Das Referat im Wortlaut ist auf blog.unsere-zeit.de erschienen.
In ihrem Wahlprogramm zur EU-Wahl stellt die DKP fest: Die EU steht für Krieg, Flucht und Ausbeutung. Sie ist ein Werkzeug, mit dem der deutsche Imperialismus seine Interessen durchsetzt. Wie funktioniert dieses Werkzeug? Wie kämpfen in und mit der EU verschiedene imperialistische Blöcke um die Macht und um den Profit? Wie sehr kann die „Supermacht“ USA ihren deutschen Rivalen die Politik diktieren? Wie wirkt die EU im Verhältnis von Zusammenarbeit und Konkurrenz mit dem US-Imperialismus, aber auch zwischen Deutschland und Frankreich? Darüber hat der DKP-Parteivorstand am vergangenen Wochenende diskutiert. UZ dokumentiert das Referat, mit dem Stephan Müller die Debatte eingeleitet hat.
Die Bestimmung der EU als imperialistisches Instrument lässt sich herleiten aus dem historischen Prozess der Klassenkämpfe, in denen sie entstanden ist. Dabei werde ich mich konzentrieren auf die Triebkräfte in den USA, in Frankreich und in Deutschland, die im Wesentlichen die Entwicklung der EU bestimmt haben.
Diese Triebkräfte, die zur heutigen Kräfteaufstellung führten, zeigen sich deutlich im Entwicklungsprozess des geschlagenen deutschen Imperialismus vom 8. Mai 1945 zur führenden imperialistischen Großmacht in der EU.
Imperialismus ohne Staat
Nach 1945 stellte sich für die deutsche Monopolbourgeoisie die Frage des Überlebens. Zum zweiten Mal war sie im Kampf um die Neuaufteilung der Welt geschlagen worden. Der deutsche Imperialismus hatte – anders als 1918 – jegliche Staatsmacht verloren. In Potsdam einigten sich die siegreichen Imperialisten mit der Sowjetunion darauf, Deutschland zu demilitarisieren und die Monopole zu zerschlagen. Die US-, aber auch die britischen und französischen Imperialisten wollten den Potsdamer Vertrag, um die Fehler von 1918 nicht zu wiederholen, die dem geschlagenen deutschen Imperialismus den zweiten Anlauf zur Weltmacht erlaubten. Diejenigen Kräfte im Lager der Imperialisten, die wie vor 1939 dazu drängten, Deutschland gegen die Sowjetunion wieder zu bewaffnen, konnten sich in Potsdam noch nicht durchsetzen.
Supermacht und Sozialismus
Die USA waren 1945 wirtschaftlich, politisch und militärisch in der kapitalistischen Welt dominierend geworden, zum einen mit dem US-Dollar, dessen Wert sie mit dem Abkommen von Bretton Woods kontrollierten und zum anderen mit der US-Army und ihren Geheimdiensten. Es war aber nicht gelungen, die Sowjetunion, den Sozialismus als Staatsmacht, auszulöschen. Die Konkurrenz der Imperialisten um die Neuaufteilung der Welt, getrieben durch den Wiederaufstieg des deutschen Imperialismus nach 1918, war stärker gewesen als das gemeinsame Interesse, die Sowjetunion zu vernichten. Der vom deutschen Imperialismus angezettelte 2. Weltkrieg hatte die Sowjetunion geschwächt, hatte sie aber zum siegreichen Vorkämpfer aller um ihre Befreiung kämpfenden Völker gemacht. Revolution und nationaler Befreiungskampf breiteten sich nach 1945 aus wie ein Flächenbrand.
Widerspruch der Ziele
Der US-Imperialismus stand in seiner Stärke 1945 deshalb in einem Widerspruch zweier strategischer Teilziele:
Erstens, den überlebenden und sich weltweit ausbreitenden Sozialismus unter Führung der Sowjetunion eindämmen, zurückdrängen und schließlich vernichten. Dieses erste Ziel war das gemeinsame Interesse aller kapitalistischen Mächte.
Das zweite strategische Ziel des US-Imperialismus 1945 war es, die Hegemonie über die anderen imperialistischen Großmächte aufrecht zu erhalten und deren Einflusssphären zu übernehmen. Das stand natürlich im Widerspruch zum Interesse der Nicht-US-Imperialisten.
