Der Geist des Geldes will, dass endlich gespielt wird

Großes Interesse

Friedhelm Vermeulen

In den Niederlanden wurde die Fußballsaison vorzeitig beendet, ebenso in Frankreich und wohl auch in Belgien, wo die finale Entscheidung noch aussteht. In England will man nun vielleicht doch wieder spielen lassen, nachdem es lange so aussah, als würden Trainer Jürgen Klopp und der FC Liverpool vorzeitig zum Meister gekürt. In Spanien hält Liga-Chef Javier Tebas an einer Fortsetzung der Saison fest, auch wenn bisher nicht einmal trainiert werden kann. In Italien soll ab dem 18. Mai wieder Gruppentraining stattfinden dürfen und in Schottland bricht nach einer Abstimmung über den Saisonabbruch ein Chaos aus, das den Ligabetrieb an Unterhaltungswert übertrifft.

Und in Deutschland? Auch hier zu Lande ist das Interesse an einer Fortsetzung der Saison groß, zumindest das finanzielle. Laut einer Umfrage von „YouGov“ ist eine Mehrheit der Deutschen gegen Geisterspiele und damit gegen eine Fortsetzung der Bundesliga-Saison. Auch Faninitiativen äußerten sich ablehnend und forderten solidarische Lösungen.

Die Politik entschied am 6. Mai – und damit nach Redaktionsschluss – ob das Konzept der DFL für die Wiederaufnahme des Spielbetriebs der Bundesliga weiter verfolgt werden darf. In Vorbereitung wurden Spieler getestet – mit dem Ergebnis, dass beim 1. FC Köln zumindest zwei von ihnen, Ismail Jakobs und Niklas Hauptmann, positiv auf das Coronavirus getestet worden waren. Außerdem hatte sich FC-Physiotherapeut Daniel Schütz infiziert.
Trotzdem halten die Verantwortlichen am Vorhaben zum Bundesliga-Start fest und verpassen Bedenkenträgern wie Birger Verstraete (ebenfalls 1. FC Köln) einen Maulkorb. Verstraete hatte Angst um die Gesundheit seiner Familie geäußert und sagte: „Fußball ist nicht das Wichtigste.“

Doch mit dem Fußball kommt das Geld. In dieser Saison gab es allein 1,2 Milliarden Euro an Fernsehgeldern aus den nationalen Übertragungsrechten, dazu kommen ein paar hundert Millionen aus dem internationalen Geschäft.
Auch das Geschäft mit den Sportwetten ist riesig, die Wettbranche boomt: Im Jahr 2019 wurden Wetteinsätze in Höhe von 9,3 Milliarden Euro platziert, 2014 waren es „nur“ 4,51 Milliarden. „Volleyball auf den Philippinen oder Tischtennis in Russland sind kein Ersatz für die Fußball-Bundesliga oder die Champions League.

Entsprechend deutlich sind die Umsatzrückgänge insgesamt“, wird Mathias Dahms, Präsident des Deutschen Sportwettenverbandes, im „Tagesspiegel“ zitiert. „Das Geschäft ist quasi auf Null runter. Nicht nur in den Wettbüros, die geschlossen bleiben müssen, sondern auch online, weil kaum noch irgendwo etwas stattfindet“, so Dahms.
Vor allem aus dieser Richtung kommt der Druck, den Spielbetrieb wieder aufzunehmen. Mit einem „Stückchen Normalität“ für den Fan hat das nichts zu tun. Und die Debatte um Geisterspiele macht deutlich, was die Fans im Stadion für diejenigen sind, die die Fußballgeschäfte führen: Kulisse, Beiwerk, oftmals auch lästiges.


„Geisterspiele sind keine Lösung!“
Aus einer Stellungnahme der Fanszenen Deutschland (April 2020)

Die Wiederaufnahme des Fußballs, auch in Form von Geisterspielen, ist in der aktuellen Situation nicht vertretbar – schon gar nicht unter dem Deckmantel der gesellschaftlichen Verantwortung. Eine baldige Fortsetzung der Saison wäre blanker Hohn gegenüber dem Rest der Gesellschaft und insbesondere all denjenigen, die sich in der Corona-Krise wirklich gesellschaftsdienlich engagieren. Der Profi-Fußball ist längst krank genug und gehört weiterhin in Quarantäne.

Ganz offensichtlich hat der Profi-Fußball viel tiefer liegende Probleme. Ein System, in das in den letzten Jahren Geldsummen jenseits der Vorstellungskraft vieler Menschen geflossen sind, steht innerhalb eines Monats vor dem Kollaps. Der Erhalt der Strukturen ist vollkommen vom Fluss der Fernsehgelder abhängig, die Vereine existieren nur noch in totaler Abhängigkeit von den Rechteinhabern.

Die Frage, weshalb es trotz aller Millionen keinerlei Nachhaltigkeit im Profi-Fußball zu geben scheint, wie die Strukturen und Vereine in Zukunft robuster und krisensicherer gemacht werden können, wurde zumindest öffentlich noch von keinem Funktionär gestellt. Das einzig kommunizierte Ziel ist ein möglichst schnelles „Weiter-so!‘‘, das jedoch lediglich einer überschaubaren Zahl an Beteiligten weiterhin überragende Einkünfte garantiert. Das Gerede von zigtausenden Jobs halten wir schlicht in den meisten Fällen für einen Vorwand, weiterhin exorbitante Millioneneinkünfte für wenige extreme Profiteure zu sichern. (…)

Eine kommende Lösung muss maximal solidarisch sein. Es darf unter den Vereinen keine Krisengewinner und -verlierer geben. Die Schere zwischen „Groß‘‘ und „Klein‘‘ darf nicht noch weiter auseinandergehen. Ausdrücklich schließen wir damit auch die Vereine der dritten Liga und der Regionalligen mit ein, für die Geisterspiele ohnehin keine Option sind.

Die Diskussion über grundlegende Reformen, um den Profifußball nachhaltiger und wirtschaftlich krisensicherer zu gestalten, muss jetzt beginnen. (…) Die Phase einer von der restlichen Gesellschaft komplett entkoppelten Fußballwelt muss ein Ende haben!

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"Großes Interesse", UZ vom 8. Mai 2020



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