend Wohnungen zu welchem Preis auch immer abzukaufen.

Dass regierungsnahe Medien das Zustandekommen des neuen Vertrags dankbar kommentiert haben, entspricht dem geringen Renommé der Hauptstadt als einem der sechs „Konsolidierungshilfenländer“, deren Haushalt alljährlich vom Stabilitätsrat der Bundes- und Landesregierungen geprüft wird. Dieses Gremium hatte 2011 im Rahmen einer „Sanierungs“vereinbarung durchgesetzt, dass im Landeshaushalt weitere Personalstellen gestrichen, Verwaltungskosten gedeckelt und die Wohnungsbauförderung verringert wurden. Seit 2015 sinkt dementsprechend der Schuldenstand des Landeshaushalts, der Investitionsverhinderungsplan „Schuldenbremse“ wurde vier Jahre vorfristig erfüllt und dafür werden jährlich 80 Millionen Euro an „Konsolidierungshilfen“ an den Landeshaushalt überwiesen. Verglichen mit dem Hauptstadtfinanzierungsvertrag entspricht das etwa der Hälfte der dort geregelten jährlichen Geldflüsse. Außerdem wird ein Anteil der Bundesmittel, mit denen die Länder künftig anstelle des bisherigen Länderfinanzausgleichs unterstützt werden sollen, auf Berlin entfallen. Heruntergebrochen auf das Beispiel der für Schulgebäude vorgesehenen Infrastrukturmittel, ergibt sich aus dem Berliner Anteil von vier Prozent mit jährlich weniger als 50 Millionen Euro etwa ein Hundertstel der geschätzten Instandhaltungskosten, die durch die Jahrzehnte lang unterlassene Sanierung aufgewachsen sind, weil eben der Haushalt saniert worden ist, nicht die Infrastruktur. Die Größe der Herausforderungen ist auch einem jährlichen Bevölkerungswachstum von etwa 40.000 Einwohnern geschuldet und lässt sich grob daran abschätzen, dass jede siebte der in Berlin 2027 benötigten Schulen noch gar nicht gebaut worden ist, dass schon jetzt ein dramatischer Wohnungsmangel besteht und dass der Anteil der Armen an der Gesamtbevölkerung, (22,4 Prozent),stetig und nirgendwo in Deutschland so schnell wie in Berlin wächst.

Es erscheint als geschickter Schachzug der Regierungsparteien, die Repressions- und Repräsentationskosten unter Dach und Fach zu bringen, ohne die Ursachen der Haushaltsnotlage anzutasten. Die Schuldenlast Berlins wuchs in jenen Jahren auf, als der Bund die Westberliner Bourgeoisie als „Pfahl im Fleisch der DDR“ päppelte und unter dem irreführenden Titel „sozialer Wohnungsbau“ Milliardensubventionen an Immobilienkapitalisten verschieben ließ. Heute zahlen die Ärmeren in Form dramatisch steigender Wohnungsmieten allmonatlich die Rechnung. Die Schuldenlast wuchs in den 90ern weiter, obwohl nach dem Stopp der „Berlinhilfen“ 1994 Landeseigentum im Wert von 14 Milliarden Euro verkauft worden ist, seit 1992 fast zwei Drittel der Personalstellen beim Land und in den Bezirken gestrichen wurden und die soziale In­frastruktur umfassend der Auszehrung preisgegeben wurde. Gleichzeitig waren die Bilanzprobleme durch Steuersenkungen und durch die Steigerung der Mehrwertsteuer 2007 vertieft worden, die vor allem Geringverdiener und Arme trifft und vom Bund kassiert wird. Die Notlage des Landeshaushalts ist nun bereinigt, aber nicht verschwunden. Sie hat die Stelle gewechselt und die Notlage derjenigen verschärft, die sie am wenigsten ertragen können.

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"Großzügige Umverteilung", UZ vom 9. Juni 2017



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