Die deutsche Monopolbourgeoisie hatte diesen Zielkonflikt der USA bereits 1944 erkannt und genutzt. Reinhard Gehlen und Adolf Heusinger, die Planungschefs für den Überfall auf die Sowjetunion, und ihre Kameraden dienten sich der US-Army ebenso planvoll an wie die Leute aus den Kommandohöhen der Kriegswirtschaft. Ludwig Erhard, Karl Blessing und Hermann Josef Abs waren die bekanntesten Namen, die sich den US-Siegern nützlich machten mit dem Ziel, bald wieder auf eigene Rechnung zu arbeiten. Hier zeigt sich der untrennbare Zusammenhang des Klassenkampfs auf nationaler und internationaler Ebene: Auf der nationalen Ebene, wo sich die geschlagene deutsche Monopolbourgeoisie dem US-Kapital als Büttel andiente zur Niederhaltung der Gewerkschafts- und damit Sozialisierungsbewegung und gleichzeitig auf der internationalen Ebene, wo sich dieselbe Monopolbourgeoisie mit den reaktionärsten und aggressivsten Kräften des US-Imperialismus verbündete, um mit der Einführung der D-Mark Deutschland zu spalten und eine Basis für die Remilitarisierung zu schaffen. Der Zielkonflikt der USA schien zunächst keine großen Widersprüchlichkeiten zu entwickeln. Die Monopolherren aller Länder waren nur allzu gern bereit, sich vom US-Imperialismus gegen ihr eigenes Volk einspannen zu lassen im „Kampf gegen den Weltkommunismus“.
Das Wunder von Korea
Aber schon im Korea-Krieg 1950 konnten die beim US-Imperialismus untergeschlüpften deutschen Imperialisten den Widerspruch nutzen, um den Potsdamer Vertrag zu sprengen. Damit sind wir auch schon beim ersten Vorläufer der EU, der, wie wir sehen werden, bereits wesentliche Charakterzüge des imperialistischen Europaprojekts zeigen wird.
Der Koreakrieg, den die USA mit Blick auf China 1950 bis 1953 führten und mit massiver Materialüberlegenheit gewinnen wollten, löste in den USA einen ungeheuren Rüstungsbedarf aus. Die US-Militärverwaltung beendete deshalb erst unter der Hand, dann offiziell die „Potsdamer“ Beschränkung der westdeutschen Stahlproduktion. Dem „Wirtschaftswunder“ waren damit die Schleusen geöffnet, die Produktionskapazität vom Mai 1945 war ja vorhanden und größer als 1936. Potsdam war Vergangenheit, die deutsche Monopolbourgeoisie durfte wenigstens in Westdeutschland in der neugeschaffenen BRD unter Aufsicht der USA wieder Macht ausüben. Der französische Imperialismus wurde 1951 auf Druck des US-Imperialismus über die Montanunion in die Auflösung der Potsdamer Beschränkung der deutschen Stahlproduktion eingebunden. In der Montanunion erhielten die späteren EWG-Gründer BRD, Frankreich, Italien sowie Belgien, die Niederlande und Luxemburg eine Freihandelszone mit gemeinsamen Regeln, die von einer gemeinsamen Behörde festgelegt wurden. Ihr offizieller Name ist übrigens „Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ (EGKS). Die französischen Imperialisten, die kein Interesse hatten, auf den Potsdamer Vertrag zu verzichten, wurden von den USA mit der politischen Leitung der Montanunion geködert, aber auch mit Kreditentzug für den Wiederaufbau bedroht. In der BRD war in der Arbeiterbewegung durchaus bekannt, was es bedeutete, den Potsdamer Vertrag zu sprengen. Deshalb wurden rechte SPD- und DGB-Funktionäre eingebunden mit außerordentlich gut dotierten Posten in den Gremien der Montanunion, das Monatsgehalt entsprach dem Jahresgehalt eines Stahlarbeiters.
