Weitere Aushebelung der Rechtsstaatlichkeit

Große Ohren

Von Ralf Hohmann

Seehofers Bundesinnenministerium arbeitet weiter an der Aushöhlung der Grundrechte. Jüngst wurde der Gesetzentwurf zur „Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts“ von seinem Ministerium vorgelegt. Verfassungsschutz (VS) und Bundesnachrichtendienst (BND) sollen in Zukunft nicht nur befugt sein, private Handys und Computer mit Spionagesoftware zu infizieren, die Daten auszulesen und zu verwerten (Quellen-Telekommunikationsüberwachung), sondern dürfen sich auch zur Installierung der Staatstrojaner heimlich Zugang zu den Räumlichkeiten der Betroffenen verschaffen.

In den Paragrafen 9e Verfassungsschutzgesetz und 5d Bundesnachrichtendienstgesetz wird die technische Datenerhebung aus Wohnungen neu geregelt. Das „heimliche Betreten“ von Privatwohnungen wird den Agenten erlaubt. Damit wird der sogenannte „Große Lauschangriff“ auch für VS und BND legalisiert. Der Behördenleiter einer VS- oder BND-Einheit muss in der Regel dazu lediglich die Zustimmung der übergeordneten Behörde und der G-10-Kommission (parlamentarisches Gremium) einholen. Bei „Gefahr im Verzuge“ noch nicht einmal das. Das Prozedere ist jeglicher gerichtlichen Kontrolle entzogen. Faktisch erhalten die Dienste damit weitergehende Rechte als die Polizei in Fällen der Schwerkriminalität. Die Strafprozessordnung kennt jedoch keine heimliche Durchsuchung, wie man die „Erkenntnisse“ in die Beweislast einbauen will, ist noch völlig offen. Worauf die Neuregelungen jedoch abzielen, ist klar: Betroffen von den geplanten Gesetzesänderungen sind unter anderem die Wohnungen von Verdächtigen des Hoch- und Landesverrats, also all jener, die bestrebt sind, „die auf dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern“. Die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ feiert weiter fröhliche Urstände.

In Artikel 13, Absatz 1 Grundgesetz heißt es: „Die Wohnung ist unverletzlich.“ Auf Initiative der Fraktionen CDU/CSU, SPD und FDP wurde die Grundgesetznorm am 1.4.1998 erweitert: Heute besteht sie aus sieben Absätzen, von denen sechs regeln, wie dieser Artikel des Grundgesetzes einzuschränken ist. Auch das Bundesverfassungsgericht hielt in seiner Entscheidung vom 3. März 2004 den großen Lauschangriff prinzipiell für zulässig und gab lediglich zu bedenken, dass zum Beispiel bei abgehörten Gesprächen zwischen Familienmitgliedern der „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ verletzt sei. Die Entscheidung, was dieser Kern sei, trifft der Behördenleiter. Indes betrifft dies nur bestimmte Gesprächsinhalte, welche auch immer diese sein mögen – mit dem Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung hat es nichts zu tun. Der Seehofersche Entwurf befindet sich momentan noch in der Ressortabstimmung und wird in Kürze vom Innenministerium in den Bundestag eingebracht.

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"Große Ohren", UZ vom 23. August 2019



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