Der 7. Parteitag der kubanischen KP in Havanna

Große Herausforderungen erfordern Augenmaß

Von Günter Pohl

Auszüge aus dem Rechenschaftsbericht, vorgetragen von Raúl Castro

Bei der Beurteilung des Tempos der laufenden Transformationen darf nicht aus den Augen verloren werden, dass im Fall von Kuba niemals die Anwendung der so genannten „Schocktherapien“ in Frage kommt, die oft auf Kosten der unteren Schichten der Gesellschaft durchgeführt werden. … Selbst unter den vorhandenen wirtschaftlichen Einschränkungen sind die sozialen Dienste für die kubanische Bevölkerung in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Kultur und Sport und soziale Sicherheit bewahrt und vervollkommnet worden. Wir müssen aber auf der Notwendigkeit bestehen, stetig ihre Qualität zu verbessern.

In der Zeitspanne seit dem 17. Dezember 2014 ist es zu konkreten Ergebnissen im Dialog und bei der Zusammenarbeit zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten gekommen. Dessen ungeachtet bleibt die seit mehr als einem halben Jahrhundert auferlegte Wirtschafts-, Handels-und Finanzblockade mit unleugbarem Einschüchterungscharakter von exterritorialer Tragweite weiter in Kraft, wenngleich wir die Position Präsident Obamas und hoher Funktionäre der Administration gegen die Blockade und die wiederholten Appelle an den Kongress, sie zu beenden, anerkennen. (…) Wie wir auf der Pressekonferenz beider Präsidenten dargelegt haben, muss, um auf dem Weg zur Normalisierung der Beziehungen voranzukommen, die Blockade eliminiert werden, da sie unserem Volk Leid zufügt und das Haupthindernis für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ist. Außerdem muss das illegal und gegen den Willen der kubanischen Regierung und des kubanischen Volkes von der Marinebasis besetzte Gebiet von Guantanamo zurückgegeben werden.

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(…) Die Bedrohungen für den Frieden und die internationale Sicherheit nehmen, ausgehend von der Absicht des US-Imperialismus, angesichts der Veränderungen im globalen Gleichgewicht seine hegemoniale Stellung zu behaupten und seines Bestrebens, sich die strategischen natürlichen Ressourcen anzueignen und zu kontrollieren, immer mehr zu. Dies zeigt sich im wachsenden offensiven und aggressiven Charakter der Militärdoktrin der NATO und im Wuchern nichtkonventioneller Kriege unter dem Vorwand des Kampfes gegen den „internationalen Terrorismus“, in der Verschärfung der Differenzen mit Russland und China und der Gefahr eines kriegerischen Konflikts unkalkulierbaren Ausmaßes im Mittleren Osten.

Die Flüchtlingswelle in Europa bewegt das Gewissen der Menschheit. Sie ist die Folge der ausländischen Interventionen, der vom Ausland aus provozierten Kriege und der Unterentwicklung. Doppelmoral und Heuchelei zeigen sich in der Behandlung der Menschenrechte, in der Zunahme der Fremdenfeindlichkeit, im Rassismus und der Diskriminierung der Einwanderer wie auch in der Zunahme neofaschistischer Kräfte.

Quelle: www.fgbrdkuba.de/txt/doc/20160416-raul-castro-rede-parteitag-2016.php

Der 7. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas ist am 19. April zu Ende gegangen. Anders als beim 6. Parteitag 2011 wurden die zu diskutierenden Dokumente dem Volk nicht vorab zur Diskussion vorgelegt, sondern die Debatten darüber werden nun in den folgenden Monaten folgen.

Die vom Parteitag bearbeiteten Vorlagen behandelten folgende wesentliche Elemente: die Prüfung der bisherigen Ergebnisse der vor fünf Jahren begonnenen „Aktualisierung des kubanischen Sozialismus“ mittels der damaligen Leitlinien; ein Entwicklungsplan der kubanischen Gesellschaft bis zum Jahr 2030; eine Vorlage für ein eigenständiges kubanisches Sozialismusmodell; die Parteiarbeit zur Zielverwirklichung der Vorgaben der Nationalkonferenz im Jahr 2012. Parteimitglieder und Massenorganisationen werden noch in diesem Jahr die Vorschläge debattieren und die Ergebnisse in das Zentralkomitee der Partei zurückgeben, sodass dort eine endgültige Beschlussfassung vorgenommen werden kann. Zu Beginn des Parteitags wurde von Raúl Castro der Rechenschaftsbericht vorgetragen, der einstimmig angenommen wurde (Ausschnitte im Kasten).