Kein Krieg – trotz Adenauer
Der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl sollte die „Europäische Verteidigungsgemeinschaft“ (EVG) zur deutschen Wiederbewaffnung auf dem Fuß folgen. Das wurde aber trotz enormem US-Druck 1954 im französischen Parlament gestoppt, wo sich zu viele bürgerliche Kräfte an die Vorgeschichte von Potsdam erinnerten und mit der starken und Volksfront-erfahrenen kommunistischen Partei dagegen stimmten. So mussten die USA dem westdeutschen Staatsgebilde BRD eine Teilsouveränität zugestehen, um es in die US-gesteuerte NATO aufzunehmen. Die Bewegung gegen die Remilitarisierung reichte in Westdeutschland wie in Frankreich ebenfalls bis weit in bürgerliche Kreise hinein. Ihr Rückgrat hatte sie in der Arbeiterbewegung, wo den schwankenden Reformisten aus der SPD standfeste Kämpfer aus KPD und FDJ zur Seite standen. Gegen kämpfende Kräfte wie die streikenden bayerischen Metaller, die lautstark mehr Lohn statt Rüstung forderten, ging Adenauers BRD-Staat mit äußerster Härte vor, der Staatsterror gegen KPD und FDJ ist bekannt. Gleichzeitig stärkte Adenauer die SPD-Reformisten durch sein Rentengesetz, das er gegen den BDI durchsetzte. 1952 würgte er die Diskussion ab um das Wiedervereinigungsangebot der Sowjetunion à la Österreich auf Basis des Potsdamer Vertrags, bekannt als „Stalin-Note“. Adenauer orientierte auf einen Tag X der Wiedervereinigung in monopolkapitalistischer „Freedom and Democracy“. Trotz durchaus effizienter Bündnisarbeit der Kräfte um Gehlen und Heusinger in US-Army und CIA fiel die Entscheidung der USA dann am Tag X, dem 17. Juni 1953, dagegen aus, sich in einen Krieg um Deutschland ziehen zu lassen. Da haben Korea und die inzwischen atombewaffnete Sowjetunion an der Seite der deutschen Friedensbewegung gekämpft. Die BRD setzte dann bis 1961 auf „Ausbluten“ der DDR durch Abwerbung von Fachkräften, was der BRD nach Schätzung bürgerlicher Wirtschaftswissenschaftler etwa zwanzigmal so viel einbrachte wie der Marshallplan. Auch 1956 in Ungarn und 1961 in Kuba und Berlin konnten sich die Kriegstreiber in Deutschland und USA nicht durchsetzen. Das ist der Hintergrund, der den deutschen Imperialismus an die Seite de Gaulles brachte.
Frankreichs Schwäche genutzt
Hatte 1950 der deutsche Imperialismus den US-Zielkonflikt zwischen imperialistischer Konkurrenz und Zurückdrängen der Revolution genutzt, so war es ein paar Jahre später ein Zielkonflikt des französischen Imperialismus, den man gegen die USA nutzte.
In der französischen Finanzoligarchie überwog das Interesse, die Dominanz der USA abzuschütteln, den Antikommunismus. 1956 in der Suez-Krise hatten die USA den Briten und Franzosen klargemacht, dass sie als Atommacht Weltpolitik allein mit der Atommacht Sowjetunion entscheiden. 1954 war Frankreich das Geld für die Finanzierung seines Kolonialkriegs in Indochina ausgegangen, 1957/58 steckte Frankreich wegen des Algerienkriegs wieder in einer Finanzkrise. Der französische Imperialismus stand nun vor dem Problem, den enormen Finanzaufwand der Atom- und Wasserstoffbombenentwicklung stemmen zu müssen, wenn er Weltmacht bleiben wollte. Also wurde die Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1957/58 mit den Verträgen von Rom um die „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG) und wohlgemerkt auch um die „Europäische Atomgemeinschaft“ (EAG, kurz Euratom) erweitert. Die USA waren natürlich an der Atomrüstung Frankreichs im Verbund mit der BRD nicht interessiert. Sie verhängten deshalb später auch ein Computer-Embargo gegen Frankreich, um die Entwicklung der französischen Wasserstoffbombe zu bremsen.
Für das Vertragstrio Montanunion, EWG und Euratom bildete sich der Sprachgebrauch EG, „Europäische Gemeinschaften“, heraus, die Verträge wurden 1965/67 offiziell zur EG fusioniert. Daneben bestand bereits seit 1954 in und neben der NATO, wenig beachtet, die „Westeuropäische Verteidigungsunion“, die 1993 von der sogenannten GASP, der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ im Vertrag von Maastricht abgelöst wurde und 2001 von der GSVP, der „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“, im Vertrag von Nizza und schließlich 2007 von dem Militärpakt in den Lissabon-Verträgen. Die Militärverträge seit der WEU sind im staatsrechtlichen Graubereich eingerichtet, das heißt mit noch weniger parlamentarischer Kontrolle irgendwo zwischen EU und NATO.
Zurück zur EWG: Wir betrachten die gesellschaftlichen Triebkräfte beim dritten Anlauf des deutschen Imperialismus zur Weltmacht in ihrem Gesamtzusammenhang: Zwischen nationalem und internationalem Klassenkampf; in imperialistischer Kooperation und Konkurrenz vor allem mit den USA und Frankreich; konkret in der NATO und den Europäischen Gemeinschaften.
Kampf um EWG
1961 war die BRD die stärkste und am schnellsten wachsende ökonomische Macht in Europa. Das Finanzkapital, Großbanken und die Industriemonopole waren wiederhergestellt. Die im Wesentlichen unveränderte Finanzoligarchie übte die Herrschaft in der BRD als noch weitgehend abhängiger Juniorpartner der USA aus.
1963 verstärkte das Deutschland Adenauers mit dem Élysée-Vertrag die Kooperation mit dem Frankreich de Gaulles, das Algerien schließlich gegen den Willen der USA als Kolonie aufgegeben hatte. 1965 fing Frankreich an, seine Goldreserven aus den USA zurückzuziehen, 1966 trat es aus der Kommandostruktur der NATO aus. Das NATO-Hauptquartier zog nach Brüssel. De Gaulles Vorschlag, die EG zu einer Verteidigungsunion auszubauen, alternativ zur NATO – das nämlich steckte hinter seinem Schlagwort des „Europa der Vaterländer“ – wurde aber von den USA ausgebremst: Frankreich konterte in der EWG mit der „Politik des leeren Stuhls“, das heißt, an Sitzungen, die nicht ihrer Agenda entsprachen, nahmen die Franzosen lange nicht mehr teil.
Der Einfluss des US-Imperialismus in Frankreich, der BRD und Britannien war 1973 schließlich stark genug, um den britischen Eintritt in die EWG durchzusetzen.
Mit Export aus der Krise
Auf der anderen Seite des Globus war der Krieg gegen die Wiedervereinigung und Unabhängigkeit Vietnams, den die USA vom französischen Imperialismus übernommen hatten, wieder heiß geworden. Die USA verschuldeten sich dadurch zunehmend. Die BRD steigerte wieder die Exporte in die USA. 1973 mussten die USA das Währungssystem von Bretton Woods und damit die Kontrolle über den Kurs des US-Dollars aufgeben.
Die nach der Wiederaufbauphase zurückgekehrten zyklischen Wirtschaftskrisen brachten in der BRD 1966 eine halbe Million Arbeitslose, 1973 schon eine Million. Die Krisenhaftigkeit und eine wachsende Streikbewegung zusammen mit der Studenten- und Lehrlingsbewegung beunruhigten die deutsche Monopolbourgeoisie. Die suchte den Ausweg aus der Krise im Export, auch in Wirtschaftsbeziehungen mit dem RGW, um gleichzeitig mit den USA „Wandel durch Annäherung“ und Finanzwirtschaftskrieg zu planen. Im Inneren lockerte man das KPD-Verbot, schuf sich aber gegen erhebliche Widerstände im Volk die Notstandsgesetze, um auch ohne die USA gegen Aufstände vorgehen zu können.
Gleichzeitig wurde Staatsnachfrage durch Aufrüstung geschaffen. 1970 beschlossen europäische NATO-Mitglieder zur „Entlastung“ der USA europäische Rüstungs- und Organisationsstrukturen innerhalb der NATO. Das europäische Kampfflugzeug Tornado griff das US-Flugzeugmonopol an, es flog erstmals 1974. In der BRD wurde in den 70er Jahren durch „keynesianische“ Staatsverschuldung zusätzlich 350 Mrd. DM Nachfrage geschaffen, davon gingen mindestens 250 Mrd. in die (konventionelle) Rüstung. Das ist der Hintergrund, vor dem sich der Euro und die EU entwickelten.