Die Aktualisierung hat in fünf Jahren noch nicht die erhofften Ergebnisse gezeitigt. Zum einen ist die Zahl der in Selbstständigkeit oder das erweiterte Genossenschaftswesen gebrachten Menschen geringer als erwartet; zum anderen sind die benötigten Wirtschaftsdaten bei Wachstum und Kaufkraft immer noch ungünstig. Manches ist der Weltwirtschaftslage geschuldet, anderes internen Faktoren. Da es nicht ausreichend gelingt, die Güterproduktion und die Lohnerhöhungen in relativen Einklang zu bringen, sind gleich nach dem Parteitag erhebliche Preissenkungen von etwa 20 Prozent bei Nahrungsmitteln umgesetzt worden, um dem kubanischen Peso mehr Kaufkraft zu verleihen. Denn nach wie vor gelten im Land zwei Währungen – ein Problem, von dem mittelfristig die Zustimmung des Volkes zum Sozialismus abhängen kann. Deshalb wird der 1994 eingeführte CUC, der konvertible kubanische Peso, so schnell wie möglich abgeschafft; aus nahe liegenden Gründen wird diese Entscheidung unangekündigt kommen.

Dabei gilt, wie bei allen Entscheidungen, dass Augenmaß walten muss und jede Maßnahme ihren bestmöglichen Zeitpunkt erfordert. Deshalb war bald klar, dass die 313 Leitlinien des 6. Parteitags nicht alle gleichzeitig und gleich erfolgreich durchgeführt werden konnten. Darin liegt ein wichtiger Grund, dass ein längerfristiger Plan zur Entwicklung Kubas vonnöten ist, der erstmals eine Zeitspanne von fünfzehn Jahren umfasst. Dadurch soll geklärt werden, wohin die Reise konzeptionell geht und welche Wirtschaftsbereiche Priorität haben müssen. Raúl Castro wies in seiner Rede aber auch auf ein Mentalitätsproblem hin, das die Umsetzung der beschlossenen Politik erschwere. Relativ erfolgreich eingeleitet wurden dagegen Anreize zur ausländischen Investition auf Kuba; auch aus den USA, mit denen eine weitere Entspannung der Beziehungen angestrebt wird, wenn auch von einer Normalisierung zwischen zwei Ländern noch lange nicht die Rede sein kann, von denen das eine das andere mit einer Blockade und Störsendern überzieht, einen Militärstützpunkt okkupiert und unverhohlen mit dem Sturz von dessen Regierung droht und dafür aktiv ist.

Im Lande selbst sind Kooperativengründungen begünstigt worden, die zur selbstverwalteten Initiative in den nicht zentralen Sektoren anreizen sollen. Stützpfeiler der Wirtschaft bleibt aber der staatliche Sektor, der dem Prinzip, niemanden im Stich zu lassen und den Sozialismus als Garantie für eine unabhängige Zukunft Kubas zu erhalten, die Grundlagen gibt.

Diese Zukunft hat der Sozialismus auf Kuba gewiss nur mit der Jugend. Unübersehbar sind die Herausforderungen, die sich mit den elektronischen Medien ergeben haben, wobei die Regierung mit einer vergleichsweise souveränen Gelassenheit mit dem Thema umgeht. Wahrscheinlich ist, dass es immer wieder gelingt, der nachfolgenden Generation die Wichtigkeit des Sozialismus klarzumachen. Erheblich schwieriger ist jedoch derzeit, zu verdeutlichen, dass dazu organisiertes Handeln notwendig ist. Vor der Union Junger Kommunisten (UJC) stehen also nicht minder große Aufgaben.

Als Erster und Zweiter Sekretär der PCC wurden Raúl Castro und José Ramón Machado wiedergewählt. Gleichzeitig wurde für die Zukunft eine Altersbegrenzung von 60 Jahren für das Zentralkomitee festgelegt, dem 142 Mitglieder angehören, davon ein abermals gestiegener Anteil von jetzt 63 Genossinnen. Mit diesem Parteitag hat ein weiteres Mal eine Herausforderungsperiode begonnen, wie sie schon so oft vor dem kubanischen Volk und der Kommunistischen Partei stand. Die kurze, aber von den Medien international umso mehr beachtete Rede Fidel Castros vor den Delegierten zeigt, welche Herausforderung zu allen Schwierigkeiten in Ökonomie und Gesellschaft hinzukommen: wahrscheinlich sei es „das letzte Mal, dass ich bei einem Parteitag zu euch sprechen werde“.

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"Große Herausforderungen erfordern Augenmaß", UZ vom 29. April 2016



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