US-Hegemonie geschwächt
Helmut Schmidt und der französische Präsident Giscard d‘Estaing beschlossen 1975 eine gemeinsame Währungspolitik, um vom US-Dollar unabhängiger zu werden. Das „Europäische Währungssystem“ (EWS) ab 1979 war Vorläufer des Euro. Weder das EWS noch der Rüstungskeynesianismus konnte die nächste zyklische Krise 1981/82 verhindern, sie brachte bereits 2 Millionen Arbeitslose.
Nach der Niederlage in Vietnam konsolidierten die USA mit der BRD an ihrer Seite ihre konterrevolutionäre Strategie mit Schwerpunkt Wirtschaftskrieg. Der wurde 1980 in der Krise in Polen sichtbar und im Milliardenkredit von 1983 an die DDR. 1985 hoffte die KPdSU, mit dem neuen Generalsekretär Gorbatschow einen Ausweg aus der zunehmend krisenhaften Wirtschaftslage zu finden.
In Südeuropa verloren die USA die nach 1945 durchgesetzte Hegemonie mit dem Ende der faschistischen Regimes und dem Eintritt der Staaten in die EWG, die auf Basis der EG zur EU ausgebaut wurde: Griechenland 1981, Spanien und Portugal 1986. Der Élysée-Vertrag, die deutsch-französische Struktur der Regierungszusammenarbeit, wurde von Mitterand und Kohl 1988 auf „Verteidigung“ ausgedehnt.
Wettlauf nach Osten
Nach dem Sieg der Konterrevolutionen 1989–1992 in der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern Europas begann dort das Rennen um die Beute, das heißt um den Aufbau imperialistischer Einflussgebiete. Da schienen die USA zunächst zu gewinnen. Sie überließen dem deutschen Finanzkapital die DDR und glaubten, damit dessen Kräfte gebunden zu haben. Bereits mit dem Sturz Jelzins erlitten die USA aber einen Rückschlag. Seitdem ist der Einfluss des EU-Kapitals unter Führung des deutschen Kapitals in den ehemaligen Staaten des RGW und Jugoslawiens gestiegen – trotz mehr oder weniger offener „Fuck the EU“-Aktionen der USA wie in der Ukraine. In einem abgehörten und veröffentlichten Telefonat wies die US-Diplomatin Victoria Nuland mit diesen Worten den US-Botschafter in der Ukraine an, den von BRD und EU lancierten Klitschko als Präsident zu verhindern.
Partner ausspielen
Mit den Verträgen von Maastricht und Lissabon war die EG ab 1993 zur EU, zur Militär- und Währungsunion geworden, die mit dem Euro auf Unabhängigkeit vom US-Dollar zielt. Der Euro zementierte die Hegemonie des deutschen und französischen Finanzkapitals in der EU, weil die gemeinsame Währung den kapitalmäßig schwächeren Staaten keine nationalen Abwertungen mehr erlaubt. Die Krise 1998/2001 mit 5 Millionen Arbeitslosen in der BRD konterte die deutsche Monopolbourgeoisie mit der Agenda 2010, also innerer Abwertung durch Lohnsenkung. Möglich war das durch den Einsatz der rechten Sozialdemokratie und ihren Einfluss in den Gewerkschaften. Die französische Finanzoligarchie ist seither bestrebt, den Lohnkostenvorsprung der deutschen Konkurrenten durch „Reformen“ gegen die eigene Arbeiterklasse einzuholen.
Die USA kämpften nach 2001 mit dem „Krieg gegen den Terror“ darum, ihre weltweite Hegemonie auch auf dem Feld der Technologie mit Rüstungsinvestitionen und weltweiten Kriegen aufrecht zu erhalten. Die dadurch verstärkten Widersprüche zwischen Frankreich, Britannien, den USA und Russland und China nutzte der deutsche Imperialismus, um eine zunehmend selbstständige Rolle zu spielen.
Nach 1989 zeigte sich, dass die weltweite Deregulierungsoffensive der USA der Nach-Vietnam-Ära sich keineswegs nur gegen die RGW-Staaten gerichtet hatte, sondern auch der Aufrechterhaltung der US-Hegemonie auf den Finanzmärkten diente. Die Militärausgaben des „Kriegs gegen den Terror“ wurden gedeckt durch die Politik des „billigen Gelds“ der US-Zentralbank und halfen dem US-Finanzkapital aus der 1998 beginnenden Weltfinanzkrise, die 2007 in die noch anhaltende Weltwirtschaftskrise überging.
Hin-und-her-Hegemonie
Die BRD konnte, nach Einverleibung der DDR größer und nach Lohnkostensenkung durch die Agenda kapitalstärker geworden, als stärkste wirtschaftliche Macht die Krisenpolitik in der EU diktieren. Das wurde sichtbar in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 2010, als Sarkozy sich Merkel unterwerfen musste, um in der Griechenlandkrise die französischen Großbanken zu retten. Die deutsche Finanzoligarchie hatte nach der wirtschaftlichen jetzt auch die politische Führung in der EU. 75 Jahre nach seiner blutigen Niederlage konnte der deutsche Imperialismus nun auch wieder die Frage nach der militärischen Weltmachtposition stellen.
Unter den deutschen Oligarchen besteht aber keine Einigkeit, wie weit die Konkurrenz zum US-Imperialismus offen gezeigt werden kann und wie viel der französischen Finanzoligarchie zugestanden werden soll, damit sie diesmal friedlich an die Seite der BRD rückt. Bei Angriffen auf den US-Markt haben führende Industriemonopole wie Daimler mit Chrysler, Siemens und VW, aber auch die Deutsche Bank und der Allianz-Konzern ihre Grenzen und die ihrer Staatsmacht aufgezeigt bekommen.
Nachdem Bundespräsident Horst Köhler den militärischen Weltmachtanspruch offen geäußert hatte, musste er 2010 zurücktreten. Seine Nachfolger Joachim Gauck und Frank-Walter Steinmeier formulierten den militärischen Weltmachtanspruch der BRD aber weiter, ohne die Ordnungsrufe der USA aus dem Auge zu verlieren. Im alten Aufrüstungslied singen sie einmal die Strophe „man kann sich auf die Amis nicht mehr verlassen“, dann wieder „wir müssen unsere Freunde entlasten“. Im Zweifel gilt immer die bewährte deutsche Aufrüstungsbegründung „zur Unterstützung der USA“ gegen Russland. Weltkriegsgefahr wird dabei von der deutschen Finanzoligarchie billigend in Kauf genommen.
Bald herausgewachsen?
Die zahlenmäßig winzige deutsche Finanzoligarchie, vielleicht 100 Familienclans mit ihrem Hofstaat, übt die Herrschaft im Staat BRD in lange gewachsenen Abhängigkeiten nach innen und außen aus. Nach 1945 ist der deutsche Imperialismus aus der Dominanz des US-Imperialismus zunehmend herausgewachsen – vor allem in Verbindung mit der Rüstung gegen die Sowjetunion, aber wesentlich auch mit Rückgriff auf die Widersprüche des französischen Imperialismus zum US-Imperialismus. Die Fäden, die in diesem Entwicklungsprozess gesponnen wurden, bilden das Netzwerk in der Macht, dessen Struktur Lenin in seiner Imperialismus-Schrift darstellt. Dieses Netzwerk spinnt sich im Inneren vor allem über den Sozialdemokratismus in die Arbeiterbewegung hinein – und verdeckt den Blick auf die Triebkraft der Kriegsgefahr: Den Zwang zur Neuaufteilung der Welt, der aus dem Missverhältnis entsteht zwischen der Entwicklung der Akkumulation und der Entwicklung der Einflusssphären.
Der deutsche Imperialismus ist es, der aus diesem Missverhältnis heraus das größte objektive Interesse hat an der Störung des labilen Gleichgewichts zwischen den imperialistischen Großmächten durch Neuaufteilung der Absatzmärkte, Rohstoffquellen und Einflusssphären. Er kann deshalb mit Fug und Recht als aggressiver Kriegstreiber bezeichnet werden, auch wenn ihm gegenwärtig die militärischen Mittel zur Durchsetzung seiner Interessen gegenüber dem heutigen Hauptaggressor in der Welt, den USA, noch fehlen.
Diesmal Schritt für Schritt
Lenin hat bekanntlich festgestellt: „Vom Standpunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus…sind die Vereinigten Staaten von Europa entweder unmöglich oder reaktionär.“ Er sollte auch hier Recht behalten: Je mehr die EU sich als Vereinigte Staaten aufstellt, desto reaktionärer zeigt sie sich. Sie dient als Instrument zur Aushebelung der von der Arbeiterklasse in den nationalen Klassenkämpfen erkämpften demokratischen und sozialen Rechte. Sie ist Instrument zur Unterdrückung der schwächeren Länder. Sie ist der Rahmen, in dem die stärksten imperialistischen europäischen Großmächte BRD und Frankreich ihre Kooperation und Konkurrenz austragen und sich bereits in zunehmender Rivalität zu den nach wie vor militärisch viel stärkeren USA aufstellen. Der aktuelle Weg der EU zur militärischen Großmacht ist in dem kürzlich von der IMI herausgegebenen Buch „Die Militarisierung der EU“ dokumentiert, in dem auch die Verzahnung von NATO und EU deutlich wird. Dem deutschen Imperialismus dient die EU vor allem zur Verschleierung seiner militärischen Großmachtpläne. Nach zwei gescheiterten Anläufen zur Weltmacht hat die deutsche Finanzoligarchie dazu gelernt. Dazu Originalton von der Leyen vom 10. Januar: „Wie die Entstehungsgeschichte der heute allseits akzeptierten Errungenschaften EU-Binnenmarkt oder Freizügigkeit zeigt, erzielen wir wesentliche Fortschritte in Europa nicht im Hauruckverfahren. Sondern es braucht vertrauensbildende Zwischenschritte und Mitgliedstaaten, die entschlossen vorangehen. Auf dem Gebiet der Verteidigung ist Deutschland gemeinsam mit Frankreich Treiber in Europa.“
Wirklicher Kampf, verordneter Mythos
Mit diesem Gesamtbild wäre die gegenwärtige Lage der EU einzuschätzen: Welche Kräfte machen sich in Frankreich und in der BRD für den Vorschlag stark, den Emmanuel Macron in seiner Sorbonne-Rede im September 2017 zur gemeinsamen Beherrschung der EU als Weltmacht gegen die USA und China formuliert hat, und welche Interessen stellen sich dagegen?
Aus der nach wie vor starken Kooperation der deutschen Imperialisten mit dem US-Imperialismus in EU und NATO entwickeln sich mit einer gewissen Notwendigkeit zunehmend die Elemente der Konkurrenz. Dem militärischen Weltmachtstreben des deutschen Imperialismus und der Gefahr, dass er sich ein drittes Mal zum Hauptaggressor in der Welt entwickelt, stellen sich aber zwei wesentliche Barrieren entgegen:
Erstens, das Interesse der anderen Imperialisten. Das Interesse der US-Imperialisten ist dabei immer wieder mit dem deutschen Kooperationsangebot unterlaufen worden, das mit dem Weltmachtstreben ebenfalls zunahm. Teile der französischen Monopolbourgeoisie setzen auf der anderen Seite weiter auf die EU-Kooperation zum Erhalt der eigenen Weltmachtposition, fordern aber mit der wachsenden Macht des deutschen Imperialismus zunehmend Absicherungen.
Die zweite Barriere vor dem Weltmachtstreben des deutschen Imperialismus ist der nationale Klassenkampf: Das Volk hat kein Interesse am Krieg. Selbst die ungeheure Medienmacht der Finanzoligarchen hat keine subjektive Mehrheit für Aufrüstung geschaffen, weder in Deutschland noch in den anderen Ländern. In Deutschland gibt es weder eine Mehrheit für Aufrüstung unter dem US-Mantel noch für eine EU-Militärweltmacht. Deshalb liegt dem deutschen Imperialismus so viel am Mythos vom Friedensprojekt Europa. Er braucht, hier sind wir wieder bei Lenin, den Opportunismus in der Arbeiterbewegung, um den Mythos aufrechtzuerhalten.